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Max-Ernst-Museum BrühlWer hat Angst vor einer surrealen Zukunft?

Lesezeit 3 Minuten
Ein glatzköpfiges Wesen schwebt durch den Raum, hinter ihm stürzt eine Krake von einem Raumschiff.

Cao Feis Mischwesen „Oz“ ist in der Ausstellung „Surreal Futures“ in Brühl zu sehen.

Die Brühler Ausstellung „Surreal Futures“ versammelt digitale Kunstwerke zu Themen wie Klimawandel, Überwachung und KI. Ist dieser zeitgenössische Surrealismus die Rettung oder der Untergang?

Wer hat Angst vor einer surrealen Zukunft – mit digital erzeugten Wirklichkeiten und einem Klima, das nicht nur verrückt spielt, sondern die Klimazonen buchstäblich durcheinander bringt? Im Max-Ernst-Museum fühlen sie sich einigermaßen gerüstet für diese bange Aussicht, denn der Brühler Hauspatron sah bereits vor einhundert Jahren eine surreale Welt am Horizont.

Nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs war das ein Versprechen: Der alte König, die mörderische Vernunft, wurde für tot erklärt, stattdessen sollte die Fantasie regieren und aus dem Unbewussten eine bessere Wirklichkeit entstehen. Es kam bekanntlich anders. Aber die surrealistische Utopie, das menschliche Bewusstsein auszuschalten, um die Menschheit vor sich selbst zu retten, scheint wieder gefragt – nicht zuletzt in den Hochrechnungen der künstlichen Intelligenz.

„Surreal Futures“ zeigt Kunstwerke zu Klimawandel, KI und Afroutopismus

„Surreal Futures“ heißt die erste, von Patrick Blümel kuratierte Ausstellung, die das Brühler Max-Ernst-Museum gänzlich ins Licht der digitalen Medienkünste taucht. Sie versammelt 31 Künstler aus 19 Nationen und vier Kontinenten und ist auch sonst weltumspannend gedacht. Es geht um KI und Klimawandel, digitale Welten und Science-Fiction-Fantasien, um schwindende Gewissheiten und das Gefühl, am Abgrund eines Weltenbruchs zu stehen. Wird Ihnen gerade bang ums Herz? Nur Mut, flüstert der totgeglaubte Surrealismus aus der Gruft.

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An den Anfang der Ausstellung hat Blümel keinen Feuerreifen gestellt, aber immerhin einen aus Aluminium geformten Lichtkreis des Kanadiers Louis-Philippe Rondeau. Wer hindurch steigt, wird fotografiert und als Zerrbild auf die Wand geworfen. Auf der anderen Seite des magischen Schlupflochs wartet die Wunderkammer der KI. Jake Elwes hat Software für Gesichtserkennung mit Bildern von Dragqueens verwirrt und präsentiert in Brühl eine Galerie sich stetig verändernder Gesichter, die sich jeder Normierung entziehen. Cao Fei lässt ein Oz genanntes Mischwesen aus Mensch, Krake und Maschinen über zwei lebensgroße Bildschirme schweben, und bei Doug Rosman tanzt ein flüssiger Körper einen Reigen mit sich selbst.

Cyprien Gaillard lässt einen „Hausengel“ von Max Ernst als Holografie im Raum schweben

Das Weltklima kommt mit „Asunder“ ins Spiel, einem KI-basierten Umweltmanager, der mithilfe von Satellitenbildern, Supercomputern und Klimasimulationen konkrete Maßnahmen für einzelne Orte und Landstriche erarbeitet. Wer das sekundenschnelle Treiben lange genug verfolgt, könnte allerdings jede Hoffnung fahren lassen: Die chinesische Millionenstadt Chenzhou nach Wien zu verlegen, scheint jedenfalls nicht die seligmachende Lösung zu sein. Bei Paul Duncombe schlägt derlei Hochintelligenz-Sarkasmus in botanischen Zynismus um: Für „Eden“ ernährt er Pflanzen mit Wasser und UV-Licht, nur um sie schleichend, etwa mit radioaktiver Strahlung, zu vergiften.

Und wo bleibt das Positive? Blümel sucht es vor allem im Afrofuturismus, doch deren Vertreter zeigen in Brühl eine Neigung zum Traumkitsch, die auch dem klassischen Surrealismus nicht fremd gewesen ist. Wenn die US-Künstlerin Aya das Gesicht einer schwarzen Göttin mit tropischen Gartengewächsen und karibischen Karnevalskostümen verschmilzt, fühlt man sich weniger in eine surreale Zukunft als ins Jahr 1923 versetzt.

Erstmals erstreckt sich eine Sonderausstellung auf die ständige Sammlung des Max-Ernst-Museums. Hier lässt Cyprien Gaillard einen „Hausengel“ von Max Ernst als Holografie im Raum schweben und Tim Berresheim hat eine digitale Höhle eingerichtet, in der man mit 3D-Brille eine der protosurrealen Figuren entdecken kann, die der Barockmaler Bracelli der Nachwelt hinterließ. So verfestigt sich der Eindruck: Der zeitgenössische Surrealismus ist schön anzusehen. Aber retten wird er uns nicht.


„Surreal Futures“, Max-Ernst-Museum des LVR, Brühl, Comesstr. 42, Di.-So. 11-18 Uhr, 27. August 2023 bis 28. Januar 2024.