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Interview

„Cuckoo“-Regisseur Tilman Singer
„Ich hatte Panik davor, einen Film nur für Kunststudenten zu machen“

Lesezeit 5 Minuten
Eine junge Frau sitzt auf einem Bett und föhnt sich beim fernsehen die Haare.

Standbild aus Tilman Singers Thriller „Cuckoo“

Tilman Singer studierte an der Kölner KHM und dreht jetzt erfolgreiche Horrorfilme. Ein Gespräch über Ängste und den Lebensstil des Kuckucks.

Herr Singer, Sie sagen, dass Sie ein neues Filmprojekt nicht übers Thema anpreisen, sondern übers Filmhandwerk – was heißt das?

Ich drücke mich nicht gern thematisch aus und ich erkläre mich nicht gern, weil es oft die Arbeit stört, wenn man sie erklärt. Das funktioniert bislang ganz gut.

Und wie kamen Sie auf „Cuckoo“, einen Film über dunkle Familiengeheimnisse mit Vogelnamen?

Mich hat die parasitäre Anlage des Kuckucksvogels beschäftigt in der Zeit, als ich den Vorgängerfilm „Luz“ fertigstellte. Damals ging es mir psychisch nicht so gut, weil ich dachte, dass ich nur einen Film für uns Kunststudenten mache und niemand sonst den Film sehen will. Ich war richtig depressiv drauf, hatte auch Panikattacken. Dann wurde „Luz“ zur Berlinale eingeladen und danach ging es mir dann wieder besser. Jetzt weiß ich also, dass es weitergeht und nicht stagniert. Aus diesem Gefühl konnte ich dann was formen, eben weil ich es erlebt hatte.

Ich habe keinen schizophrenen Verfolgungswahn, aber oft im Leben das Gefühl, dass ich vor etwas davonlaufe oder davonarbeite
Tilman Singer

Welche Tugend gilt es zu beherzigen, wenn man mit knappem Budget dreht?

Arbeitsdisziplin ist sehr wichtig. Man plant es, man probt es und dann kommt man mit drei Aufnahmen aus.

Sie haben ein Faible für analoges Filmmaterial?

Das gilt auch immer noch. Ich bin da auch dickköpfig, denn ich beharrte auch diesmal darauf, dass wir auf Film drehen. Das wurde auch akzeptiert, hatte aber zur Folge, dass unsere total knapp bemessene Zeit durch das teure Filmmaterial zu weniger Aufnahmen geführt hat. Ich hätte lieber mehr geprobt, aber dafür gab es nicht die Zeit. Zum Glück war unser Cast „on point“. Die hatten tatsächlich das Gefühl von Angst und Verunsicherung auf Anhieb verstanden.

Ist das ein Film über Angst?

Ja, auf jeden Fall. Weil die Protagonistin sehr bald nicht mehr arglos durch den Film läuft. Sie hat Angst. Und Angst ist mittlerweile so selten geworden im Kino, aber ich denke, wir haben dafür eine atmosphärische Umsetzung gefunden.

Tilman Singer trägt einen Hut und schaut in die Kamera.

Tilman Singer auf der Berlinale

Woher kommt das Faible für Angst?

„Cuckoo“ ist ein Horrorstoff, der sich natürlich auch mit dem Tod in allen möglichen Gestalten und Ausprägungen beschäftigt. Aber vor allem ist er ganz stark verbunden mit der Angst, die ich spürte, als ich bei der Fertigstellung von „Luz“ dachte, dass es zu Ende ist. Ein klaustrophobisches Gefühl von Verderben. Ich habe keinen schizophrenen Verfolgungswahn, aber ich habe schon oft im Leben das Gefühl, dass ich vor etwas davonlaufe oder davonarbeite. Es ist vielleicht auch ein Sehnen danach, dass mir genügen soll, was ich gerade mache. Es ist ja auch ein großartiges Gefühl, wenn man weiß: Das, was wir hier jetzt machen, das ist fantastisch.

Und falls es doch nicht gut lief, kann man ja noch im Schneideraum korrigieren.

Ich sage mal so: Man kürzt immer raus, was schlecht ist, und hofft, dass man es dann geschafft hat. Dass alles, was nicht funktioniert, dann raus ist. Ich denke, dass wir das beim Dreh und in der Folge im Schnitt das ganz gut geschafft haben.

Wie kamen Sie auf Hunter Schafer für die Hauptrolle?

Wenn man Hunter in „Euphoria“ sieht, mag man nicht glauben, dass sie da zum ersten Mal vor einer Filmkamera stand. Dummerweise kannte ich die Serie aber nicht zum Zeitpunkt unseres Castings. Wir hatten aber ein Bewerbungsfoto von ihr vorliegen, und das gab den Ausschlag. Ich war mir sofort sicher, die ist perfekt für die Rolle.

Die einiges durchmachen muss. Ist der Film ein Thriller oder doch eher Horror?

Nein, das ist ein Thriller, ganz klar.

Es ist eine große Krankheit, sich ironisch von seinem Werk zu distanzieren
Tilman Singer

Manche sagen ja, dass man Genre ohne ironische Brechung heute nicht mehr machen kann.

Also, ich finde es ja eine große Krankheit, sich ironisch von seinem Werk zu distanzieren. Ich sehe das ständig im Theater und auch oft in Filmen. Das ist aber keine deutsche Krankheit. Das ist überall. Ich hasse das so sehr, wenn man sagt, nehmt es nicht ernst, ich nehme es auch nicht ernst. Weil dann nimmt niemand mehr irgendwas ernst.

Wie passt „Cuckoo“ dann ins Bild Ihrer Ausbildung bei der KHM?

Naja, ich hatte schon das Gefühl, dass viele andere Freunde von der Kunsthochschule ganz andere Kunstgenres bearbeiten. Irgendwie waren das alles Außenseiter und vermutlich haben wir uns deshalb auch so gut verstanden. Im Blick auf meinen Film, glaube ich, haben wir was gemacht, was man nicht so kennt, wenn man von dieser Schule kommt. Aber genau das spricht auch wieder für die Schule als Ort, wo Leute Projekte, die vorher von den Dozenten genehmigt wurden, selbstbestimmt angehen und durchziehen. So war das jedenfalls zu meiner Studienzeit.

Der Film wirkt durch seine analoge Gestaltung und den entsprechenden Look erstaunlich zeitlos.

Ja, das sehe ich auch so. Dieses Zeitlose, Entrückte, dieses Gefühl, das sich einstellt, wenn Jahrzehnte sich überlagern, in dem, welche Technik Menschen benutzen oder welche Klamotten sie tragen, daraus ergibt sich ein eigener Kosmos. Eine Fantasiewelt, in der man sich anfangs vielleicht fragt, wann das Ganze eigentlich spielt. Und dann vergisst man beim Schauen diese Frage. Das finde ich gut.

Bleiben Sie für kommende Projekte Deutschland treu oder lockt Amerika?

Ich gehe dahin, wo ich Filme machen kann. Ich will es jetzt mal in den Staaten versuchen, aber ein Muss für alles danach ist es nicht. Es fühlt sich halt fürs nächste Projekt richtig an. Weil ich merke, wie meine Arbeit miteinander zusammenhängt und aufeinander aufbaut.


Tilman Singer, 1988 in Leipzig geboren, aufgewachsen in Brühl, absolvierte ein Studium an der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM). Sein Abschlussfilm, der psychologische Horrorfilm „Luz“, wurde 2018 in die Berlinale-Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ eingeladen und kam nach einjähriger Festivaltour in die deutschen Kinos. Singers neuer Film „Cuckoo“ gewann den diesjährigen Wettbewerb beim renommierten Brüsseler Festival des Phantastischen Films. Der Film startet ab 29. August in den deutschen Kinos.