Country-Sänger wie Morgan Wallen, Luke Combs, Jason Aldean und Oliver Anthony bestimmen derzeit die amerikanischen Billboard-Charts. Aber wie rechts sind sie?
„Rich Men North of Richmond“Die rechte Revolution in den US-Charts
Wer erinnert sich schon noch an Eddie Rabbit? „I Love a Rainy Night“ hieß der größte Hit des Country-Sängers, Ältere könnten ihn noch aus dem Frühstücksradio kennen. Im Februar 1981 stieß die gut gelaunte Schlechtwetterhymne Dolly Partons ähnlich schwungvollen Gender-Pay-Gap-Song „9 to 5“ vom Thron der US-Billboard-Charts. Damit schrieb Rabbit gleich zweimal Hitparaden-Geschichte: Es sollten 42 Jahre vergehen, bis mit Morgan Wallens „Last Night“ erneut ein Song eines männlichen Country-Sängers die US-Charts toppte und genauso lange, bis sich zwei Country-Stücke an der Nummer Eins ablösten: Anfang August 2023 verdrängte Jason Aldeans „Try That in a Small Town“ Wallens Hit von der Spitze. Gleich dahinter folgte Luke Combs countryfizierte Version von Tracy Chapmans „Fast Car“.
Drei Countrysongs auf den ersten drei Plätzen: Das hatte es noch nie gegeben, auch vor 42 Jahren nicht. In dieser Woche belegen erneut drei Landburschen die vorderen Positionen. Ein gewisser Oliver Anthony hat die etablierten Stars Combs und Wallen mit seinem Solo zur Akustikgitarre gespielten Protest-Song „Rich Men North of Richmond“ überholt. Anthony hat keinen Plattenvertrag, lebt in einem Trailer abseits des Strom- und Wassernetzes. Er ist alles andere als gut gelaunt. Aber inzwischen diskutiert ganz Amerika über sein Lied und darüber, was das zu bedeuten hat, wenn die Lieblingsmusik der Trumpisten selbst Taylor Swift – die nebenbei auch als Country-Sängerin angefangen hat – in die Schranken weist. Was ist da nur los in den USA?
Betrachten wir die aktuellen Hits nach ansteigendem Debatten-Potenzial: Tracy Chapman hat „Fast Car“ aus der Sicht einer jungen Schulabbrecherin geschrieben, die versucht, der Armut zu entfliehen und doch nur das Elend ihrer Eltern wiederholt. Combs Cover ist äußerst respektvoll, er spielt den 35 Jahre alten Song seit Jahren auf seinen Konzerten und hat noch nicht einmal die Geschlechtspronomen angeglichen. Chapman hat sich geschmeichelt über ihr spätes Charts-Comeback geäußert.
Dies sei, kommentierte die „Washington Post“, leider „durch die Tatsache getrübt, dass Chapman, 59, als schwarze, queere Frau in der Country-Musik so gut wie keine Chance auf diesen Erfolg hätte“. Weiße Cis-Männer dominieren das Genre, das ist unbestritten und daran hat sich in 100 Jahren nichts geändert. Und weiße Männer, die ihren Erfolg der Vorarbeit schwarzer Künstler zu verdanken haben, findet man seit der Erfindung des Tonträgers zuhauf. Allerdings hatte Tracy Chapmann 1988 ja selbst einen Top-Ten-Hit mit „Fast Car“ und ihr Debüt führte damals die Album-Charts an.
Morgan Wallens Aufstieg zum derzeit größten Star der Country-Szene begann in der Castingshow „The Voice“, seinen Durchbruch erlebte der junge Mann aus Tennessee jedoch erst, als er sich einen Vokuhila wachsen ließ, wie man ihn seit Billy Ray Cyrus‘ Hochzeiten nicht mehr gesehen hatte. Die Frisur dient als Zeichen einer landtypischen Widerborstigkeit gegen gesellschaftlichen Wandel. Das muss man nicht zwingend politisch nehmen. Wallen singt von durchzechten Nächten, verkaterten Morgen und seinem Heimatkaff, das ihm wichtiger ist, als die Großstadtträume seiner Freundin.
Dann veröffentlichte die Klatschseite TMZ ein Video, in dem Wallen angetrunken mit dem N-Wort um sich wirft. Radiosender entfernten seine Songs, Spotify löschte sie aus Playlisten und sein Plattenlabel setzte seinen Vertrag auf unbestimmte Zeit aus. Wallen entschuldigte sich pflichtgemäß. Die Verkäufe seines Albums „Dangerous“ aber schnellten nach dem Skandal in die Höhe. Es wurde zum meistverkauften Album des Jahres 2021 in den USA – als wäre beiläufiger Rassismus nur ein weiteres Zeichen für Wallens charmanten Trotzkopf, ein verbaler Vokuhila.
Jetzt hat er mit „Last Night“ sogar den 15-Wochen-Rekord von Harry Styles‘ „As It Was“ eingestellt. Im Lied singt er zwar „Ich sage Unsinn, den ich nicht so meine“, doch es geht nur um einen alkoholisierten One-Night-Stand, den der Sänger gerne fortsetzen möchte, die Besungene eher nicht. Das klingt ein klein wenig toxisch, aber mögliche Kritik verblasst im Vergleich zu dem Stück, das „Last Night“ für eine Woche von der Spitzenposition fernhielt.
Jason Aldeans „Try That in a Small Town“ kontrastiert ländliche mit urbanen Lebensweisen: In einer Kleinstadt, behauptet Aldean, raubt niemand alte Frauen aus, spuckt Polizisten ins Gesicht oder verbrennt die amerikanische Flagge. Das erinnert in seiner unfreiwilligen Komik an Merle Haggards Anti-Hippie-Lied „Okie from Muskogee“ aus dem Jahr 1969: „Wir rauchen kein Marihuana in Muskogee/ Wir machen keine Trips auf LSD/ Wir verbrennen keine Einberufungskarten auf der Hauptstraße“, und so weiter.
Im Gegensatz zum heimlichen Kiffer Haggard, dessen Stück bald belustigt von Hippies wie den Grateful Dead gecovert wurde, ist es Jason Aldean aber so bitterernst wie einst Freddy Quinn mit seinem reaktionären Schlager „Wir“. Aldeans „Small Town“ liegt in den Südstaaten und der Text enthält so viel verdeckte rassistische Anspielungen wie eine AfD-Parteitagsrede. Im Video posiert der Sänger vor einem Gerichtsgebäude in Columbia, Tennessee, in dem 1927 ein bekannter Lynchmord stattgefunden hat.
Morgan Wallens Popularität mag das Stadt-Land-Gefälle in den USA illustrieren, die Kurzzeit-Nummer-Eins von Aldean war jedoch das Ergebnis einer konzertierten Aktion rechtskonservativer Fans, unter anderem mit massenhaften Download-Käufen. Im Country-Radio hört man die Nummer so gut wie nie. So einfach lässt sich der virale Erfolg von Oliver Anthonys „Rich Men North of Richmond“ nicht erklären. Das Lied stieg buchstäblich aus dem Nichts auf, nachdem ein Youtube-User das Video einer Live-Performance von Anthony hochgeladen hatte, es hat inzwischen fast 50 Millionen Aufrufe. Live-Performance heißt in diesem Fall übrigens, dass der Sänger allein mit seiner Gitarre im Wald steht.
Während Jason Aldean noch nie in seinem Leben in einer Kleinstadt gewohnt hat, nimmt Oliver Anthony eine echte Außenseiterposition ein, dementsprechend authentisch wirkt der geballte Frust seines „Kleiner Mann, was nun?“-Liedes. Nördlich von Richmond befindet sich Washington, D.C. und als mehr als ein Präsidentschaftskandidat der Republikaner das Lied zitierte, stellte Anthony öffentlich fest, dass diese Politiker genau die Menschen seien, die er anklagen wollte. Er verorte sich weder rechts noch links.
Doch sein Song enthält ein ganzes Arsenal rechtspopulistischer Diskussionspunkte, von QAnon-artigen Anspielungen auf Kindesmissbrauch durch die Polit-Elite bis zum klassischen Reagan-Topos von fettleibigen Sozialhilfe-Empfängern, die dem Staat auf der Tasche liegen. In seiner eigenen Youtube-Playliste empfiehlt Anthony unter anderem Videos mit antisemitischen Verschwörungserzählungen zum 11. September.
Viel weiter kann man sich nicht von Eddie Rabbit und Dolly Parton entfernen. Die Country-Welle des Jahres 2023 ist eine Fortsetzung der politischen Grabenkämpfe, die das Land seit Jahren erschüttern. Die ersten Scharmützel eines zweiten Bürgerkrieges, wie ihn etwa die rechte Krawallpolitikerin Sarah Palin heraufbeschwört, finden derzeit in den Billboard-Charts statt.