AboAbonnieren

Interview

c/o-pop-Chef Norbert Oberhaus
„Ein Viertel aller deutschen Clubs sind in NRW – und die meisten davon in Köln“

Lesezeit 8 Minuten
Norbert Oberhaus sitzt hinter einem Laptop und gestikuliert mit den Armen.

Norbert Oberhaus, Gründer und Geschäftsführer der c/o pop

Am 24. April startet die 21. Ausgabe der c/o pop. Warum die viel mehr ist, als ein Musikfestival, erklärt Norbert Oberhaus im Gespräch.

Norbert Oberhaus, vor 20 Jahren haben Sie die c/o pop gegründet. Es ist schon bemerkenswert, dass es das Festival noch immer gibt, aber es hat ja noch zu so viel mehr geführt.

Norbert Oberhaus: Als wir damals mit der c/o pop angefangen haben, waren wir ein Stück weit von gekränktem Lokalpatriotismus getrieben. Wir wollten die Lücke der nach Berlin abgewanderten PopKomm mit neuem Leben füllen. Aber es war immer klar, dass wir das nicht allein schaffen werden, dass wir dafür Unterstützung und neue Strukturen brauchen. Zu den ersten Maßnahmen gehörte nach fünf Jahren c/o pop 2009 das Kreativzentrum cc4711 auf der Venloer Straße zu gründen, in welchen sich immerhin 50 verschiedene Unternehmungen aus der Musik- und Kreativwirtschaft zusammenfanden. Das war gewissermaßen ein Grundstein für das, was wir heute in Ehrenfeld an Kreativszene haben. 2010 haben wir die Klubkomm, den Verband Kölner Clubs und Veranstalter*innen mitgegründet und 2012 für das Land NRW ein Popförderkonzept entwickelt, auf dessen Basis dann popNRW als Förderinstitution und der popNRW Preis als einer der best dotierten und renommiertesten Auszeichnungen für Popmusiker*innen in Deutschland entwickelt wurden. Unter den seither prämierten Künstler*innen und Bands finden sich so prominente Namen wie Giant Rooks, Goldroger, Iuma, International Music oder Blumengarten.

Man vergisst gerne, dass damals viele Popmusiker ihre Unabhängigkeit durch Förderung gefährdet sahen und viele Clubbesitzer Angst vor Vereinsmeierei hatten. Warum haben Sie das anders gesehen?

Mir war immer klar, dass wir ein großes Netzwerk brauchen. Wir mussten uns organisieren, um als gewichtige Stimme gehört zu werden, wenn wir gegenüber der Stadt und auf Landesebene unsere Interessen nachhaltig vertreten wollen. Hinzu kam, dass es seitens der etablierten Kultur Widerstände gegen die Belange der Popkultur gab. Und die haben wir durchbrochen.

Woran merkt man das heute?

Das merkt man zum Beispiel daran, dass jetzt in Ehrenfeld der Kulturraumschutz erweitert wurde, um den Fehler, den die Stadt mit dem Ehrenfeldgürtel-Gebäude gemacht hat, zu korrigieren.

Und den Bestand von Artheater, Club Bahnhof Ehrenfeld und Bumann & Sohn zu sichern …

Die Klubkomm hatte bereits 2018 gemeinsam mit der IHK Köln ein Klubkataster auf den Weg gebracht, damit die Stadt bei ihren Bebauungsplänen sofort sehen kann, ob es an der jeweiligen Stelle oder in direkter Nachbarschaft einen Club oder anderen Veranstaltungsort gibt.

Popmusik und Popkultur spielte auf Landesebene lange Zeit gar keine Rolle.
Norbert Oberhaus

Dieses Kölner Modell haben Sie inzwischen auf ganz NRW ausgeweitet.

Das war langwieriger und schwieriger Prozess, denn Popmusik und Popkultur spielte auf Landesebene lange Zeit gar keine Rolle. 2017 ist es dann gelungen, das Thema erstmals parteiübergreifend zu platzieren. Für die Idee und Notwendigkeit eines PopBoards NRW hatten wir zuvor vergeblich beim Kulturministerium und der Staatskanzlei geworben, aber damals hieß es: Pop, die haben doch genug Geld. Mittlerweile haben wir es in das Kulturgesetzbuch NRW geschafft, und auch im Koalitionsvertrag zwischen Grünen und CDU ist das PopBoard NRW als zuständige und zu fördernde Organisation erwähnt.

Worum geht es beim PopBoard NRW?

Wir haben 2020 so gut wie alle Netzwerke und Verbände aus dem Bereich Pop in NRW an einen Tisch gebracht und eine Firma gegründet, die PopBoardNRW UG. Deren erste Aufgabe bestand darin, Inventur zu machen: Was gibt es denn alles an Popkultur in NRW? Wir haben auf einer Karte alle Festivals, alle Clubs, alle Labels, also alles, was es im Bereich Popmusik gibt, erfasst. 1200 Adressen, die man dann etwa nach Orten oder Genres filtern kann.

Was hat Sie nach der ersten Erhebung überrascht?

Erstaunlich war die große Zahl an Clubs - es gibt über 400 in NRW und dazu noch 350 Festivals. Ein Viertel aller Clubs und Festivals in Deutschland sind somit in NRW beheimatet. Unsere nächste Aufgabe war es, die unterschiedlichen Förderstrukturen in den jeweiligen Orten zu untersuchen. In Köln gibt es zum Beispiel ein Referat für Popularmusik, das im Kulturamt angesiedelt ist. Woanders findet man die Popförderung bei der Stadtentwicklung oder im Wirtschaftsdezernat. Dann haben wir eine Umfrage unter den Musikschaffenden gemacht und zuletzt eine Musikwirtschaftsstudie in Auftrag gegeben. Jetzt entwickeln wir ein Handlungskonzept. Mit dem Ziel, den Pop noch stärker zu institutionalisieren, bestenfalls mit einem Referat im Kulturministerium mit eigenem Etat, damit man nicht immer bei Leuten, die eigentlich für Jazz und Neue Musik zuständig sind, am Katzentisch sitzt und darauf warten muss, was vom Teller fällt.

Natürlich gibt es genug tolle Musikerinnen – du musst ihnen nur eine Bühne geben.
Norbert Oberhaus

Noch einmal kurz zur Umfrage. Ins Auge fällt, wie groß der Gender-Gap zwischen männlichen Musikern und weiblichen oder diversen Musikerinnen immer noch ist.

Ja, da ist auffällig und ernüchternd. Bei c/o pop ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, dass der Anteil von Musikerinnen bei über 50 &% liegt. Aber das ist in vielen anderen Strukturen offensichtlich noch nicht der Fall. Gerade hier liegt eine wichtige Aufgabe für das PopBoard. Da geht es dann weniger um Geld, als um Bewusstsein und Haltung. Natürlich gibt es genug tolle Musikerinnen – du musst ihnen nur eine Bühne geben.

Die meisten Musiker und die größte Anzahl an Clubs gibt es in Köln. Kommt bei solch einem Übergewicht nicht im Rest von NRW automatisch Unmut auf?

Natürlich wird in einem Flächenland wie NRW auf Köln immer ein bisschen kritisch geschaut. Aber die c/o pop hat sich nun einmal als Leuchtturmveranstaltung auf Bundesebene etabliert. Und es wird ja auch sehr deutlich, dass wir mit den Bundesmitteln, die wir bekommen, auch etwas unternehmen, das auf den ganzen Standort und seine Protagonist*innen einzahlt. Wir haben die c/o pop auf ein Niveau gehoben, dass auch die Branche aus Berlin und Hamburg sowie aus dem Ausland gerne wieder nach Köln kommt. Das PopBoard wiederum trägt dazu bei, dass die spezifischen Bedürfnisse in der Fläche und den ländlichen Regionen ebenfalls gesehen und erkannt werden. Wir reisen herum, machen Kooperationen, nehmen Geld in die Hand und organisieren ein kleines Festival oder einen Talk über die Situation vor Ort. Unser Anspruch ist es, für den ganzen Standort NRW zu sprechen.

Welche anderen Stellschrauben gibt es noch neben Fördergeldern?

Es geht generell darum, Vorschläge einzureichen, wie eben den, dass es einen eigenen Referenten für Popmusik im Kulturministerium geben sollte. Wir empfehlen zudem, dass sich das Referat Kreativwirtschaft im Wirtschaftsministerium und das Musikreferat im Kulturministerium enger miteinander abstimmen. Wir müssen das Bewusstsein in die Politik tragen, was Popkultur für den Standort NRW bedeutet. Junge Leute ziehen in die Städte, in denen es eine funktionierende Veranstaltungs- und Clubkultur gibt. Deswegen siedeln sich Start-ups nicht zuletzt auch in Ehrenfeld an und es werden Arbeitsplätze geschaffen.

Und dann gibt es noch den Wettbewerb mit den anderen Bundesländern.

Bislang galten wir mit der c/o pop oft als die NRW-Vertreter, aber das waren wir ja offiziell gar nicht. Erst mit dem PopBoard können wir auf Bundesebene mit einer Stimme für NRW sprechen. Deswegen bin ich auch 2018 in den BV Pop gegangen, den Bundesverband Popularmusik, der alle Fördereinrichtungen in Deutschland vereint. 2020 haben wir mit dem BV Pop zum ersten Mal zum Pop-Summit nach Köln geladen, dieses Jahr treffen wir uns in Zusammenarbeit mit der Initiative Musik einen Tag vor der c/o pop wieder mit bis zu 200 Pop-Förderern aus ganz Deutschland in Köln. Auch das trägt zur Stärkung des Standorts bei. Dass die c/o pop etwas richtig macht, kann man auch schon daran erkennen, dass unser Konzept aus Festival und Branchenveranstaltung gerne als Blaupause kopiert wird.

Da muss man aufpassen, dass man nicht irgendwann überholt wird. Die c/o pop hat reagiert, in dem sie sich brutalstmöglich verjüngt hat.

Wir haben vier Entscheidungen getroffen: Wir sind konsequent nach Ehrenfeld gegangen. Wir haben das Festival auf die Straße gebracht, um die Sichtbarkeit zu erzielen. Wir haben gesagt, Popkultur ist nicht nur Musik, sondern noch viel mehr. Und ich habe eingesehen, dass ich loslassen und das Vertrauen haben muss, 25-Jährige das Programm machen zu lassen. Davon hat mich unsere Festivaldirektorin Elke Kuhlen überzeugt und die richtigen Leute an Bord geholt. Natürlich war auch ich zu Anfang unsicher, aber der Erfolg gibt uns recht: Wir waren letztes Jahr ausverkauft und auch in diesem Jahr sieht es ganz danach aus, als könnten wir den Erfolg wiederholen.

Womit wir wieder beim Anfang unseres Gespräches wären: Die c/o pop geht in ihr drittes Jahrzehnt, weil sie sich verändert hat.

Wenn Du als Festival überleben willst, gehst Du in den Mainstream wie zum Beispiel Rock am Ring oder zielst konsequent auf ein Genre und seine Fans ab wie etwa Wacken – oder aber du holst die jungen Leute da ab, wo sie mit ihrem Lebensgefühl sind. Wir werden jetzt, wegen unserer Kompetenz, die jungen Leute zu erreichen, immer mehr als Dienstleistungsagentur und Berater nachgefragt. Dazu haben wir jetzt eigens eine kleine Agentur gegründet, auch als neues Standbein, weil man sich nicht immer nur auf Fördergelder verlassen kann.