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Bundeskunsthalle BonnSusan Sontag und der Reiz der Oberfläche

Lesezeit 4 Minuten
Susan Sontag hat sich in dieser Schwarz-Weiß-Fotografie auf einer Decke ausgestreckt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt.

Susan Sontag im Porträt des Fotografen Peter Hujar

Die Bonner Bundeskunsthalle widmet der New Yorker Intellektuellen Susan Sontag eine klug konzipierte Ausstellung. 

Ein Bein hat sie an die Seite des Sofas gewinkelt, das andere über dessen Rückenlehne geworfen. Ihr nackter Fuß baumelt in der Luft, der Kopf gräbt sich in die Mitte der Sitzfläche. Mit einer Hand wuschelt sie in ihrem dichten, schwarzen Haar, die andere ruht im Schritt. So entspannt fläzend, so ungeniert sinnlich hat Annie Leibovitz Ende 1988 ihre Lebensgefährtin Susan Sontag fotografiert.

Publiziert hat Leibovitz die Aufnahme erst acht Jahre nach dem Krebstod der Geliebten im Dezember 2004. Es ist ein völlig untypisches Bild Sontags, die ihr Leben stets als Experiment und Projekt betrachtete, dessen Außenwirkung aber streng kontrollierte. „Nimm eine bessere Körperhaltung ein“, ermahnte sich die 24-Jährige zu ihrem Geburtstag im Tagebuch.

Susan Sontag war das Musterbeispiel einer öffentlichen Intellektuellen

Susan Sontag war das Musterbeispiel einer öffentlichen Intellektuellen, war sich ihrer Genialität und ihrer Fotogenität gleichermaßen bewusst, posierte selbstsicher vor jeder Kamera – in der Bundeskunsthalle kann man sie exakt so in einem „Screen Test“ von Andy Warhol aus dem Jahr 1964 bewundern. „Sie sah gut aus“, bemerkte der Pop-Art-Guru, „schulterlanges glattes dunkles Haar und große dunkle Augen, und ihre Kleidung saß extrem gut.“ Eine New Yorker Ikone, eine Anti-Marilyn. Aber zugleich eine sehr private, ja scheue Person.

Das Bonner Museum beleuchtet in einer biografischen Ausstellung das Leben und Wirken Sontags. Wie schon bei seinen Ausstellungen zu Hannah Arendt (die von Sontag bewundert wurde) und Simone de Beauvoir (neben der sie in Montparnasse beigesetzt wurde) gilt auch hier: Die Schau ersetzt das Lesen nicht. Bestenfalls regt sie dazu an.

Dennoch eignet sich Sontags Denken im besonderen Maß für den visuellen Zugang. Wenige Autoren widmete sich mit vergleichbarer Tiefe dem Reiz der Oberfläche, haben genauer beschrieben, wie sich unser Bild von der Welt aus Bildern dieser Welt zusammensetzt.

Susan Sontag beschwor eine Erotik der Kunst

„Sehen und gesehen werden“ hat Kuratorin Kristina Jaspers die Ausstellung genannt und sie entlang dieser Redewendung konzipiert, die ja davon erzählt, dass man sich mit Schaulust und Neugier in der Gesellschaft bewegt. Dies jedoch mit geschärften Bewusstsein dafür, welche Gefahren so ein Spiegelkabinett birgt: „Das Problem ist nicht“, konstatierte sie, „dass die Leute sich an ein Ereignis erinnern mithilfe von Fotos. Das Problem ist, dass sie sich nur an die Fotos erinnern.“

Diese Ambivalenz zieht sich durch das gesamte Werk, sie eröffnet Sontag erst den Raum zur Reflexion. Obwohl ihr die Vernunft sage, dass die Kamera nicht wie ein Gewehrlauf auf ihren Kopf gerichtet ist, schreibt Sontag etwa 2001 in einem Essay, habe sie doch jedes Mal, wenn sie für ein Fotoporträt sitze, ein ungutes Gefühl, als sei ihr Bewusstsein „nur noch ein peinlich berührter Klumpen Befangenheit, der um Fassung ringt“. Als Ekko von Schwichow sie ein paar Jahre zuvor in einem Berliner Hotel während einer Fotosession fragt, ob er ihre Geduld nicht überstrapaziere, antwortet Sontag dagegen völlig unbefangen: „Nein, ich beobachte Fotografen gern bei der Arbeit.“

Das Problem ist nicht, dass die Leute sich an ein Ereignis erinnern mithilfe von Fotos. Das Problem ist, dass sie sich nur an die Fotos erinnern.
Susan Sontag

Gesehen zu werden, ist kein Problem, solange sie zurückgucken kann. Jahrzehnte bevor Kunstgeschichtler den „pictorial turn“ oder die „ikonische Wende“ beschworen, hatte Sontag diesen Richtungswechsel längst vollzogen, beschwor in ihrem Essay „Against Interpretation“ (1966) eine „Erotik der Kunst“, wie man sie etwa in Edward Westons unverschämt sinnlichen Fotostudien von Gemüse fände – die gibt es in Bonn auch zu sehen. Es ging ihr um einen ungeschützt sinnlichen Zugang zur Welt, bevor der Intellekt das (Kunst-)Erlebnis interpretatorisch einhegen und damit recht eigentlich vernichten könne.

Die Kuratorin hat einen Plattenspieler mit einem Album der Supremes neben eine Collage von Robert Rauschenberg aufgestellt, als Illustration eines berühmten Sontag-Postulats, in dem sie das Gefühl, das von einem Bild des Künstlers evoziert wird, mit dem, das von einem Lied des Motown-Trios hervorgerufen wird, gleichsetzt. Die Aussage, informiert eine Texttafel, habe eine Welle der Empörung ausgelöst. Selbst Pop-Art war ja Hochkultur, während Pop noch langen nicht als Kultur galt. Wenn man das heute nur noch schwer nachvollziehen kann, liegt das auch daran, dass wir in Susan Sontags Welt leben.

Mehr noch als von der Musik oder der Kunst ließ sie sich vom überwältigenden Bilderlebnis des Kinos hinreißen. Hier, schreibt sie, könne man lernen, „wie man stolziert, raucht, küsst, kämpft, trauert“. Die Kinoerfahrung, in der man sich in anderen Gesichtern und fremden Leben verliere, verkörpere eine umfassendere Form des Begehrens.

Wie besessen sammelte Sontag Fotos von Hollywoodstars und dekorierte damit ihre Wohnung, weil sie ihr das Gefühl gaben, dass nicht nur hässliche, bleierne Menschen die Welt bevölkern, sondern auch wunderschöne.   Dieser Ästhetizismus lässt sich freilich nicht auf Lebensstrecke durchhalten – wie Sontag ihre Positionen korrigiert oder gar revidiert, zum Beispiel im Fall des fotografischen Werks von Leni Riefenstahl oder angesichts der eigenen Krebserkrankung, der sie einen ihrer wichtigsten Texte abtrotzte: „Krankheit als Metapher“. Jeder Mensch besitze eine doppelte Staatsbürgerschaft, heißt es am Anfang des Buches, „im Reich der Gesunden und im Reich der Kranken“.

„Susan Sontag. Sehen und gesehen werden“, bis 28. 9., in der Bundeskunsthalle Bonn