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Stranger ThingsWarum Kate Bush mit 37 Jahren Verspätung die USA erobert

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Kate Bush  

London – Die Bahn streikt. Ausgerechnet jetzt. Morgen muss ich in London sein, egal wie. Die Flüge sind alle ausgebucht. Eine Freundin hat drei Karten für eines von Kate Bushs „Before the Dawn“-Konzerten bekommen, sie ist schon vor Ort, meine Frau auch, ich musste vorher noch auf eine Theaterpremiere. Und jetzt sitze ich hier in Köln und könnte heulen.

Kate Bush ist am Anfang ihrer Karriere ein einziges Mal auf Tour gegangen, sechs Wochen im Frühjahr 1979. Dann hat sie sich von der Bühne zurückgezogen. Als sie 35 Jahre später ankündigt, 22 Konzerte im Hammersmith Apollo zu geben, löste das eine dementsprechende Hysterie aus. Das wollte man sehen, wenigstens, um hinterher sagen zu können, dass man dabei gewesen war.

In der Nacht, nach dem Theater, finde ich eine umständliche Busverbindung nach Brüssel, es gibt noch ein Ticket und es geht um fünf Uhr morgens los. Der Eurostar hat zwei Extra-Waggons angehängt, für alle, die ihre früheren Verbindungen nicht mehr erreichen konnten. Abends sitze ich im Hammersmith Apollo – dort, wo David Bowie einst seinen letzten Auftritt als Ziggy Stardust hatte – todmüde, aufgekratzt, glücklich und extrem bewegt.

Bei „Running Up That Hill“ fließen die Tränen

Als Kate Bush „Running Up That Hill“ singt, fließen Tränen. Ich löse mich auf. Aber das liegt nicht einmal am Bergaufsprint der verkorksten Anreise. Neben, vor und hinter mir heult auch jeder. Das ist die Kraft dieses einen Songs.

„Running Up That Hill (A Deal With God)“ kann dich ergreifen, erheben, aus der Hölle befreien. So wie das Stück – Achtung, jetzt folgt ein Spoiler für die vierte Folge der vierten Staffel von „Stranger Things“ – der von Sadie Sink gespielten Max den Weg aus dem Upside Down weist, ein Ariadnefaden der Hoffnung in tiefster Verzweiflung. Dieser dramaturgisch entscheidende Musikeinsatz in der äußerst beliebten Netflix-Serie hat prompt (und erwartbar) dazu geführt, dass der Song aus dem Jahr 1985 wieder in die Charts eingestiegen ist, in den USA und dem Vereinigten Königreich ist er der meistgestreamte Song auf Spotify, weltweit rangiert er auf Platz 2 hinter Harry Styles „As It Was“.

Konkurrenz für Harry Styles

Noch bemerkenswerter ist vielleicht der Umstand, dass er in den amerikanischen Billboard-Charts auf Platz 8 eingestiegen ist – es ist Kate Bushs erster Top-Ten-Hit in den USA. Dass sich Kate Bush auf ihrer Internetseite überschwänglich über „das neue Leben, das ihrem Song eingehaucht wurde“ freute, verwundert nicht. Aber man muss wissen, dass öffentliche Statements von Bush in etwas so selten sind wie ihre Konzerte.

Der Musikjournalist Kristoffer Cornils nennt die Verwendung des Lieds in der retroseligen Serie im Deutschlandfunk „zynisch“: Einen bereits bekannten Song zu verwenden diene reinen Marketingzwecken. Die „olle Kamelle“ diene vor allem dazu, die Serie ins Gespräch zu bringen, Zuschauende wie Musizierende würden ungewollt als Werbetreibende für Netflix eingespannt. Kunstformen wie Fernsehen und Musik sollte es eigentlich nicht um solcherlei Kommerz gehen.

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Es ist immer wieder herzig, wenn ein kritischer Geist zu der bahnbrechenden Erkenntnis gelangt: Die wollen doch nur Geld verdienen. Man kann ja vieles gegen den Kapitalismus sagen – aber nicht, dass wir nicht in ihm leben würden.

Konzentrieren wir uns lieber auf die sehr gute Entscheidung der Serienmacher, eben genau diesen Song zu verwenden. Denn obwohl Kate Bushs künstlerischer Einfluss heute kaum größer sein könnte, war sie Ende der 1970er eine der ersten Frauen, die im Musikgeschäft allein zu ihren Bedingungen agierten. In „Running Up That Hill“ wünscht sie sich, einmal die Rollen von Mann und Frau zu tauschen. Mit der gemeinsamen Erfahrung käme man endlich weiter voran. Der Wunsch ist noch aktuell, diesen Gipfel gilt es noch zu erklimmen. Wenn ein altes Lied ein zweites Leben verdient hat, dann dieses.