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Chorkonzert in der Kölner PhilharmonieMan muss den Frieden selber stiften

Lesezeit 3 Minuten
09.01.2022, Köln: Sänger des Chors  Kölner Kurrende in der Philharmonie.

Sänger des Chors Kölner Kurrende

In der Kölner Philharmonie kamen mehrere Chöre zum Friedenskonzert zusammen.

Der Bitte um Frieden verleihen das Osnabrücker Sinfonieorchester und der großbesetzte Chor gleich zu Anfang gesteigerten Nachdruck mit eindringlich anschwellenden Crescendi und Glissandi. Der 1988 geborene estnische Komponist Riho Esko Maimets nimmt in seinem uraufgeführten „Da Pacem“ dann jedoch alles Drängen zurück. Ein intensives Pianissimo des großen Kollektivs macht die Vergeblichkeit des Wunschs angesichts allen Unfriedens und Kriegs in der Welt umso greifbarer. Frei von allem Bitten und Streben verbreitet die Musik schließlich mit zarten Liegetönen und weichen Tonpendeln von sich aus so etwas wie Frieden. Denn es hilft nichts, Frieden zu fordern, man muss ihn selber stiften. Herzlicher Beifall für eine Material, Form und Aussage stimmig verbindende Komposition.

Fast 140 Sängerinnen und Sänger aus verschieden

Maimetsʼ Novität eröffnete das Friedenskonzert „In Terra Pax“ der Reihe Kölner Chorkonzerte in der Philharmonie. Unter Leitung von Michael Reif sangen fast 140 Sängerinnen und Sänger erstaunlich homogen und dynamisch differenziert. Dabei stammten sie aus ganz verschiedenen Chören: Estonian Mixed Youth Choir, Jugendkantorei St. Marien Osnabrück, Europäischer Kammerchor Köln, Kölner Kurrende und Chören des Netzwerks Kölner Chöre. Denselben Luther-Text wie Maimets „Verleih uns Frieden gnädiglich“ hatte 1831 schon der 22-jährige Felix Mendelssohn Bartholdy vertont. Beginnend mit tiefem Pedalton der Orgel und solistischen Bässen und Violoncelli, schraubt sich der Bittgesang über die Bratschen immer höher zu Flöten, Klarinetten, Violinen. Der Weg „Aus Dunkelheit zum Licht“ gipfelt dann in einem auf Gottes Hilfe vertrauenden Choral.

Wie in einem endlosen Trauerzug

Frank Martin schreib „In Terra Pax“ während der letzten Kriegsmonate 1944/45. Der 1890 geborene Schweizer Komponist war einst Professor für Komposition an der Kölner Musikhochschule und ist vor fünfzig Jahren verstorben. Urgesendet wurde sein eindrucksvolles „Oratorium breve“ vom Auftraggeber, dem Schweizer Rundfunk, am 7. Mai 1945, dem Tag der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation von Nazi-Deutschland. Zu Anfang beschwören sieben gewichtige Blechbläserakkorde das „Buch mit sieben Siegeln“ aus der „Offenbarung des Johannes“, mit dem am Tag des Jüngsten Gerichts zu sieben Posaunen die sieben Schalen ihre sieben Plagen über die Welt ergießen. Martin zeichnet die biblische Vision der Apokalypse als die eigene kriegerische Gegenwart mit stampfendem Marsch und schreienden Dissonanzen. Das Untergangsszenario wendet er zu einem von Paukenschlägen unerbittlich vorangetriebenen Klagegesang. Wie in einem endlosen Trauerzug scheinen alle Opfer von Krieg und Gewalt vorüberzuziehen.

In die tiefste Verzweiflung dringt plötzlich die Hoffnung auf einen durch Vergebung gegründeten Frieden. Zu Versen aus Psalmen, Jesaja, der „Seligpreisung“ und dem „Vater unser“ aus dem Matthäus-Evangelium künden Röhrenglocken von himmlischer Rettung und Unisono-Gesänge von neuer Einigkeit unter den Menschen. Doch kurz vor Schluss dröhnen zu weiteren Versen aus der „Offenbarung“ nochmals die stampfenden Marschtritte des Anfangs. Die Schrecken von Apokalypse und Weltkrieg sind noch nicht überwunden. Endlich aber obsiegt die Hoffnung mit einem sanft strahlenden Dur-Schlussakkord: „Und siehe, ich mache alles neu“. Das Publikum spendete stehende Ovationen für Chormassen, Orchester, Dirigent und die allesamt ausgezeichneten Solistinnen und Solisten: Sopranistin Dorothea Brandt, Altistin Bettina Schaeffer, Tenor Johannes Mayer, Bariton Thomas Laske und Bassist Lucas Singer.