Berlin/Köln – Helfen mehr Waffen und ein größeres Militärbündnis Nato gegen den Krieg in der Ukraine? Und welche Ziele hat der Westen überhaupt in diesem Krieg? Darüber diskutierte die Talk-Runde von Anne Will am Sonntagabend. Anlass war der geplante Nato-Beitritt von Finnland und Schweden, der allerdings noch vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan blockiert wird. Die zentrale Frage: Ist ein starkes Militärbündnis des Westens die richtige Antwort auf Putin – oder birgt es neue Gefahren?
Dazu diskutierten in der ARD-Talkshow SPD-Bundestagsabgeordneter Michael Roth, CDU-Politiker und Oberst a.D. Roderich Kiesewetter, die deutsch-ukrainische Publizistin Marina Weisband, Jan van Aken (Die Linke) und Militärexperte und Professor an der Universität der Bundeswehr Carlo Masala.
Militärexperte Masala fordert Definition von westlichen Zielen in Ukraine
Masala stellte eine zentrale Frage in den Raum: „Wie weit sind wir als Nato, als EU, bereit zu gehen in der Unterstützung der Ukraine?“. Denn diese Frage sei aus seiner Sicht nie von den westlichen Partnern beantwortet worden. Dabei sei es aus Sicht des Professors erforderlich, dass man sich klar werde, wofür man die Ukraine unterstützt: Sollte man Russland Gebiete wie den Donbass und die Krim zugestehen? Sollte man Russland so sehr schwächen, dass es nie wieder fähig ist, einen Krieg zu starten?
Die westliche Linie müsse aus Masalas Sicht erst geklärt sein. Erst dann könne es eine passende Unterstützung für die Ukraine geben. Moderatorin Anne Will hakte nach: „Ist das ein Fehler?“ „Es ist ein Problem“, sagte Masala.
Jan van Aken: „Das ist das Gegenteil von Sanktionen“
Auch Linken-Politiker Jan van Aken forderte, dass das „Kriegsziel“ endlich klar definiert werde. Allerdings hält er es für einen Fehler, dass Nato, EU und Deutschland drei Monate lang über eine Unterstützung der Ukraine mit Waffen diskutiert haben. Die viel stärkere Waffe sind aus seiner Sicht Sanktionen. „Jeden Tag, auch am Tag nach Butscha, überweisen wir 320 Millionen Euro für das russische Öl“, sagte van Aken, „das ist das Gegenteil von Sanktionen.“
Er forderte, dass Russland nicht militärisch, sondern wirtschaftlich härter getroffen werden sollte, um weitere Angriffe Russlands zu stoppen: „Denn das funktioniert viel schneller, das funktioniert auch viel effektiver.“ Militärexperte Masala widersprach mit einem Grummeln und Kopfschütteln, Michael Roth warf ein, dass es ja bereits fünf Sanktionspakete gebe.
Carlo Masala: „Das Problem der Ukraine wird ihr Erfolg sein“
Für den Moment des Abends sorgte Carlo Masala. Der Militärexperte warf die These in den Raum, dass der Erfolg der Ukraine gleichzeitig ihr Problem werde. Masala meinte damit, dass je länger der Krieg dauert, desto geringer die internationale Unterstützung für die Ukraine sein wird. „Wir laufen jetzt auf einen langwierigen Abnutzungs- und Stellungskrieg zu.“ Laut Masala würde käme es dann zunehmend zu „einem vergessenen Krieg“. „Irgendwann werden die Amerikaner den Preis als zu hoch empfinden“, deutete Masala an.
Die deutsch-ukrainische Autorin Marina Weisband, die bereits häufiger in TV-Talkshows rund um den Krieg in der Ukraine auftrat und auch Politikerin ist, konterte. Sie stellte gegen Masalas These, dass Putin erst für militärischen Nachschub sorgen müsse. Und wenn die EU jetzt schnell die versprochenen schwere Waffen liefern würde, gäbe es die Chance, die russischen Invasoren zurückzuschlagen. „Die Ukraine hat gezeigt, dass sie dazu in der Lage ist“, so Weisband.
Ähnliche Töne schlug auch CDU-Politiker Roderich Kiesewetter an. Er kritisierte den Kurs von Olaf Scholz als zögerlich und warf dem Bundeskanzler ein Spiel auf Zeit vor. „Die deutsche Industrie hat bereits am 28. Februar deutlich gemacht, dass sie sehr rasch um die 100 Leopard und um die 100 Marder ertüchtigen könnte.“ Bis heute gebe es aber keinen Auftrag. Auf die Frage, warum der Kanzler dies nicht mache, sagte Kiesewetter: „Ich denke, er spielt auf Zeit.“
Marina Weisband fordert deutlichere Positionen von Olaf Scholz
Weisband machte auch deutlich, dass sie sich klarere Positionen vom deutschen Kanzler erhofft hatte: „Ich hätte gerne vom Bundeskanzler gehört, dass er es direkt sagt: «Ich möchte, dass die Ukraine gewinnt». Es würde einem Bundeskanzler sehr gut tun, sich bedingungslos dahinter zu stellen.“ Doch wie kann so ein Sieg aussehen? Weisband sprach sich für eine Lösung für die Regionen Luhanks und Donezk sowie die Krim innerhalb von 15 Jahren aus – ein Plan, den auch die ukrainische Regierung verfolgt.
Sie kritisierte, dass es für sie keine klare Linie der deutschen Regierung gibt. Eine Kritik, der sich Olaf Scholz immer wieder ausgesetzt sieht. Die Rufe nach einer Reise des Bundeskanzlers nach Kiew sind laut – doch aktuell besucht Scholz Afrika und wirbt um Energie-Partnerschaften. Für Deutschland, nicht die Ukraine. (mit dpa)