Harry Styles beweist in der Merkur-Spiel-Arena in Düsseldorf beim ersten von zwei Konzerten, warum an ihm gerade niemand vorbeikommt.
Harry Styles in DüsseldorfEr ist der Popstar, den die Welt dringend braucht
Den Weg zur Merkur-Spiel-Arena weisen am Dienstagabend (27. Juni) in Düsseldorf Federn in allen Farben des Regenbogens. Und das ist dann ja auch irgendwie direkt Programm. Hier ist jeder willkommen.
Für Hersteller von Karnevalsartikeln dürften die beiden Konzerte, die Harry Styles ins Rheinland führen, zum Festtag werden. Denn neben den Federboas, die als einzige schon vor der großen Show schwächeln, sieht man sehr viele pinkfarbene Cowboyhüte, Herzchen-Sonnenbrillen, Glitzer und Pailletten.
Vorband ist das britische Indierock-Duo Wet Leg. Den ersten Hörsturz gibt es schon da. Der hat allerdings noch ein wenig Animation nötig, weil Sängerin Rhian Teasdale die Arena auffordert, mal allen Frust herauszuschreien. Die überwiegend weiblichen Fans tun ihr den Gefallen. Dabei suchte man negative Energie in dieser Runde eigentlich vergeblich.
Harry Styles in Düsseldorf: Ein Kussmund in die Menge reicht aus für Begeisterungsstürme
Kurz bevor um 21 Uhr Harry Styles die Bühne betritt, erschallt „Angels“ von Robbie Williams im Rund. Irgendwie passend. War das andere große Ex-Boyband-Talent aus Großbritannien schließlich in den 90ern der Popstar der jungen (europäischen) Generation. Doch Williams funktionierte neben seinem grandiosen Talent als Entertainer vor allem auch über die alte Geschichte vom labilen Star, der das Licht braucht, um die Dämonen zu bekämpfen.
Harry Styles, frenetisch bejubelt von der ersten Sekunden an, ist selbst das Licht. Silberne Hose, mintfarbenes T-Shirt mit rosafarbenen Bündchen, auf dem eine Rakete glitzert. Das Outfit könnte auch aus dem Karnevalsfundus sein, aber an ihm sieht es natürlich unverschämt gut und sexy aus.
Harry Styles in Düsseldorf: Weltstar wirkt authentisch
Ein Kussmund in die Menge reicht aus für Begeisterungsstürme. Ein laut gerufenes „Düsseldorf“ auch, obwohl hier viele von weit her angereist sind. Das mit dem „ü“ - und dem „ö“ in Danke schön - kriegt er übrigens erstaunlich gut hin. Und beides wird er noch sehr, sehr oft sagen in diesen gut anderthalb Stunden. Wundervoll sei es in Deutschland, unglaublich, großartig, fantastisch. Man hat kurz Angst, dass ihm irgendwann die Adjektive und „Thank Yous“ ausgehen. Aber sogar dabei wirkt er authentisch. Das muss man erstmal hinkriegen.
„Lass mich dich einfach anhimmeln“ singt er in „Adore You“ und winkt schon beim dritten Song so lange und ausdauernd ins Publikum als sei er auf der Verabschiedungsrunde. Aber zum Glück bleibt er. Tanzt, nein schwebt fast über die Bühne und strahlt so viel Freude aus, dass man sicher ist, den Mann muss ein Schutzschild der positiven Energie gegen jede Unbill des Lebens wappnen. Und sein Versprechen ist überdeutlich: Dieser Schild beschützt auch euch.
„Wenn ihr etwas braucht, sagt einfach Bescheid“, verkündet er im Ton eines zugewandten Flugbegleiters
„My name is Harry“, ruft er ins Rund, als müsse er sich erst noch vorstellen. „Es ist eine große Freude, hier zu sein. Fühlt ihr euch gut? Fühlt ihr euch emotional stabil?“ Da ist man sich bei dem all dem Gekreische zwar nicht so sicher, aber dieses Gefühlschaos durchleben alle gern. „Seid heute, wer ihr sein wollt!“, sagt er. Und das nimmt er auch für sich in Anspruch. Er spielt mit Geschlechterrollen, ist muskulös und tätowiert und trägt gleichzeitig gern Perlenketten, Nagellack und Kleider.
„Wir sind hier, um euch zu unterhalten. Eure Aufgabe ist es, Spaß zu haben“, sagt der 29-Jährige, der sich als schüchterner Teenager bei der Castingshow „The X Factor“ bewarb und mit der dann gegründeten Boyband One Direction den großen Popstar-Traum lebte, den alle haben, die sich bei einem solchen Format bewerben, aber nur wenige verwirklichen.
Harry Styles zeigt in Düsseldorf eine Mischung aus Funk, Soul und einem ganz kleinen bisschen Rock
„Wenn ihr etwas braucht, sagt einfach Bescheid“, verkündet er im Ton eines zugewandten Flugbegleiters. „Wir können jederzeit die Show stoppen.“ Das macht er dann allerdings selbst, um die gemalten Schilder im Innenraum zu lesen. Eine junge Frau hat geschrieben, dass ihr Freund sie an ihrem 18. Geburtstag betrogen habe. Woraufhin Styles das Rund auffordert, ihm entgegenzurufen, was sie von ihm halten. Die eindeutige Botschaft: „Fuck You!“ Emma will ihr Coming-out verkünden, und er singt „We're coming out tonight“ für sie. Und Riccardo aus Brasilien lobt er für sein Kleid: „Wenn ich darin so gut aussehen würde wie du, würde ich es öfter tragen. Du bist wunderschön.“
Auf seine zwölfköpfige Band, die mit ihm vor riesigen LED-Wänden steht, kann er sich blind verlassen. Sein Pop ist eine Mischung aus Funk, Soul und einem ganz kleinen bisschen Rock. Gute, eingängige Songs mit Texten, die von Liebe und Selbstermächtigung erzählen. „Matilda“ bedeute ihm besonders viel, sagt er. „Du kannst loslassen“, heißt es darin. „Du kannst eine große Party schmeißen und deine Familie nicht einladen, weil sie dir nie Liebe gezeigt hat. Es muss dir nicht leid tun, dass du weggegangen und erwachsen geworden bist.“
Irgendwann spielt er den großen One-Direction-Hit „What makes you Beautiful“ - in einer aufgemotzten, Bläser-lastigen Version. Es ist die perfekte Verbindung zu seiner Boygroup-Zeit. „Du weißt nicht, dass du schön bist“, grölt das überwiegend sehr junge Publikum. Doch heute geht es um mehr, als nur darum, Teenie-Mädchen zu bezirzen.
„Wir können Menschen mit Freundlichkeit begegnen“, heißt es in „Treat People With Kindness“. Klingt banal? Aber wer sich umschaut in der Welt, spürt, dass es diese einfachen Botschaften manchmal braucht. Gerade auch für eine Generation, die bei Instagram und Co. brutal auf Selbstoptimierung getrimmt wird und lernen muss, mit dem Hass im Netz umzugehen.
Zum Finale spielt Styles unter anderem seine großen Hits „Sign of the Times“ und „As it was“. Spätestens da ist ihm auch das letzte Herz im Rund sicher. Irgendwann fliegt ein roter, heliumgefüllter Herzluftballon über der Menge in den wolkenverhangenen Nachthimmel. Fast zu kitschig, um wahr zu sein. Aber an diesem Abend scheint alles möglich.