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David Wagners neuer RomanDa kommt man aus dem Staunen nicht heraus

Lesezeit 4 Minuten
David Wagner

David Wagner

Der Autor schreibt über „Verkin“, eine Frau, die fantastische Geschichten erzählen kann.

Ist Verkin, die Zentralfigur in David Wagners gleichnamigem Roman, eine neue Scheherazade? Zwar muss die Türkin mit den armenischen Wurzeln nicht wie die kluge Perserin in „Tausendundeiner Nacht“ beharrlich Geschichten vortragen, um am Leben zu bleiben. Gleichwohl kann auch Verkin vom Erzählen nicht lassen und reiht eine Episode ihres Lebens an die andere. Da kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Denn die wohlhabende Verkin hat intensiv aufgespielt – im Privaten und in der Öffentlichkeit, in Berlin und Paris, in der Schweiz und in den USA. Aber vor allem in der Türkei. Kann das alles wahr sein?

Für Verkin, die die deutsche Sprache liebt, gibt es ein veritables Vorbild. David Wagner, der seinen Roman am 24. Oktober im Literaturhaus Köln vorstellt, hat selbst den Hinweis auf Verkin Arioba Kasaoglu gegeben. Zudem hält sie auf ihrem Instagram-Account die literarische Neuerscheinung in die Kamera. Allerdings hat David Wagner kein Sachbuch geschrieben, sondern einen Roman. Was wahr und was erfunden ist – das auseinanderzuhalten, ist ein müßiges Unterfangen.

Einen klassischen Plot hat der Roman nicht

Einen Plot alter Ordnung hat dieser Roman nicht zu bieten. Auch strebt er nicht nach dramatischer Zuspitzung. Vielmehr setzt der Autor, der mit großer Detailfreude ans Werk geht, ganz auf die kräftigen Farben der Vita. So wird eine Verkin-Erinnerung an die andere gehängt – wie Kleidungsstücke auf einer Wäscheleine.

Allein die Männer in Verkins Lebens füllen viele Seiten. Die Frau, die mit Witz und scharfer Zunge gesegnet ist, sagt über einen gewissen Detlev aus der Frühphase ihres Liebeslebens: „Wir lernten uns beim Tauchen kennen, vielleicht fiel mir deshalb nicht gleich auf, dass wir uns nicht viel zu sagen hatten.“ Und dann die zahlreichen Promis. Da ist Verkin nicht nur im B-Bereich unterwegs. In Berkeley steht sie mit Angela Davies in der Küche und lernt von ihr, wie Chili con Carne gekocht wird.

Mehr noch als mit dem Society-Trubel überzeugt der Roman mit seinen Einblicken in die Türkei. Da lernen wir zum einen die Faszination der Megametropole Istanbul kennen. Auch ziehen die Schönheiten der Landschaft vorbei wie in einem Road Movie. Es geht bis zum Vansee an der armenischen Grenze. Ein „anatolischer Landschaftsfilm in langen Einstellungen“, wie es im Roman heißt, „und Verkin ist die Stimme aus dem Off.“

Der Erzähler weist viele Parallelen zum Autor auf

Zum anderen werden die politisch-wirtschaftlichen Strukturen im Lande offenbart. Dazu zählt die Unterdrückung oppositioneller Kräfte, worunter nicht zuletzt Verkins Vater zu leiden hatte. Er hatte den Völkermord an den Armeniern überlebt und kam dann mit der Elektrifizierung der Türkei (Schalter, Stecker, Lampenfassungen) zu viel Geld. Doch der Staat setzte ihm zu mit Sondersteuern und Repressionen. Verkin sagt: „Im Gefängnis zu sitzen, gehört in der Türkei dazu.“

Überdies ist Bestechung, den Eindruck vermittelt Verkin im Roman, das täglich‘ Brot: „Geld war für mich immer auch Spielgeld, weil ich wusste, dass am Ende nur Verbindungen weiterhelfen.“ Wer heute das Sagen habe, gehöre morgen zu den Verlierern. Verkin fasst zusammen: „Willkommen im türkischen Surrealismus, mon cher.“

Der Erzähler im Roman, der David heißt und überhaupt viele Parallelen zu seinem Autor aufweist, agiert als moderner Eckermann. Er schreibt auf, was ihm die schillernde Großbürgerin bei seinen vielen Reisen in die Türkei preisgibt. Allerdings ist David nicht nur Stichwortgeber. Beim bildungsbürgerlichen Pingpong zwischen den beiden, dem flotten Austausch von Zitaten, Szenen, Songtiteln, ist er ganz auf der Höhe. Auch bringt er immer wieder seine eigene Vita ins Spiel. Und er wagt es, Distanz zu signalisieren, wenn Verkin ihre Unterstützung für den türkischen Präsidenten Erdogan und seine AK Parti zum Besten gibt.

Auf seinem Smartphone überprüft David zuweilen die Geschichten, die ihm serviert werden. Ja, Verkin fordert ihn sogar dazu auf. „Look it up“, sagt sie. Und dann stimmen die Fakten selbstverständlich. Ihm komme es vor, sagt er, als habe sie mehr als nur ein Leben gelebt. Doch Verkin wiegelt ab. „Ich habe bloß versucht, so viel wie möglich mitzunehmen und überall mit möglichst vielen Menschen zu reden.“ Was für ein starkes Lebensmotto. Glücklich jene, die es wie Verkin in die Tat umsetzen können.


David Wagner: „Verkin“, Rowohlt, 390 Seiten, 26 Euro. E-Book: 24,99 Euro. Lesung im Literaturhaus Köln am Donnerstag, 24. Oktober, um 19.30 Uhr.