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Buch über die BauernkriegeSind die Deutschen gar kein Volk von Duckmäusern?

Lesezeit 6 Minuten
Thomas Müntzer predigt vor Bauern.

Thomas Müntzer predigt auf einer alten Illustration den Bauern den Krieg

Der Historiker Gerd Schwerhoff erzählt die Bauernkriege vor 500 Jahren nach und räumt mit zahlreichen Klischees zum Thema auf.

„Geschlagen ziehen wir nach Haus,/die Enkel richten's besser aus.“ Das sind die Schlussverse aus einem nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Fahrtenlied, die das desaströse Ende des deutschen Bauernkrieges von 1525 für diejenigen andeuten, nach denen dieser historische Ereigniskomplex benannt ist. Der marxistische Philosoph Ernst Bloch machte sich die darin zum Ausdruck kommende Haltung zu eigen: Hoffnung – in diesem Begriff verdichtet sich bekanntermaßen seine geschichtsphilosophische Utopie – kann durch zeitweilige Niederlagen und Rückschritte nicht widerlegt werden.

Tatsächlich spielte der deutsche Bauernkrieg, der vor exakt 500 Jahren in seine entscheidende Phase trat (begonnen hatten die einschlägigen Unruhen bereits im Vorjahr), gerade im Marxismus – genauer: in seiner Periodisierung des Geschichtsablaufs – seit jeher eine Schlüsselrolle: im Sinne einer frühbürgerlichen Revolution noch vor der eigentlichen bürgerlichen Revolution, der Französischen von 1789. Seriöse und quellenorientierte Forschung hat diese Einschätzung längst als Mythos erwiesen, vielleicht sollte man sogar korrekterweise von Geschichtsklitterung sprechen.

Seine Faszination aber hat der Aufstand, der zumal den Südwesten des damaligen Deutschen Reiches in Brand setzte und auch Bevölkerungskreise über den engeren Bereich der im landwirtschaftlichen Produktionssektor Beschäftigten hinaus erfasste, bis heute nicht verloren. Die Fülle an Veröffentlichungen, die derzeit anlässlich des 500-Jahre-Jubiläums den Buchmarkt überschwemmen, zeigt dies. Zusammen hängt es mit der Attraktion charismatischer Gestalten wie Thomas Müntzer, Florian Geyer und Götz von Berlichingen, aber es hat vielleicht auch etwas mit nationaler Identitätsbildung zu tun: die Deutschen – ein Volk von zu Revolte und Revolution unfähigen obrigkeitshörigen Duckmäusern? Der Bauernkrieg könnte zeigen, dass die Umsturzbereitschaft hierzulande je nachdem durchaus so stark entwickelt war wie bei Franzosen, Briten und Amerikanern.

Als gebürtiger Kölner ist Schwerhoff gut vertraut mit der frühneuzeitlichen Kölner Stadthistorie

Der großangelegten Gesamtdarstellung des Dresdner Historikers Gerd Schwerhoff liegen freilich solche metahistorischen Intentionen fern. Überhaupt räumt er, ohne die Geschichte völlig neu zu schreiben, in seinem Buch „Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung“ mit immer noch kursierenden Klischees über den Bauernkrieg auf. Schwerhoff ist übrigens gebürtiger Kölner und als solcher nicht zuletzt gut vertraut mit der frühneuzeitlichen Kölner Stadthistorie. Für die vielbändige im Greven-Verlag erscheinende Stadtgeschichte hat er die instruktive Darstellung über Köln im Ancien Régime (1686 – 1794) verfasst.

Immer wieder macht er deutlich, dass (vergleichsweise) moderne politische Begriffe – zumal eben der Revolution – auf ein Geschehen am Beginn der Neuzeit nicht recht passen wollen. Und dieses sich zu nachträglicher Mythisierung und Mystifizierung erst recht nicht eignet. Zur Revolution fehlte zwar nicht die Massenbasis, wohl aber die Perspektive auf eine umfassende Neuordnung der politisch-gesellschaftlichen Sphäre.

Unabweisbar ist allemal – auch diese Erkenntnis ist nicht neu, wird von Schwerhoff aber noch einmal detailliert belegt – die Verbindung des Bauernkriegs mit der lutherischen Reformation: Die antikatholische, sich gegen die unterdrückerische und ausbeuterische Herrschaftspraxis der Klöster, Fürstbischöfe und Prälaten richtende Stoßrichtung der Erhebung berief sich immer wieder auf die evangelische Freiheit. Damit verstand man Luthers (spirituellen) Freiheitsbegriff allerdings massiv falsch, der sich von Haus gut mit dem Gehorsam gegenüber der Obrigkeit verband.

Es war Luthers Verdammungsurteil gegen die rebellierenden Bauern, das die Reformation rettete

Es war dann auch Luthers Verdammungsurteil gegen die rebellierenden Bauern, das letztlich die Reformation rettete. Die bedurfte zu ihrer Durchsetzung zwingend der Unterstützung durch die Machthaber bis zu den Reichsfürsten. Widerstand gegen den (katholischen) Habsburger Kaiser (Karl V.) reichte da nicht aus.

Wie auch immer: Hier mag ein Grund dafür liegen, dass die Bauernunruhen kaum Bayern und den norddeutschen Raum, sondern ausgerechnet das heutige Baden-Württemberg und das Allgäu, dann und darüber hinaus Thüringen, das Elsass und Tirol erfassten. In diesen Gebieten waren damals besonders viele Emissäre und Prediger des neuen Glaubens aktiv.

Es gab da übrigens viele Überschneidungen und widersprüchliche Allianzen, die die Komplexität des Konfliktdesigns anzeigen. Adlige Landesherren, die dem bäuerlichen Aufruhr im Prinzip abgeneigt sein mussten, waren dies gegenüber der Perspektive der Säkularisierung von Stiften und Klöstern (im Interesse des eigenen Zugriffs) weit weniger. Auch die Magistrate und Bürgerschaften der Städte schwankten in ihren Parteiorientierungen durchaus – da gab es ein breites Spektrum zwischen Ablehnung und (teils erzwungener) Solidarisierung mit den Bauern.

Schwerhoff geht in seinem Buch vor allem ereignisgeschichtlich vor

Keine Frage: In den bewaffneten Bauernaufständen verdichtete sich auch der Protest gegen miserable Lebensbedingungen der ländlichen Bevölkerung. Anders ist das zentrale und in vielfältigen Drucken verbreitete Dokument der bäuerlichen „Christlichen Vereinigung“ nicht zu verstehen. Es handelt sich dabei um die Memminger „Zwölf Artikel“, die sich gegen Leibeigenschaft, Abgabenlast und Frondienste wandte. Jede Gemeinde, so der erste Artikel, sollte das Recht haben, sich ihren Pfarrer zu wählen oder ihn abzusetzen. Dieser sollte „das Evangelium laut und klar predigen“.

Schwerhoff geht in seinem Buch nicht struktur-, sondern ereignisgeschichtlich vor, beschreibt in einer Mischung aus Chronologie und regionaler Fokussierung den Gang der Ereignisse von der Fastenzeit bis in den Frühsommer 1525. Klar wird allemal: Die Bauern, in bewaffneten „Haufen“ organisiert, hatten keine Chance gegen die zunächst verblüfften, dann aber mit Macht zurückschlagenden herrschenden Gewalten und zumal gegen die sich im Schwäbischen Bund organisierenden Fürsten. Die Bauern zündeten Klöster an und plünderten Orte, ließen gelegentlich auch Vertreter der alten Herrschaft über die Klinge springen. Die Reaktion der berittenen fürstlichen Söldner war ärger: Einzelne Schlachten arteten in regelrechte Massaker aus, denen harte Strafgerichte noch lange nach dem Abklingen der Kriegshandlungen folgten.

Allerdings war Repression – Schwerhoff hütet sich da vor moralisierender Schwarz/Weiß-Zeichnung – nicht das einzige Mittel der Pazifizierung. Auch einsichtige Fürsten erkannten die Beschwerden der Bauern an und organisierten Abhilfe – und sei es, um künftigen Aufständen vorzubeugen. Nach 1525 setzte auch etwas ein, das es zuvor nicht gegeben hatte: eine Verrechtlichung der Konfliktbearbeitung.

Leider meint es Schwerhoff mit seiner Präferenz des Erzählens etwas zu gut. Er geht, stets quellennah und materialreich, ins Klein-klein, berichtet, wie es scheint, über jedes angezündete Kloster, über alle Verhandlungen und Scharmützel zwischen Mühlhausen und Bodensee – und verzettelt sich dabei. Das will man alles so haarklein gar nicht lesen und wissen, zumal der Erkenntnisgewinn im Ergebnis eher mager ausfällt. Hier wäre jene begriffsorientierte Konzentration angezeigt gewesen, zu der Schwerhoff dann spät genug – im Kapitel „Rückblick und Einordnung“ – zum Glück doch noch ausholt. Interessant wäre etwa auch eine anschauliche Darstellung bäuerlichen Lebens um 1500 in seinen Nöten und Beschwernissen gewesen.

Nichts gegen eine „Renaissance des Erzählens“ in der Geschichtswissenschaft. Aber wenn sie in dieser Form erscheint, sehnt man sich dann doch ein wenig nach der angeblich antiquierten Strukturgeschichte zurück – wie sie etwa der von Hans-Ulrich Wehler herausgegebene Band „Der deutsche Bauernkrieg“ repräsentiert. Der erschien 1975, zum 450. Jahrestag des Geschehens – und wirkt doch immer noch frisch und anregend, mag auch einiges veraltet und überholt sein.


Gerd Schwerhoff: „Der Bauernkrieg – Geschichte einer wilden Handlung“, C.H. Beck, 720 Seiten, 34 Euro.