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Country-Musik boomtWie Orville Peck und Shaboozey ein ultrakonservatives Genre aufmischen

Lesezeit 4 Minuten
Der Country-Musiker Orville Peck posiert am Mittwoch, 26. Juni 2024, in New York für Porträts, um sein drittes Album „Stampede“ zu bewerben.

Country-Sänger Orville Peck hat gerade sein neues Album „Stampede“ veröffentlicht.

Country gilt als wichtigster neuer Pop-Trend. Zum Glück hat die Musikrichtung derzeit mehr zu bieten, als nur weiße Machomänner.

„Country's cool again“, singt Lainey Wilson. So hat die Sängerin aus Nashville, Tennessee auch ihre aktuelle Tour betitelt, mit der sie im Mai in Köln Station machte. Hierzulande hat es das amerikanischste aller Genres traditionell schwer, aber das ändert sich gerade: Country Music, da hat Wilson nicht übertrieben, gilt derzeit als Meta-Trend der globalen Populärkultur.

Im Januar präsentierte Pharrell Williams („Happy“, „Get Lucky“) auf der Pariser Fashion Week seine Herbst-Winter-Kollektion für Louis Vuitton im breitkrempigen Cowboy-Chic. Beyoncé veröffentlichte Ende März mit „Cowboy Carter“ ihr erstes Country-Album. Neben K-Pop und Latin ist Country das Musikgenre mit den größten Zuwachsraten bei Spotify.

Bereits im vergangenen Sommer hatten sich die Country-Stars Morgan Wallen und Luke Combs ein wochenlanges Duell um die obersten Plätze der Pop-Charts geliefert, in diesem Jahr gelang Wallen seine zweite Nummer Eins in den USA: „I Had Some Help“ ist ein Duett mit dem weißen Rapper Post Malone, der sich nach einem Karriere-Knick als Country-Sänger neu erfindet.

Rapper Post Malone singt jetzt mit Dolly Parton

Für sein Mitte August erscheinendes Album „F-1 Trillion“ hat der Gesichtstätowierte Duette mit den Altstars Dolly Parton und Hank Williams Jr. angekündigt, sowie mit der nahezu vollständigen Elite des zeitgenössischen Nashville-Sounds, von Wilson und Combs bis zu Jelly Roll, Chris Stapleton und Hardy.

Im September wird Lana Del Rey mit „Lasso“ ebenfalls ein Country-Album veröffentlichen: „Die ganze Musikbranche bewegt sich in Richtung Country“, sagte die Singer-Songwriterin auf einer Gala zu Ehren ihres (und Taylor Swifts) Produzenten Jack Antonoff.

Lil Nas X stieß im Mittleren Westen auf wenig Verständnis

Eine Folge des Country-Booms – oder ist es eine Grundvoraussetzung? – ist die Öffnung der weiß und ultrakonservativ codierten Musikrichtung hin zu einem diverseren Publikum. Als Lil Nas X vor fünf Jahren seine Country-Hip-Hop-Single „Old Town Road“ brach der junge Rapper damit zwar alle Chartsrekorde, stieß aber bei der Kernhörerschaft im Mittleren Westen auf wenig Gegenliebe: In der Country-Radio-Hitparade – die verzeichnet, was man tatsächlich zu hören kriegt, wenn man durch die ländlichen Gegenden der USA fährt – kletterte der Song nur bis Platz 50.

Selbst Beyoncés „Texas Hold 'Em“ erreichte hier nur den 33. Rang. Den zähen Widerstand des weißen Country-Establishments brach erst ein schwarzer Künstler, den kaum jemand kannte, bevor die R'n'B-Diva ihn für zwei Albumtracks auf „Cowboy Carter“ als Gastsänger verpflichtet hatte: Shaboozey, in Virginia geborener Sohn nigerianischer Einwanderer, gelang es mit seiner Single „A Bar Song (Tipsy)“ die Top Ten der Countrystationen zu knacken. Die verwandelt den Refrain von J-Kwons 20 Jahre altem Rap-Track „Tipsy“ in eine gut gelaunte Scheunenparty-Nummer – ohne dabei in reinen Nonsens à la Rednex' „Cotton-Eyed Joe“ zu verfallen. Mittlerweile führt „A Bar Song (Tipsy)“ seit drei Wochen die Billboard-Charts an, vor dem Morgan Wallen /Post Malone-Duett, und ist auch weltweit ein Hit – selbst wenn es in Deutschland bislang nur zu Platz 17 reicht.

Dem Erfolg ging ein jahrelanger Kampf voraus: Shaboozeys Label versuchte, seinem Künstler dessen seltsame Countryvorlieben auszutreiben und ihn als Rapper zu platzieren. Der 29-Jährige konnte sich erst mit seinem dritten Album durchsetzen, auch dank Beyoncés Fürsprache. Dessen Titel „Where I've Been, Isn't Where I'm Going“ („Wo ich war, gehe ich nicht hin“) man als Programm verstehen darf.

In dieser Woche hat auch Orville Peck dem Country-Mainstream ein Angebot unterbreitet, das dieser kaum abschlagen kann. Vor fünf Jahren hat der stets maskierte, aber offen schwul lebende Sänger sein Debüt „Pony“ beim Indie-Label Sub Pop herausgebracht: Schmachtballaden und Rockabilly-Nummern, die an längst vergangene Country-Zeiten erinnerten, Pecks voller Bariton klang wie ein queerer Johnny Cash.

Das hatte unerhörten Charme, aber Orville Pecks Ehrgeiz reichte weiter: Er trat mit Elvis' Enkelin Riley Keough im Video auf, überredete Shania Twain zum Duett. Auf seiner just veröffentlichten dritten Platte „Stampede“ hat er die strategische Wahl geeigneter Duettpartner zur Kunst erhoben: Mit Elton John, Kylie Minogue und Beck wird das breit möglichste Publikum abgedeckt.

Den Höhepunkt dieses countrifizerten Gemischtwarenladen dürfte dennoch sein gemeinsamer Song mit Outlaw-Legende Willie Nelson bilden: „Cowboys Are Frequently Secretly Fond of Each Other“, schmettern die beiden Hutträger mit Inbrunst, kulminierend in der Zeile: „Was dachtest du denn, was die ganzen Sättel und Stiefel bedeuten?“

Tatsächlich stammt der Song aus dem Jahr 1981 und Willie Nelson selbst hatte bereits 2006 eine Version veröffentlicht, am Valentinstag, nach dem Erfolg der Cowboy-Romanze „Brokeback Mountain“ schien ihm die Zeit dafür reif. Will sagen: die LGBTQ-Geschichte des Country beginnt selbstverständlich nicht erst mit Orville Peck („Lavender Country“ von Patrick Haggerty von 1973 gilt als das erste schwule Country-Album).

Und Shaboozeys „A Bar Song (Tipsy)“ ist nur ein vorläufiger End- und Höhepunkt in der schwarzen Geschichte der Country-Musik, die ohne afroamerikanische Einflüsse schlicht nicht existieren würde. Aber selten zuvor hat Country-Musik den zeitgenössischen Pop so stark geprägt – und nie zuvor hat sich das Genre so offen gezeigt, für die Diversität, die immer schon in ihm steckte.