Beyoncé feiert in Köln eine Mega-Show mit futuristischen Outfits und überragendem Bühnenbild. Am Ende wird es familiär, mit Tochter Blue Ivy auf der Bühne.
Superstar im StadionBeyoncé huldigt bei Köln-Konzert queerer Clubkultur und liefert überwältigenden Abend
Am Ende geht es um Familie. Die, in die man ungefragt hineingeboren wird. Die, die man mit etwas Glück später im Leben findet. Auch die, in die man neben all der Liebe noch sehr viel Geld investieren muss. Wer Beyoncé in Müngersdorf so nah wie nie zuvor kommen will, muss um die 2600 Euro für einen Tribünenplatz direkt auf der Bühne investieren. Dafür gibt es zwei Getränkegutscheine, einen laminierten Pass und ein eigenes Dixie-Klo. Und den prägenden Superstar der vergangenen 25 Jahre in Griffweite, es gibt weiß Gott schlechtere Investments.
Das letzte Bild des Abends auf der stadionbreiten LED-Wand zeigt Onkel Jonny, der eigentlich der Cousin der Sängerin war. Onkel Jonny war schwul und stolz darauf. Und er führte die beiden Knowles-Schwestern, Beyoncé und Solange, in die Freuden und Feinheiten der schwulen schwarzen Clubkultur ein, in die Disco-, House- und Ballroom-Szene, in der Hedonismus Überlebensstrategie war. Onkel Jonny nähte Beyoncé ein Kleid für ihren Highschool-Abschlussball, davon singt sie in „Heated“. Später, als sie gerade die ersten Erfolge mit ihrer Girl Group Destiny’s Child feierte, starb er an den Folgen von Aids.
Konzert in Köln: Mit „Renaissance“ schreibt Beyoncé die Tradition der Clubkultur fort
Mit ihrem postpandemischen Album „Renaissance“ hat Beyoncé die emanzipatorische Tradition der Clubkultur fortgeschrieben und, weil sie das gar nicht anders kann, auf die Spitze getrieben. Die Welt war wieder bereit, zu tanzen. Jetzt konnte sie dazu noch etwas lernen, über den politischen Gehalt des Four-to-the-Floor-Beats, über ungewöhnliche Akkordwechsel und die Kunst des Zitats, über die Tanzfläche als safe space für queere Menschen.
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Dementsprechend zeigt die LED-Wand, bevor im Rhein-Energie-Stadion die Party startet, ein Testbild in LGBTIQ+-Farben. Als es sich um zehn vor acht in einen blauen Wolkenhimmel verwandelt, ziehen Kranhaken ein Bild der Sängerin hoch, sie zeigt sich als „Schlummernde Venus“ nach Giorgione, dem ersten großen Akt der Malerei. Sie meint das also ernst mit der Renaissance-Tour.
Beyoncé versilbert Köln-Müngersdorf
Und da ist Beyoncé auch schon in Fleisch und Blut, steht ganz allein am Mikrofonständer, in einem Strass-Catsuit des libanesischen Designers Georges Hobeika, so silbern funkelnd wie die Decke auf der Giorgiones Venus ruht. Alles funkelt silbern an diesem Abend: Die Bühne, die ultrapompösen Requisiten, die Bekleidung der exzellenten Band und der Tänzer und Tänzerinnen, der Flügel und das Haar der Pianistin Emily Bear. Sogar Beyoncés In-Ear-Monitoring-Stöpsel. Als wären alle und alles nur Bruchstücke eines riesigen Spiegelballs.
„Hello, I love you“, lauten ihre ersten Worte, dann lässt Beyoncé ihr luxuriösestes Melisma über „Dangerously in Love“ gleiten, wie goldener, zähflüssiger Honig. Sie lacht, gibt sich entspannt. Drapiert sich auf dem Flügel, singt „1+1“, eine ihrer schönsten Liebesballaden, und, ach, „singen“ ist ein viel zu kleines Wort, für den Orkan aus Wehmut und Sehnsucht, der nun über das Stadion hinwegfegt.
Jetzt kommt sie näher, die schmale Rampe hinunter, beteuert „I Care“, das ist schon Orkanstufe 10, dann trägt sie, als Ehrerbietung an Tina Turner, „River Deep, Mountain High“ vor, im andächtigen Tempo zwar, doch noch nie zuvor klang der Fluss so tief, der Berg so hoch.
Ein wunderschöner Anfang, aber jetzt geht es erst so richtig los mit dem Renaissance-Ball, der Bass pumpt so insistierend, dass wohl noch im Einkaufszentrum Köln-Weiden die Kleider von den Stangen fliegen. Auf der LED-Wand wird eine Robo-Beyoncé zusammengebaut. Ein Tor öffnet sich in der Wand, und aus den Werkstücken der Maschinenfrau schält sich die Disco-Queen, im, klar, silbernen Trikot, mit verspiegeltem Bauch. Wenn das Fritz Lang noch erleben könnte!
Plötzlich steht Beyoncés elfjährige Tochter Blue Ivy auf der Bühne in Köln
Die Show wechselt beständig zwischen solchen Ehrfurcht gebietenden Tableaus und ungebremster, partizipativer Energie. Podeste dienen vor allem dazu, von ihnen herunterzusteigen, hin zu den Fans im ausverkauften Stadion, entlang des kreisrunden Laufstegs paradierend, oder direkt zur kleinen Bühne in seiner Mitte. Aus der Luft betrachtet, sieht dieser Aufbau wie ein Power-Schalter aus.
Beyoncé tanzt erst in quasi-militärischer Formation mit ihrer Kompanie, dann – waghalsig – zwischen zwei von Roboterarmen bewegten Metallrahmen, vielleicht eine Hommage daran, dass die Ursprünge des Techno zu den Fließbändern der (ehemaligen) Autostadt Detroit führen. Für den House-Hit „Break My Soul“ wechseln Star und Tanzkompanie zu fließend-floralen Kostümen, während sich auf der Bühne ein großes violettes Disco-Pferd aufbläht und die Diva auf der Bildwand abwechselnd als Alien-Hybrid, kubistische Ballerina und Sphinx aus Flüssigmetall erscheint.
Später fährt sie auf einem Liebespanzer thronend in die Menge oder zeigt sich als afrofuturistische Priesterin – unterm Infrarotlicht enthüllt sich auf ihrem weißen Gewand ein Rautenmuster aus bunten Glasfenstersteinen. Oder sie pult sich, eine noch etwas berühmtere Renaissance-Venus zitierend, aus einer sich öffnenden Muschel.
Beyoncé in Köln: Zum Höhepunkt setzt sie sich auf ein silbernes Funkelpferd
Auf den ersten Blick ist das Stadion-Spektakel nah am Kitsch gebaut, auf den zweiten bietet es Stoff für zehn Kunstgeschichtsseminare. Und für Musik-Nerds. Haben Sie gehört, wie sie „I Want You Back“ von den Jackson 5 in „Love on Top“, Madonnas „Vogue“ in „Break My Soul“, oder den eigenen Destiny’s-Child-Hit „Say My Name“ in „Naughty Girl“ angespielt hat (während ihr vier dienende Roboter Luft zufächelten)?
Aber am Ende geht es, wie gesagt, um Familie: Als „Run the World (Girls)“ in die Selbstermächtigungshymne „My Power“ übergeht, gesellt sich die elfjährige Tochter Blue Ivy zur berühmten Mutter, tanzt, als könnte nichts auf der Welt sie einschüchtern. Kurz darauf lässt sich Beyoncé einen Umschlag aus dem Publikum reichen, darin verborgen ist das Geschlecht des erwarteten Kindes eines Fan-Pärchens. „Es ist ein Mädchen“, gratuliert der Star. Who run the world? Girls.
Zum Höhepunkt setzt sich Beyoncé auf ein silbernes Funkelpferd, in gläserner Ausführung kennt man es vom „Renaissance“-Albumcover. Jetzt erinnert es allerdings weniger an Bianca Jagger im Studio 54 und eher an eine reitende Amazone, oder an einen Ehrfurcht gebietenden Engel. Hoch schwebt sie über der Menge, verwandelt sich im Licht der Scheinwerfer in eine blendende Erscheinung, die man nur mit vorgehaltener Hand betrachten kann.
Die Minuten davor hat sie jedoch ihren Tänzerinnen und Tänzern geschenkt. Die veranstalten auf der kleinen Bühne einen Ballroom-Wettbewerb, man darf staunen, bewundern, sich gegenseitig übertrumpfen, vor allem aber mitmachen: Wir sind eine Familie.