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Kommentar

Mischke-Debatte
Die ARD – kein sicherer Ort für Frauen

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Lesezeit 3 Minuten
Am 16. Februar soll Thilo Mischke zum ersten Mal „ttt – titel thesen temperamente“ moderieren. Doch gegen diese Wahl protestieren viele Kulturschaffende.

Am 16. Februar soll Thilo Mischke zum ersten Mal „ttt – titel thesen temperamente“ moderieren. Doch gegen diese Wahl protestieren viele Kulturschaffende.

Thilo Mischke soll das ARD-Kulturmagazin „ttt – titel, thesen, temperamente“ moderieren, doch gegen die Entscheidung gibt es zu Recht Widerstand.

Die ARD hat ein hausgemachtes Problem. An Weihnachten legte die Redaktion von „ttt – titel, thesen, temperamente“ der deutschen Kulturlandschaft ein Geschenk unter den Baum, das sich offensichtlich kaum jemand gewünscht hatte. Thilo Mischke soll als Nachfolger von Max Moor im Wechsel mit Siham El Maimouni das ARD-Kulturmagazin moderieren. Was folgte, war eine Welle des Protests, die nun in einem offenen Brief gipfelte.

Autorinnen und Autoren wie Alena Schröder, Saša Stanišić, Stefanie de Velasco, Ulrike Draesner, Margarete Stokowski, Till Raether und rund 100 andere Kulturschaffende kündigen darin an, nicht mit dem 43-Jährigen zusammenzuarbeiten, sollte die ARD an ihm festhalten. Doch wer jetzt Cancel Culture ruft, irrt. Die Unterzeichnenden haben gute Gründe, warum sie Mischke auf diesem Posten verhindern wollen.

Da ist zum einen sein Buch „In 80 Frauen um die Welt“, das er im Jahr 2010 veröffentlichte. So unappetitlich der Titel, so misogyn der Inhalt. In dem Reisebericht, über dessen Grad der Fiktionalisierung sich Mischke im Laufe der Jahre sehr unterschiedlich äußerte, reist der Ich-Erzähler um die Welt, um in 80 Ländern mit Frauen zu schlafen und so eine Wette zu gewinnen.

Der Aufschrei ist berechtigt

Das Buch strotzt vor frauenverachtenden und rassistischen Aussagen, zahlreiche Beispiele haben Annika Brockschmidt und Rebekka Endler in ihrem Podcast „Feminist Shelf Control“ mit Kolleginnen und Kollegen zusammengetragen. Die ARD hatte zwar in einem Statement betont, Mischke habe sich „intensiv und selbstkritisch mit den Vorwürfen, darin ein sexistisches Frauenbild vermittelt und stellenweise rassistische Sprache benutzt zu haben, auseinandergesetzt“. Allerdings hat er noch 2021 gesagt, der Titel sei zwar ein Fehler, das Buch aber nicht.

Kritik wurde zudem laut an pseudowissenschaftlichen Thesen, die Mischke in der Zwischenzeit äußerte. In einem Podcast sagte er 2019, die männliche Sexualität basiere auf Vergewaltigung. Nur die Gesellschaft und die Moral der letzten 2000 Jahre Christianisierung in Europa habe den Männern das Vergewaltigen abgewöhnt. Der Urmensch sei ausgestorben, weil er zu zärtlich zu den Frauen gewesen sei und sie nicht wie der Homo sapiens vergewaltigt habe.

Die Liste problematischer Äußerungen ist noch um einiges länger und sehr gut dokumentiert. Der Aufschrei ist berechtigt. Die „ttt“-Redaktion hat sich nach dem ersten Statement nicht mehr geäußert und auch von der ARD gab es bisher keine Reaktion auf den Protest oder den offenen Brief. Da kann man schon den Eindruck gewinnen, sie wolle das Problem aussitzen.

Die ARD setzt ein fatales Zeichen

Die deutsche Kulturlandschaft ist vielfältig, es gibt sehr viele kompetente Journalistinnen und Journalisten, die das wohl wichtigste TV-Kulturmagazin des Landes bereichern könnten. Warum entscheidet man sich dann ausgerechnet für einen ohnehin schon im Privatfernsehen gut beschäftigen Journalisten, der durch solche Äußerungen negativ auffällt und zudem von sich selbst sagt, sein Kulturbegriff sei unterkomplex?

Fast zeitgleich zum Urteil im Prozess gegen Dominique Pelicot und seine Mitangeklagten setzt die ARD ein fatales Zeichen: Sexismus und Misogynie sind in Deutschland offensichtlich kein Problem, wenn es darum geht, einen so wichtigen Posten zu besetzen. Die Popularität und Mainstream-Tauglichkeit des Journalisten, der etwa mit einer Pro-Sieben-Reportage über Rechtsextremismus in Deutschland zurecht für Aufmerksamkeit sorgte, war ihnen wichtiger als „ttt“ zu einem Safe Space zu machen, in dem Diversität mehr ist als eine Floskel.

Kultur bietet die einmalige Möglichkeit, die großen gesellschaftlichen Themen zu verhandeln. Und das ist nun mal alles andere als unterkomplex.

Am 16. Januar erscheint im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch „Und ich werde dich nie wieder Papa nennen“ von Caroline Darian. Die Tochter von Gisèle Pelicot berichtet darin von dem, was ihr Vater ihrer Mutter und der ganzen Familie angetan hat. Ein Interview mit der Autorin wäre in „ttt“ eigentlich gut aufgehoben. Glaubt die ARD wirklich, Thilo Mischke sei der richtige Mann, dieses Interview zu führen?