Köln – Stephen Malkmus erinnert sich ans Chelsea Hotel. Nicht an das in Manhattan, von dem Leonard Cohen singt. Sondern an die kunstsinnige Künstlerherberge in Köln, in der Malkmus in den 1990ern mit seiner Band Pavement zu übernachten pflegte, Martin Kippenbergers Zeichnungen in der Lobby bewunderte und sich des Nachts im Six Pack die Kante gab, wie man damals sagte: „Es fühlte sich wie ein kulturelles Zentrum an, in dem die Regel, dem zu folgen, was gerade populär war, nicht galt.“
Die kleine Köln-Hymne des kalifornischen Indie-Recken findet sich im kommende Woche erscheinenden Buch „I feel everything you say, I feel everything you hear“, zusammengestellt von Jan Lankisch und Olaf Karnik. Der Titel ist einer Songzeile der legendären Kölner Band Can entliehen und es war seine Liebe zu Cans Musik, aufgrund derer sich Malkmus Anfang der 2010er Jahre zu der Wahnsinnstat bereit erklärte, auf dem Kölner Week-End Fest live das komplette „Ege Bamyasi“-Album zu covern. Wider Erwarten gelang der Auftritt in Ehrenfeld spektakulär. Ja, er brachte das sorgfältig kuratierte Festival eigentlich erst auf seinen Weg.
Pünktlich zur elften Ausgabe des Week-End (siehe Kasten) versammelt „I feel everything ...“ jetzt Geschichten von 21 Ausnahmen-Künstlern, die hier in den vergangenen Jahren auftraten. Sie nehmen hier ausnahmsweise einmal selbst die Fanperspektive ein, erzählen in Englisch und ihrer jeweiligen Muttersprache von Musikern, Städten, Freunden, oder auch Instrumenten, die ihr Leben prägten.
Zu Festival und Buch
Das elfte Week-End Fest findet am 28. und 29. Oktober in der Stadthalle Köln-Mülheim statt. Unter anderem mit dem französisch-kubanischen Schwesternduo Ibeyi, Töchtern des Buena-Vista-Social-Club-Percussionisten Miguel Diaz, mit der neapolitanischen Funk-Combo Nu Genea und einem Mingus Project zum 100. Geburtstag des Jazz-Giganten Charlie Mingus.
Tickets und Programm unter www.weekendfest.de
Unter weekendfest.de/books kann man das hier besprochene, auf 500 Exemplare limitierte Hardcover-Buch bestellen, 168 Seiten, 34 Euro
Dabei funktioniert das Buch völlig unabhängig vom Kölner Festival, das hier kaum einmal erwähnt wird. Stattdessen funktioniert es genau wie das Festival: Man lernt Ikonen von ihrer persönlichen Seite kennen, begegnet neuen Gesichtern, von denen man zuvor nie geahnt hätte, dass man einmal ihr Fan wird – und nimmt den Faden einer anderen Musikgeschichte zwischen Tokio, São Paulo und London auf, eben einer, in der die Regel, dem zu folgen, was gerade populär ist, aufgehoben wurde.
Fred Frith, der liebe Gott der Gitarrenimprovisation, berichtet von einer ungewöhnlichen Begegnung der dritten Art mit dem angeblich auf dem Saturn geborenen Jazz-Visionär Sun Ra und davon, wie er Jahre später, auf einem gemeinsamen Konzert mit dessen Arkestra, seine deutsche Ehefrau kennenlernte. Marshall Allen wiederum, seit knapp 30 Jahren Leiter des Arkestra, schildert, wie er Sun Ras Erbe weiterträgt, in dem er permanent Neues entdeckt, auch noch mit 98 Jahren.
Der brasilianische Sänger Sessa wartet mit einer Anekdote über einen Cannabis-Dealer auf, der ihn unvermittelt zu einem der letzten Konzerte des Bossa-Nova-Erfinders João Gilberto einlädt. Gilberto Gil, brasilianischer Superstar der nächsten Generation, schreibt voller Wärme über seine fast 60-jährige Freundschaft mit Caetano Veloso. Und Tim Bernardes von der Neo-Tropicalia-Band O Terno, berichtet voller Stolz von dem Moment, als er ebenjenen Caetano Veloso auf einem seiner Konzerte in der zweiten Publikumsreihe entdeckte.
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Die britisch-nigerianische Rapperin Flohio hält eine glühende Eloge auf ihren Südlondoner Stadtteil Bermondsey, auch wenn sie sich hier als Teenager nicht gefahrlos auf die Straße wagen konnte, wenn die (weißen) Hooligans des örtlichen Fußballvereins unterwegs waren. Und Pak Yan Lau, belgische Komponistin mit chinesischen Wurzeln, lobt das multiethnische Kreativ-Chaos von Brüssel: „Hier habe ich das Gefühl, dass man mir die Hand reicht, wenn ich sie ausstrecke.“
Das Buch endet, wie das Week-End Fest angefangen hat, mit einer Hommage an den Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit. Der französisch-katalanische Komponist Pascal Comelade, in Deutschland seit seiner Filmmusik zu Andreas Dresens „Sommer vorm Balkon“ bekannt, braucht dafür keine Worte, er hat zwei wilde Verehrungsbilder gemalt, in bester Fan-Tradition.