Am 16. Januar kommt Clint Eastwoods „Juror # 2“ in die Kinos. Milan Pavlovic („Steadycam“) über seine Highlights des Regisseurs.
Clint EastwoodZehn Filme, die Sie vom Altmeister Hollywoods gesehen haben sollten
Man weiß nicht, was schlimmer ist: Dass immer weniger Kinogänger Filme von und/oder mit Clint Eastwood im Kino erlebt haben; oder aber die Tatsache, dass Warner Brothers, das Studio, dem der bald 94-jährige Kalifornier zwei große Oscar-Siege beschert hat, seinen neuesten Wurf zunächst nur als Stream herausbringen wollte – nicht mal sechs Jahre, nachdem er mit „The Mule“ und „American Sniper“ zwei seiner größten kommerziellen Erfolge gefeiert hatte. Die Vertriebsblamage blieb Warners erspart – den Rest können die Zuschauer selbst in die Hand nehmen, indem sie sich die zehn wichtigsten Eastwood-Filme (noch) einmal ansehen als Darsteller und/oder Regisseur.
1 Die Dollar-Trilogie (1964-66)
Man muss nicht immer einen Namen haben, um berüchtigt zu sein. Wie schon in den beiden ersten Filmen der „Dollar-Trilogie“ hat Eastwood in der Hauptrolle auch im dritten Teil keinen richtigen Namen. Er ist einer der drei glorreichen Halunken, deren Wege sich mehrfach kreuzen, bis es auf einem Friedhof zu einem oft zitierten, aber nie mehr erreichten Showdown kommt. Der verschlagene Tuco (Eli Wallach), mit dem er sich mitten im US-Bürgerkrieg ein Katz- und Maus-Spiel um einen Goldschatz liefert, nennt Eastwood bloß „Blonder!“, mit eher abschätzigem als zärtlichem Unterton. Sergio Leone nahm in seiner Western-Trilogie schnurstracks Kurs auf die große Oper, auch dank der irrwitzigen Musik von Ennio Morricone, der ironische Ausrufezeichen schon mal mit Kanonenkugeln setzt. Nach dieser Begegnung mit den Lehrmeistern Leone und Morricone kehrte Eastwood in die USA zurück, wo er in Abwesenheit zum Star geworden war.
2 Dirty Harry (1971)
Eastwoods dritter Lehrmeister war Don Siegel. Mit ihm drehte er fünf Filme, darunter diesen Polizeithriller, der nicht nur das Genre, sondern das ganze Kino veränderte. Als „Dirty Harry“ zum Jahresende 1971 herauskam, nannte ihn die einflussreiche Kritikerin Pauline Kael eine „rechts-ideologische Fantasie“, „einen abgrundtief unmoralischen Film“, und schoss je zweimal die Worte „anti-liberal“ und „faschistisch“ ab. Das saß, und fortan war Dirty Harry Callahan ein gebrannter Cop – selbst als immer klarer wurde, dass er kein Einmann-Lynch-Kommando war, sondern ein besessener Verbrecherjäger, der daran verzweifelt, dass der Bürokratismus Gangster schützt. Er macht seine Arbeit – „Es ist ein dreckiger Job, aber jemand muss ihn erledigen“ –, und der Rest ist nicht der Rede wert. Auch deshalb begnügt Harry sich mit Einzeilern wie „Make my day“.
3 Der Mann, der niemals aufgibt (1977)
Diese Cop-Geschichte ist der Traum von einem Action-Film: gleichermaßen konkret und abstrakt, realistisch und hyperstilisiert, witzig und zynisch, urban und ländlich, skeptisch und hoffnungsvoll. Der versoffene Cop Shockley (Eastwood) soll „einen unwichtigen Zeugen in einem unwichtigen Fall“ von Las Vegas nach Phoenix überführen. Die erste Überraschung ist, dass Gus eine Frau ist. Die zweite, dass nichts so funktioniert, wie Shockley sich das vorgestellt hatte. Die Reise wird zum Spießrutenlauf, der das Versprechen des Originaltitels „The Gauntlet“ noch übertrifft, weil Autos, ein Haus und ein Bus erschossen werden. Auf dem Weg erhält der Höhlenmensch Shockley von Gus Nachhilfestunden in Leben und Benehmen. Dieses Meisterwerks Eastwoods harrt immer noch seiner Entdeckung.
4 Flucht von Alcatraz (1979)
Ende der 1970er Jahre änderte Eastwood mit jedem Film Ton und Tempo. Nach „The Gauntlet“ und zwischen zwei Orang-Utan-Komödien spielte er in „Flucht von Alcatraz“ letztmals unter der Regie von Don Siegel. Aus diesem Gefängnisfilm ist jedes Gramm Fett entfernt worden. Mit größter Konzentration und möglichst wenigen Worten plant Frank Morris (Eastwood) die Flucht aus dem isolierten Hochsicherheitstrakt auf der Insel vor San Francisco. Der Film verlässt das Gefängnis nie, weder räumlich noch zeitlich, er bietet keine Erklärungen und keine Rückblicke. Er interessiert sich nicht dafür, was außerhalb dieser hermetischen Welt geschieht, und so ist es letztlich auch ohne Belang, ob die Ausbrecher ihre Flucht überleben oder nicht.
5 Erbarmungslos (1992)
In den Jahren danach gelang Eastwood nicht immer der Spagat zwischen Kunst (1988 „Bird“) und Genre-Filmen (1984 „Der Wolf hetzt die Meute“ und 1990 „The Rookie“); letzterer ein tiefschwarzer Film, den die meisten Kritiker verachteten und die wenigsten Zuschauer sehen wollten. So viel stand 1990 scheinbar fest: Die Zeit von Clint Eastwood war vorbei. Doch just dann drehte er eine Reihe sensationeller Filme. Sie begann mit „Erbarmungslos“. Gut zehn Jahre lang hatte der Regisseur gewartet, bevor er die Verfilmung des Drehbuchs anging, denn er dachte, „ich sollte in diese Geschichte noch ein wenig hineinaltern“; mit Gesichtsfurchen tief wie Gletscherspalten spielte er dann den Westerner William Munny: einst ein Halunke und gefürchteter Killer, nun Witwer, seit zehn Jahren nüchtern, Vater zweier Kinder und glückloser Farmer. Als er von geschundenen Prostituierten in einem Nest namens Big Whiskey den Ruf nach Rache erhört, macht er sich auf den Weg – so widerwillig, als wüsste er, dass ihn die Reise geradewegs in den Schlund der Hölle führen wird. Dafür erhielt der Star in der vierten Dekade seines Schaffens verdientermaßen seine ersten Oscars.
6 In the Line of Fire (1993)
Der letzte tolle Film, in dem Eastwood von einem anderen Regisseur inszeniert wurde, ist ein formidabler Thriller über einen Secret-Service-Agenten, der drei Gegner hat: sein Alter, die ihn umgebenden Bürokraten – und John Malkovich. Der spielt den einsamen, verbitterten Attentäter Mitch Leary, der es auf den Präsidenten abgesehen und Horrigan (Eastwood) als Gegenspieler ausersehen hat: Weil Leary glaubt, dass Horrigan sich vom Leben und den Kollegen ähnlich betrogen fühlen muss wie er selbst. Trotz allem ist der Film so optimistisch wie lange nichts mehr in Eastwoods Karriere. Wegen der unbeschwerten Regie von Wolfgang Petersen, in der jedes Detail sitzt; wegen der guten Laune des Hauptdarstellers; und wegen René Russo, die glaubhaft ihr Herz an den Querkopf Horrigan verliert und ihm den Grund gibt, Leary zu überleben.
7 Die Brücken am Fluss (1995)
Dieser Film hatte sich viele Jahre lang angekündigt: In vielen Eastwood-Filmen war ein Element der Zärtlichkeit nicht zu übersehen. Aber wie bei „Unforgiven“ ließ Eastwood sich auch für sein erstes reinrassiges Melodram viel Zeit. Wie die kurze, lang nachwirkende Affäre zwischen einem Fotografen-Freigeist (Eastwood) und der vor vielen Jahren im ländlichen Familienalltag gestrandeten Italo-Amerikanerin Francesca (hinreißend, mit dezentem Akzent: Meryl Streep) ausgeht, erfährt man schon früh, weil der Film von den beiden nur in Rückblenden erzählt. Hätte „The Bridges of Madison County“ nur in der Vergangenheit gespielt, wäre es eine der schönsten Romanzen überhaupt geworden. So muss man versuchen, die Gegenwartsebene mit Francescas Kindern zu vergessen.
8 Space Cowboys (2000)
Schon 1993, im Sommer von „Jurassic Park“, überschrieb das „Time Magazine“ eine Eastwood-Kritik mit „Clintosaurus Rex“ – und meinte das vor allem als Lob. 2000, nach mehreren schönen Genrestücken (1997 „Absolute Power“, 1999 „True Crime“) war er längst im offiziellen Rentenalter – und doch stürmt er in „Space Cowboys“ mit 70 das All mit drei gleichaltrigen Kollegen. Ein Witz? Ja, aber ein guter. Eastwood zieht die Geschichte mit einem Augenzwinkern auf, er ist souverän genug, sie als gebrochene Heldenstory zu erzählen, mit einer seltenen Mischung aus Schonungslosigkeit und Zuneigung gegenüber den Hauptfiguren. Eastwood, Tommy Lee Jones, Donald Sutherland und James Garner sind Paradebeispiele dafür, dass man nur so alt ist, wie man handelt. Natürlich ist das Kino, vielleicht sogar Kintopp. Aber Eastwood macht mehr daraus: eine Ode ans Leben.
9 Million Dollar Baby (2004)
Maggie (Hilary Swank) ist eine schlichte Boxerin mit großem Herzen, die auf große Kämpfe hofft. Eastwoods Filmfiguren mögen noch Träume haben, aber das heißt nicht, dass die Inszenierung verträumt sein muss. Sie bleibt nüchtern, immer auf Augenhöhe. Nicht nur deshalb ist Eastwood der einzig legitime Erbe der Hollywood-Granden John Ford und Howard Hawks. Dennoch wurde „Baby“ zunächst überall abgelehnt – sogar sein Hausstudio Warner Brothers, wo der Kalifornier seit 35 Jahren arbeitete, machte zunächst einen Bogen. Die Verantwortlichen wurden später schön beschämt, nicht nur wegen der vier Oscars, die der Film 2005 gewann. Sondern auch, weil so ziemlich jeder sofort die Qualität des Films erkannte – auch und gerade die der kontrovers diskutierten zweiten Hälfte, in der Trainer-Legende Frank Dunn (Eastwood) Ungewohntes tun muss.
10. Gran Torino (2009)
Er knöttert. Er grummelt. Er flucht. Auf den ersten Blick scheint Eastwood in „Gran Torino“ den Walter Matthau des 21. Jahrhunderts zu geben. Aber in Wahrheit ist Walt Kowalski die Summe aller Charaktere, die Eastwood gespielt hat, vorneweg der Cop Harry Callahan. Nur ist er als Walt ein schlecht gelaunter Rentner. Der ehemalige Fabrikarbeiter aus Detroit muss miterleben, wie seine Einsamkeit durch die asiatischen Nachbarn gestört wird. Kowalski ist als Korea-Krieger immer noch voller Vorurteile (und gepeinigt von schrecklichen Erinnerungen aus den Tagen in Asien), doch als er eher widerwillig einem Nachbar-Teenie hilft, wird ihm der Dank der gesamten Nachbarschaft zuteil, und er erkennt in wenigen Wochen Dinge, die er vorher in vielen Jahren nicht sehen oder wahrhaben wollte. Das ist die Ironie der Geschichte und ihre Botschaft: Man kann immer, bis zuletzt, etwas dazulernen. Aber wie so oft bei Eastwood muss das nicht ausgesprochen werden – es wird spürbar.
Coda: Juror # 2 (2024)
Die neueren Eastwood-Filme muten in ihrer Weigerung, die üblichen Geschichten auf die übliche Art zu erzählen, wie Experimente an: Wie weit kann man Erzählfilme noch entschlacken? Nicht immer geht alles auf („15:17 nach Paris“); aber wenn es klappt, gelingen ihm unvergessliche Alterswerke wie „The Mule“ (2018). „Juror # 2“, das tolle, ruhige Gerichtsdrama mit Nicholas Hoult und der unfehlbaren Toni Collette, das jetzt in unsere Kinos kommt, passt nicht nur in dieser Hinsicht ganz wunderbar zu einigen seiner lässigen Arbeiten der späten 1990er und frühen 2000er-Jahre. Da war Eastwood an die 70, aber längst noch nicht müde. Vor einiger Zeit hat er einmal erzählt, wer sein Vorbild ist: der Portugiese Manoel de Oliveira, der noch mit über 100 Jahren Filme inszenierte und in Cannes vorstellte. Niemand hätte etwas dagegen, wenn Clint Eastwood Ähnliches gelänge.