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BuchmarktDas Geschäft mit dem Rauhnächte-Kult

Lesezeit 5 Minuten
In den Buchhandlungen stapelt sich die Rauhnächte-Titel.

In den Buchhandlungen stapelt sich die Rauhnächte-Titel.

In den sozialen Medien boomen die Rauhnacht-Rituale, und die Verlage werfen immer neue „Rauhnächte“-Titel dazu auf den Markt. Was macht diesen Volksglauben für die Zeit zwischen den Jahren so attraktiv?

Suchen Sie nach innerer Ruhe, Harmonie und Veränderung in Ihrem Leben? Wer tut das nicht! Wahrscheinlich verkaufen sich die Rauhnächte-Bücher deswegen auch so gut. Denn mit solchen (oder ähnlichen) Fragen beginnen die meisten Klappentexte dieser Publikationen, die sich gerade auf den Tischen der Buchhandlungen stapeln. Jedes Jahr erscheinen mehr davon und inzwischen kann man von einer Rauhnacht-Industrie sprechen. Denn neben Titeln wie „Die weibliche Energie der Rauhnächte: Eine magische Reise für Frauen“ oder „Vom Zauber der Rauhnächte“ gibt es auch noch das passende Zubehör wie ein „Set mit 12 verschiedenen Qualitäts-Räucherungen“, einen „Rauhnächte Kalender“, Räucherschalen oder „Heiliges Naturholz zum Verbrennen und Reinigen, Premiumqualität aus Peru.“

Bis vor ein paar Jahren konnten nur besonders eingefleischte Esoteriker etwas mit dem Begriff Rauhnächte anfangen. Doch dann erlebten der alte Volksglaube einen beispiellosen Hype – ein Ende ist nicht abzusehen. Die Frage nach dem Warum ist – wie bei vielen Trends – nicht eindeutig zu beantworten. Warum essen plötzlich alle Dubai-Schokolade? Eine Antwort lautet aber definitiv: Gutes Marketing. Und so ist es kein Wunder, dass auch die sozialen Medien voll von Rauhnacht-Ritualen sind.

Die Herzen in den Marketingabteilungen schlagen höher

Auf Instagram bietet Alessandra Meyer-Wölden – Model, Schmuckdesignerin und Exfrau von Oliver Pocher (bekannt geworden als Sandy) – in Köln den Kurs „Deine magischen Rauhnächte 2024/2025“ an – unter anderem mit einer von ihr geführten Meditationen „für tiefe Transformation“. Und auch die Influencerin Louisa Dellert mit 560.000 Followern feiert in einem Video zu sphärischen Klängen und Kerzengeflacker die „zwölf ganz magischen Nächte“ zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar.

Diese Daten lassen natürlich auch die Herzen in den Marketingabteilungen höherschlagen. Denn Bücher für die Zeit zwischen den Jahren eignen sich hervorragend als Weihnachtsgeschenk – am besten noch mit einem hübschen Set Räucherstäbchen dazu. Dann lösen noch viele nach dem Fest ihre Gutscheine in den Buchhandlungen ein. Und wer irgendwie kann, hat Urlaub, endlich mal Zeit zu Lesen und vielleicht auch gute Vorsätze in Richtung Achtsamkeit.

Jenseits solcher nüchternen Verkaufsstrategien scheint es offenbar aber gerade auch ein tiefes gesellschaftliches Bedürfnis nach Magie zu geben. Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine, eine machtlose Bundesregierung, gesellschaftliche Spaltung, rechte Parteien im Aufwind und ein zwielichtiger neuer US-Präsident – wer würde diesen bösen Geistern nicht gerne mit ein paar Räucherstäbchen den Gar aus machen? Denn das war wohl der eigentliche Ursprung der Rauhnächte: Mit Räuchern das Haus vor fiesen Dämonen zu schützen.

Es gibt viele Theorien dazu, woher dieser Volksglaube kommt. Manche Bräuche reichen bis in die vorchristliche Antike zurück, heidnische und christliche Traditionen mischten sich dann im Laufe der Zeit. Die Vorsilbe „Rauh“ bezieht sich entweder auf den Rauch. Oder auf das mittelhochdeutsche „rûch“, was „haarig“ bedeutet und mit dem bayerisch-österreichischen Brauchtum in den Alpen verbunden ist. Dort gibt es pelzige Sagen-Gestalten, die das alte Jahr oder den Winter austreiben sollen.

Furchterregende Gestalten treiben ihr Unwesen während der Rauhnächte im Bayerischen Wald.

Furchterregende Gestalten treiben ihr Unwesen während der Rauhnächte im Bayerischen Wald.

Die Zahl der zwölf Nächte ergibt sich auf jeden Fall dadurch, dass ein Kalender, der sich allein am Lauf des Mondes orientiert, zwölf Nächte kürzer ist als unser Sonnenkalender. Diese Zeit war also quasi übrig und galt als „tote Zeit“ – und ein bisschen fühlt sich das ja immer noch so an: Eine Mischung aus vollgefressener Lethargie, einem ungewöhnlich leeren Terminkalender und der Melancholie der Vergänglichkeit. Schon wieder ein Jahr vorbei.

Obwohl das Wort eigentlich aus der Energiewirtschaft stammt, trifft „Dunkelflaute“ dieses Lebensgefühl zwischen den Jahren perfekt –eigentlich beschreibt man damit eine Wetterlage, in der die erneuerbaren Energien nicht genug Strom produzieren. Aber den Menschen fehlt die Sonne schließlich genauso wie den Photovoltaikanlagen.

Jede Menge Rituale, Traditionen und Sagen

Für diese düsteren Zwischen-den-Jahren-Tage gibt es jede Menge Rituale, Traditionen und Sagen. Zum Beispiel glaubte man, dass Tiere in dieser Zeit sprechen können. Das könnte eine eher unerfreuliche Unterhaltung werden, mit dem überzüchteten Mops zu Hause oder den Schweinen aus der Massentierhaltung. Außerdem soll man keine Wäsche aufhängen, was ja auch bedeutet, dass man keine Wäsche waschen sollte. Nicht der schlechteste Aberglaube also, wenn man mit Weihnachtskeksen und Wolldecke auf dem Sofa liegt. Der Hintergrund ist allerdings weniger gemütlich: Man dachte früher offenbar, die Dämonen könnten sich darin verfangen, oder wilde Reiter könnten Bettlaken als Leichentücher zweckentfremden. In die dann derjenige, der es aufgehängt hat, eingewickelt wird.

Sehnsucht nach Spiritualität

Verkaufsargument für die Rauhnächte-Bücher ist vor allem eine kreative Mischung aus allen Innerlichkeits-Schlagworten der letzten Jahrzehnte: Resilienz, Achtsamkeit, Innerlichkeit, Wellness: „Stell dir vor, du könntest endlich zur Ruhe kommen und dich nur um Dich selbst kümmern. Die Rauhnächte bieten genau diesen Raum – 12 Nächte voller Magie, Intuition und Selbsterkenntnis“, verspricht ein Klappentext. Das Christentum bedient diese Sehnsucht nach Spiritualität offensichtlich nicht mehr – und Menschen wie Alessandra Meyer-Wölden und die Buchverlage füllen diese profitable Lücke gerne, die die Kirchen hinterlassen haben.

Besonders populär ist das „Ritual der 13 Wünsche“: Man schreibt die Wünsche für das kommende Jahr auf kleine Zettel, legt sie in eine Schale und zieht ab dem 25. Dezember jede Nacht einen davon, um ihn ungelesen zu verbrennen. So übergibt man die Wünsche angeblich „dem Universum“. Um den Zettel, der übrig bleibt, muss man sich laut Ritual allerdings selbst kümmern. Und um den ganzen Rest – wenn der Rauch sich am Neujahrsmorgen verzogen hat – wohl leider auch. Egal, wie viele Ratgeberbücher und Orakelkarten man kauft.