„Bully“ Herbig über „Tausend Zeilen“-Film„Es geht um Lüge, das hat mich gereizt“
Im Kino ist seit Donnerstag Michael „Bully“ Herbigs neuer Film „Tausend Zeilen“ zu sehen, eine Mediensatire, die den Skandal um den „Spiegel“-Journalisten Claas Relotius zum Inhalt hat. Dieser galt lange als Ausnahmetalent, bis herauskam, dass er seine Reportagen über weite Teile erfunden hatte. Dem Film zugrunde liegt das Buch von Juan Moreno „Tausend Zeilen Lüge“, der seinem Kollegen Relotius im Jahr 2018 auf die Schliche gekommen war.Herr Herbig, wie schafft man es, einen Stoff spannend zu erzählen, wenn man doch weiß, wie es ausgeht?Herbig: Guter Punkt. Aber das war ja schon bei meinem Film „Ballon“ nicht ganz einfach. Jetzt bei „Tausend Zeilen“ war es von Vorteil, dass es um die Lüge geht. Das war es auch, warum mich der Stoff von Anfang an so interessiert hat. Hier geht es um Unwahrheiten und Wahrheiten, um Fakten, die man aber auch verdrehen kann. Das lässt sich wunderbar ausnutzen.
Natürlich aus praktischen Gründen?
Klar, wir können immer wieder Haken schlagen, so dass selbst Leute, die das Buch von Juan Moreno gelesen haben, im Kino sitzen und sich fragen: Das habe ich so aber anders in Erinnerung. Also steckt der Film auch für dieses Publikum voller Überraschungen. Und für die Leute, die von dem Fall noch nie gehört haben, ist es eh spannend.
Wie weit sind Sie am Drehbuch beteiligt gewesen?
Der Ausgangspunkt war der Relotius-Skandal. Als ich davon hörte, dachte ich sofort: Das ist mein nächster Film. Es gab noch kein Drehbuch und ich kannte auch keine Details. Trotzdem hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie der Film aussehen sollte, vor allem in Bezug auf Tempo, Timing, Temperatur.
Der Kreativknoten musste bei Ihnen also gar nicht erst platzen?
Genau, schon beim ersten Treffen hatte ich szenische Ideen im Kopf.
Wo bewegt der Film sich weg von der Realität in Morenos Buch?
Im Buch begegnen sich die beiden Protagonisten nicht. Für die filmische Erzählung war das aber langweilig, es fehlte so etwas wie ein Showdown. Wenigstens einmal will man doch eine Konfrontation zwischen den beiden sehen. Ich finde, wir haben das sehr unterhaltsam gelöst. Es ist einfach toll, wenn man für einen Film alle stilistischen Freiheiten hat.
Was heißt das?
Wenn Du eine Geschichte über ein Nachrichtenmagazin drehst, dann eröffnen sich enorme Spielräume für Elemente wie Grafiken, eingefrorene Bilder, Schnitt-Rhythmus. Ich sitze ja sowieso gern im Schneideraum. Das ist ja eigentlich mein Lieblingsplatz. Und auch da kamen beim Schneiden immer wieder neue Ideen hinzu. Das zog sich durch bis zum Schluss, bis hin zur Tonbearbeitung.Im Prinzip ist das also ein Hitchcock-Film – ein Thriller, der seine komischen Seiten hat.Das ist aber ein schmeichelhafter Vergleich! Trotzdem tu ich mich mit der Genrezuordnung schwer. Ich finde auch Mediensatire nicht richtig. Unterm Strich finde ich es eher zeitgemäß, dass man sich auch mal von dem Genregedanken löst, wenn es die Geschichte erlaubt. Ich würde „Tausend Zeilen“ als stabilen Film bezeichnen.
Ist das ein Film, der nicht auf Preise, sondern aufs Publikum zielt?
Ich ziele immer aufs Publikum, grundsätzlich und auf nichts anderes. Natürlich ist es für mich das Größte, wenn dem Publikum der Film gefällt.
Unterscheidet sich das Kino in dieser Frage vom Journalismus?
Journalismus muss nicht gefallen. Warum schreibt man, warum ist man Journalist, warum erzählt man Geschichten? Was ist die Motivation? In diesen Punkten unterscheidet sich der seriöse Journalist vom Geschichtenerzähler. Es gibt doch dieses Zitat: Eine gute Recherche zerstört die schönste Geschichte. Sobald du aber etwas veränderst oder so drehst, dass es schöner klingt, verfälschst du es. Das ist natürlich verlockend, aber als Reporter muss man sich im Klaren darüber sein, was man da tut. Wenn man es aufregender macht oder dramatisiert, sind es keine Fakten mehr.
Deswegen bin ich lieber Geschichtenerzähler. Und das weiß auch jeder.
Es gibt im Film immer wieder verblüffende Einfälle, etwa wenn der von Elyas M’Barek gespielte Reporter sich während einer Kollegenschelte buchstäblich auf einer Schulbank wiederfindet.
Ja, das sind kleine Metaphern, inspiriert durch Morenos Buch, Da schreibt er zum Beispiel: Ich fühle mich wie ein Schüler. Oder an anderer Stelle, wo er sich vorkommt wie der Komplize bei einem Banküberfall. Ich hab dann gesagt, lass uns das doch genau so bebildern.
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Entspricht „Tausend Zeilen“ Bully Herbigs Idee von einem Helmut-Dietl-Film?
Also, Helmut Dietl ist Helmut Dietl. Seine Filme klangen ja auch wie er. Heißt, die Protagonisten in seinen Filmen haben wie er gesprochen. Das kann man nicht kopieren. Nehmen wir jetzt „Schtonk!“, bei diesem Film könnte man auf die Idee kommen, dass der mit „Tausend Zeilen“ artverwandt ist. „Schtonk!“ ist einer meiner Allzeitlieblingsfilme, aber es ist auch ein Film aus den frühen 90er Jahren. Man kann sich diesen Film heute immer noch anschauen, aber er ist in seiner Machart nicht mehr zeitgemäß. Deshalb gibt es stilistisch auch einen Riesenunterschied zwischen „Schtonk!“ und „Tausend Zeilen“.
Wie geht man als Filmemacher fürs Kino mit einer zwischenzeitlich etablierten Sehgewohnheit um, die Geschichtenerzählen nur noch im Serienformat akzeptiert?
Ich bin kein großer Serienfan. Ich wüsste auch gar nicht, wann ich das alles gucken soll. Ich habe auch oft den Eindruck, dass manche Folgen in die Länge gezogen werden, um Strecke zu machen. Vielleicht um auf seine 30 oder 45 Minuten zu kommen. Und das ist in meinen Augen die falsche Priorität.Ihr Film ist eher kurz. Entspricht das Ihrem Gespür für Timing?Das kommt zwar immer auf das Genre an, aber grundsätzlich habe ich nichts gegen eine gute Geschichte, die in 90 Minuten erzählt wird.
Steckt eine persönliche Moral in dem Film?
Jedenfalls hatte ich zu keinem Zeitpunkt ein Journalisten-Bashing im Sinn. Natürlich geht es in dem Film ironisch zu, manchmal auch böse oder zynisch. Trotzdem halte ich den seriösen Journalismus für absolut unverzichtbar. Wenn aber ein seriöses Nachrichtenmagazin mit zum Teil erfundenen Reportagen um die Ecke kommt, richtet das einen massiven Schaden an. Weil es Vertrauen missbraucht. Die kleinste Verfälschung kann dir auf die Füße fallen und den falschen Leuten in die Karten spielen.
Also steckt Moral im Film.
Im Grunde ist das eher ein Appell an jeden Journalisten: Bleibt bei der Wahrheit! Das sind gerade merkwürdige Zeiten mit viel zu vielen Fake-Nachrichten. Auf der anderen Seite war es aber auch ein Reporter, der das alles aufgedeckt hat. Man kann also nicht pauschal von der „Lügenpresse“ sprechen. Es liegt am Reporter selbst, ob wir die Wahrheit erfahren.
Ist es für Sie als Künstler nicht ebenso gefährlich, irgendeiner Meinung auf die Füße zu treten und damit einen Shitstorm auszulösen?
Das war ja schon immer so, aber die Empörung wird immer reflexartiger. Ich würde mir da schon mehr Fingerspitzengefühl wünschen. Die Leute können sich ja ruhig empören, man kann über alles diskutieren, Dinge hinterfragen. Das Zuhören sollte man dabei aber nicht ganz vergessen. Wenn alle durcheinander schreien, dann versteht man niemanden mehr.