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So war Billie Eilish in der Lanxess-ArenaDreckige Lache, eifrige Liebesbekenntnisse

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Billie Eilish in der Lanxess-Arena  

Köln – Einmal an diesem Dienstagabend, das Konzert geht schon seinem Ende entgegen, entfährt Billie Eilish ein herrlich dreckiger Lacher. „Danke dafür“, gluckst sie. Wofür? Für eine alberne Gummibrust, die ein Fan inmitten eines anschwellenden Begeisterungs- und Applausorkans in der Arena auf die Bühne geworfen hatte.

Ein knallroter BH war schon eine dreiviertel Stunde zuvor während des verhalten erotischen „Billie Bossa Nova“ auf dem weit in die Menge reichenden Laufsteg gelandet. Er wurde von Billie wie eine Flagge des Widerstands hochgehalten.

Der Lachanfall zeigt nicht zuletzt, dass hier keine Stimmunterstützung vom Band kommt, sondern es wirklich Eilish ist, die schon mit 20 Jahren eine Sicherheit im Live-Gesang erreicht hat, nach der sich Madonna bis heute sehnt.

Selbstredend sind die Fans auch in die Lanxess-Arena gepilgert, um Billie Eilishs Musik endlich einmal live zu hören – es ist ihr erstes Konzert in Köln und die knapp 16.000 Tickets waren binnen kürzester Zeit ausverkauft. Aber der noch gewichtigere Grund ist wohl der, die junge Kalifornierin einmal ausgiebig hochleben zu lassen.

Tourette-Ticks und fiese Typen

Noch einmal: Wofür? Dafür, dass sie eine Standleitung direkt von ihrem Kinderzimmer im Highland-Park-Viertel von Los Angeles zu allen anderen Kinderzimmern zumindest der westlichen Welt gelegt hat. Wenn Billie singt, wirkt das, als flüsterte die große Schwester einem ihre tiefsten Geheimnisse unter der Bettdecke ins Ohr. Erzählte von Tourette-Ticks und von Typen, die sie verletzt haben. Von ihren Ängsten und davon, dass auch sie nie ganz mit dem zufrieden ist, was sie im Spiegel sieht.

Ganz am Anfang des Konzerts, das Licht geht aus, die „Billie, Billie“-Rufe steigern sich ins Hysterische, aus den Lautsprechern schwillt ein großes Geklöppel an, als würde der staunenden Menge gleich der Riesenaffe King Kong als achtes Weltwunder präsentiert, ganz am Anfang dieses großen Abends also, sieht man Billie Eilish hinter der Bühne statuesk auf einem Sockel stehen, nur ganz kurz von hinten angeleuchtet, schon wieder verschwunden.

Auf die Bühne katapultiert

Dann nehmen zuerst einmal Billies Bruder und Kreativpartner Finneas O’Connell (wechselweise an Keyboard, Gitarre, Bass, Percussion) und Tour-Schlagzeuger Andrew Marshall ihre hinteren Plätze auf erhobenen Plattformen ein, mehr Band braucht es offensichtlich nicht. Schließlich wird Billie Eilish gleich einer Anime-Heldin vorne aus dem Bühnenboden katapultiert, inmitten ihrer eskalierenden Fans.

Sie trägt ein weites schwarzes Hemd mit Horror-Aufdruck, eine Radlerhose wie einst Rutger Hauer in „Blade Runner“ und schwarze Kinesio-Tapes an den Unterschenkeln. Auch die Haare hat sie sich wieder blauschwarz gefärbt und zu Zöpfen gebunden, die glamouröse „Vogue“-Cover-Phase scheint vorbei.

Eilish eröffnet mit „Bury a Friend“, dem Lied, in dem sie sich fragt, wohin wir bloß alle gehen, wenn wir schlafen gehen. Ein Lied, aus der Perspektive der Monster unter ihrem Bett geschrieben, so hat sie es jedenfalls einmal erzählt.

Wie sie tanzt, hüpft und stampft

Sie tanzt und stampft und hüpft wie ein Gummiball. Nicht elegant, aber authentisch. Nur ein Spagat am Ende von „Lost Cause“ verrät ihre frühere Tanzausbildung. Auf die für eine Arenashow obligaten Tänzer verzichtet sie. Nein, das soll hier keine Revue sein – die Bühne bleibt leer – es gibt nur Billie und ihre Fans und die Liebe, die sie zusammenhält.

Jetzt rennt sie eine schiefe Ebene wie aus dem Telekolleg Physik zu ihren beiden Mitmusikern hoch, beugt oben angekommen den Rücken durch, wirft den Kopf nach hinten, generiert so noch mehr ausgeflippten Jubel. Selbst gemalte Schilder werden hochgehalten: „Give me a hug“; „Draw me a tattoo“. Ihre Fans wollen sie so nah wie möglich bei sich haben, am liebsten mit ihr im Safe Space kuscheln. Immerhin gibt sich Eilish schon so nahbar und achtsam wie möglich.

Drei Regeln gebe es an diesem Abend, verkündet die junge Wunderfrau aus L.A.: „Sei kein Arschloch. Urteile nicht über andere Menschen in diesem Raum.“ Und die Nummer Drei: „Have fun, bitches!“

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Billie Eilish am Dienstagabend in Köln 

Selbst wenn sie wie in „NDA“ davon singt, dass inzwischen Anwälte ihr Liebesleben mit Verschwiegenheitsklauseln regulieren müssen – an diesem Abend fühlt es sich wie eine Umarmung an. Selbst wenn sie in „Getting Older“ abgeklärt erklärt, dass die Dinge, die sie einst genoss, ihr heute nur noch als Erwerbsquelle dienen – ihre Fans brüllen auch diese Zeilen aus voller Kehle mit. Die Zumutungen des frühen Ruhms sind ein nicht unbedingt leicht zu vermittelndes Thema, aber auch solche Luxusprobleme wirken bei Eilish wie schwesterlich geteilte Geheimnisse.

Nach einer zarten, noch einmal aufs Wesentliche reduzierten Version von „Your Power“ – Billie und Finneas sitzen auf Barhockern und zupfen akustische Gitarren – stimmt die Sängerin ihren neuen Song „TV“ an. Er hat erst vor ein paar Tagen auf einem Konzert in Manchester sein Debüt gefeiert. Den verzweifelten Refrain stimmt trotzdem schon die ganze Arena an. Er lautet: „Maybe I’m the problem“, aber wenn jeder singt, dass er das Problem ist, wird die Absurdität der Selbstanklage überdeutlich.

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Das ist beileibe nicht der einzige Moment, in dem das Konzert zur Massentherapiestunde wird. Für ein Medley ihrer ältesten Lieder besteigt Eilish eine Hebebühne im hinteren Teil der Arena, hauptsächlich, um auch einmal den Fans in den Oberrängen nahe zu kommen. Später fordert sie jeden auf, seinem jeweiligen Nächsten zu sagen, wie dankbar man für ihn sei. Das kennt man zwar eher von Kirchentagen, doch hier wirkt es nicht deplatziert. Und sogar die übereifrigen Liebesbekenntnisse an die Fan-Gemeinde („Ich könnte in Tränen ausbrechen!“), normalerweise der Gipfel der Heuchelei, nimmt man Eilish ab.

Warum, das begreift man allerspätestens mit dem letzten Song „Happier Than Ever“, dem Titelstück ihres aktuellen Albums. Das steigert sich, während noch Konfetti vom Arenahimmel regnet, von einem beinahe schunkeligen Break-Up-Song zur alles niederreißenden Stadionrock-Nummer. Zum finalen „Fuck you!“ an den egozentrischen Ex-Freund schütteln Billie und Finneas ihre Haare für ein Hardrock-Halleluja, die Menge schüttelt heftig mit.

Eine Welle der Katharsis schwappt über die Arena. Eine Zugabe braucht jetzt niemand mehr und auch keinen coolen Abgang. Statt wieder in der Luke zu verschwinden, aus der sie herausgesprungen war, bleibt Billie Eilish noch ein wenig auf der Bühne. Winkt, bedankt sich, sagt liebe Worte. Verabschiedet sich wie eine Freundin.