Zwei Superstars sitzen sich gegenüber: Der 86-jährige Maler David Hockney porträtiert den 29-jährigen Harry Styles. Eine Bildbetrachtung.
Neues PorträtDavid Hockney interessiert an Harry Styles nur dessen Strickpulli
Eine Fotografie als Atelierbild, als Reflexion über den Prozess des Malens und die soziale Dynamik einer Porträtsitzung. Letztere erfasst man auf den ersten Blick: David Hockney, der Maler, wirkt grimmig, verschlossen, der Schirm seiner Schiebermütze liegt auf den Rändern der Brille, zwischen seinen Lippen klemmt eine Davidoff-Zigarette. Nur der blau karierte Anzug verweist auf die ungebremste Lebenslust des 86-Jährigen. Sein Model dagegen posiert entspannt im Korbsessel und grinst wie ein Kind vorm Weihnachtsbaum. Einfach nur glücklich, hier zu sein.
Mag sein, dass derzeit mehr Menschen den Porträtierten erkennen als den Porträtisten, schließlich verkauft Harry Styles auf der ganzen Welt Arenen aus, gerne auch mehrfach hintereinander. Seine Fans hinterlassen in den jeweiligen Gastspielorten Flaumspuren vielfarbiger Federboas, als wäre der süße Vogel Jugend während seiner Erdumrundung in die Mauser gekommen. In einer Zeit, in der die relevanten Popstars weiblich sind, verkörpert Styles eine gründlich entgiftete Männlichkeit, trägt gerne Kleid und, wie hier im Bild, Perlenkette und Sesamstraßen-Pullover.
Gut möglich, dass David Hockney noch nie ein Lied von Harry Styles gehört hat. Der Maler leidet an zunehmender Taubheit – das Hörgerät ist gut sichtbar – und hat schon vor Jahren zu Protokoll gegeben, dass er hauptsächlich Musik höre, die er bereits im Kopf habe. Freilich, das kann man in der aktuellen Ausgabe der britischen „Vogue“ nachlesen, habe er alle Videos von Harry Styles gesehen. Ihn interessiert, so darf man spekulieren, eher Styles‘ Stil als dessen künstlerischer Output.
Der Kontakt zu Styles, auch das erfährt man in der „Vogue“, sei über den berühmten Musikmogul Clive Davis zustande gekommen. Dessen Porträt, im selben Korbsessel, hängt wohlplatziert im Hintergrund. Freilich ist es nicht nur so, dass Hockney à la Andy Warhol am laufenden Band fix auf die Leinwand gebannte Porträts der Reichen, Berühmten und Mächtigen anfertigt. Zu den Modellen der neuesten Reihe von Ganzfiguren, die ab dem 2. November zusammen mit 160 anderen Werken in der Londoner Royal Portrait Gallery ausgestellt werden sollen, gehören unter anderem der Bürgermeister des normannischen Dörfchens, in dem Hockney seit der Pandemie sein Studio aufgeschlagen hat, sein Gärtner und sein Fußpfleger.
Harry-Styles-Fans klagen über die fehlende Ähnlichkeit
Der Status der Abzubildenden scheint den Künstler also nicht vorrangig zu interessieren, ebenso wenig die Ähnlichkeit, die der gemeine Harry-Fan vordringlich im Porträtbild sucht. Im Internet findet man jedenfalls die klassischen Das-kann-ich-auch-Kommentare zuhauf. Nur, warum sollte der Maler mit den Abertausenden an Fotografien konkurrieren, die man sich von Styles ergoogeln und abpausen kann?
Kommt noch dazu, dass David Hockney hier der größere Popstar ist. Sein Bild „Portrait of an Artist (Pool with Two Figures)“ wurde 2018 für mehr als 90 Millionen Dollar versteigert, was den Briten zum teuersten lebenden Maler macht. Als solcher kann man sich gewisse Freiheiten erlauben: Die Farbe von Harry Styles‘ Augen beschreibt der „Hollywood Reporter“ schwärmerisch als „meerschaumgrün“; Hockney hat ihnen stattdessen das Chlorblau seiner berühmten kalifornischen Poolbilder verliehen, seine Sehnsuchtsfarbe schlechthin.
Überhaupt: Betrachtet man das fertige Porträt, verweisen die leuchtenden Acrylfarben der gelb-rot-gestreiften Strickjacke, die üppige Beringung der Finger sowie der neckische Reigen der Perlen das Antlitz des Sängers auf einen hinteren Platz. Selbst der Korbsessel ist sorgfältiger ausgeführt. Wenn er will, kann Hockney ganz anders: Man vergleiche nur sein Doppelporträt mit Katze „Mr and Mrs Clark and Percy“ aus dem Jahr 1971, hier erzählt das Gesicht des jungen Mannes alles über den weiteren Verlauf der Ehe (es sieht nicht gut aus).
Solcherlei psychologische Erkundungen interessieren David Hockney im Fall von Harry Styles nicht im Geringsten. Es ist nicht nur die bestenfalls ungefähre Ähnlichkeit, auch darüber, wie viel der Maler vom inneren Wesen seines Models erfasst hat, lässt sich streiten. Auf jeden Fall aber findet man in seinem Porträt jene wattstarke Präsenz des Stars wieder, der schon so viele Fußballstadien mit seinem Charisma geflutet hat. Ob das Geheimnis seines Erfolges in der Kunst liegt, eine buntgestreifte Strickjacke zum Leuchten zu bringen?