Veronica Ferres über die ZDF-Horrorserie „Hameln“, Dreharbeiten in den USA und die Anfänge ihrer Karriere.
Veronica Ferres über die Anfänge ihrer Karriere„Es war normal, dass Macht missbraucht wurde“
Frau Ferres, man kennt Sie aus sehr unterschiedlichen Projekten, aber Horror habe ich nicht mit Ihnen in Verbindung gebracht. Jetzt sind Sie in der ZDF-Horrorserie „Hameln“ zu sehen. Was verbinden Sie mit dem Genre?
Ich liebe Horrorfilme. Ich werde nie vergessen, wie ich als Jugendliche „Shining“ geschaut habe und mich in die Arme eines Jungen geworfen habe, der mich beschützen sollte. Horrorfilme sprechen die Urinstinkte der Menschen an. Es gibt nicht nur das Helle, es gibt auch viel Dunkelheit. Als Schauspielerin war es immer ein Traum, in einem Horrorfilm zu spielen. Einmal durfte ich das an der Seite von Nicolas Cage in „Pay the Ghost“. Und jetzt eben in einer Horrorserie.
Wie haben Sie reagiert, als Sie hörten, dass es darin um den Rattenfänger von Hameln gehen soll?
Als Rainer Matsutani mir davon erzählte, den Rattenfänger in der Jetztzeit zu adaptieren, war ich begeistert. Es ist eine der populärsten Geschichten weltweit. Ich weiß, wie ich mich gefühlt habe, als meine Eltern mir das vorgelesen haben. Mutter und Vater zu verlieren, ist ja die Urangst eines Kindes. Und auf der anderen Seite können sich Eltern nichts Schlimmeres vorstellen, als dass das Kind in die Hände eines Rattenfängers gelangt und ins Nichts verschwindet. Darum lieben wir die Tragödie. Das hat ja schon Aristoteles durch die Katharsis erklärt. Wir erleben, wie jemand durch Schmerz und Tragik durchgeht, versetzen uns in ihn hinein und befreien uns so von unseren eigenen dunklen Seiten. Das ist reinigend für die Seele.
Schuld ist das große Thema dieser Serie. Alle Erwachsenen haben sich auf unterschiedliche Weise schuldig gemacht. Das ist ein interessanter Zugang für diese Geschichte. Sie müssen sich in jeder Hinsicht den Geistern der Vergangenheit stellen.
Die Parabel, die der Rattenfänger von Hameln erzählt, dreht sich um die Frage der Verlässlichkeit. Die Verantwortlichen der Stadt haben dem Rattenfänger etwas versprochen, nämlich eine Belohnung dafür, dass er sie von der Rattenplage befreit. Kaum ist sie weg, wollen sie davon nichts mehr wissen. Und er nimmt Rache. Wir lernen, wie wichtig es ist, verlässlich zu sein, aber auch wie wichtig es ist, nicht rachsüchtig zu sein. Dass die Kinder alle entführt werden, ist ein Alptraum für eine Gesellschaft. Das überträgt man natürlich auf heute. Was tun wir der Mutter Erde an? Das ist ein Desaster für die junge Generation. Es gibt so viel Parallelen zum Hier und Jetzt, die wirklich faszinierend sind.
Was ist die Herausforderung für Sie als Schauspielerin an einer Horrorserie?
Es wird anders gedreht, man muss eine stärkere Fokussierung und Fantasie haben, um sich vorzustellen, was man am Set nicht sieht, was nachher durch visuelle Effekte hineingearbeitet wird. Dafür braucht es ein bedingungsloses Vertrauen zum Regisseur, der genau weiß, was er will. Herausfordernd war bei diesem Projekt aber auch, dass sie mit ihrem Sohn in Gebärdensprache kommuniziert. Die musste ich so verinnerlicht haben, dass ich beim Drehen nicht mehr darüber nachgedacht habe.
Sie haben auch viele Filme in den USA gedreht. Kann Deutschland als Produktionsstandort im Vergleich mithalten?
Wir haben tolle Leute in Deutschland, wir haben die besten Möglichkeiten. Ich habe in Amerika an die 40 Filme gedreht, die meisten Independent-Produktionen, da ist die Arbeitsweise nicht anders als hier. Bei „Red Sonja“, einem Film auf einem Marvel-Comic basierend, war es allerdings anders. Das war ein richtig dicker Studiodreh. Da fragt niemand am Nachmittag, ob jemand einen Cappuccino will und holt den um die Ecke, sondern es fährt ein Cappuccino-Truck vor mit 20 verschiedenen Geschmacksrichtungen. (lacht)
Erleichtert es Ihnen die Arbeit, wenn die Bedingungen am Set so sind?
Ich brauche das alles nicht, um Geschichten zu erzählen. Was mich glücklich macht und erfüllt ist die kreative Arbeit am Set. Was will die Regisseurin oder der Regisseur? Wie setzen wir das um? Was sind die Herausforderungen? Ich will vor der Kamera jede Sekunde das Beste geben. Da ist es mir egal, wie hoch das Budget ist und ob es ein Studentenfilm oder ein Marvel Film ist.
Zu Beginn Ihrer Karriere haben Sie auch viel Ablehnung erfahren. Sie seien zu groß, von allem zu viel, wie Sie mal gesagt haben. Wie schwer war das? Und hat sich inzwischen etwas verändert für Frauen in der Branche?
Das war oft furchtbar einsam und schwer. Mich hat immer die Liebe zur Kunst und zum Geschichtenerzählen aufrechterhalten. Aber die Steine, die uns damals in den Weg gelegt wurden, waren enorm. Ich denke, dass sich sehr viel geändert hat, dass es in die richtige Richtung geht. Aber das ist erst der Anfang.
Welchen Einfluss hatte die MeToo-Bewegung auf diese Entwicklung?
Der Generation meiner Tochter wird zugehört, wenn Übergriffe passieren. Meiner Generation wurde nicht zugehört. Da wurde gesagt: Sei ruhig, das stört den Ablauf. Es war normal, dass Macht missbraucht wurde. Damit musste man selbst klarkommen. Es gab niemanden, der einen unterstützt hat. Heute haben die Verantwortlichen gar keine andere Wahl, als zu reagieren und zu handeln. Es gibt viele gute Männer, die nichts ändern müssen, aber es gibt eben auch diejenigen, bei denen einfach Konsequenzen gezogen werden müssen.
Hat das etwas damit zu tun, dass man am Set eine gewisse Hierarchie braucht? Ist Ihre Branche anfälliger für Machtmissbrauch?
Ich glaube, dass das in jeder Branche so ist - in der Autoindustrie, im Banken-System, in einem Verlag. Es liegt im Menschen, dass die, die tief in ihrem Kern unsicher sind, sich durch Machtmissbrauch stärker fühlen.
Sie haben irgendwann bewusst einen Rollenwechsel angestrebt, wollten nicht mehr das „Superweib“ sein. Das hätte auch schiefgehen können. Hatten Sie Momente, in denen sie dachten, das kann jetzt vorbei sein für mich?
Die habe ich immer wieder. Als Künstler stellt man sich immer in Frage. Aber erst mal war ich unheimlich dankbar, überhaupt ein Klischee zu haben, denn nach jahrelanger Arbeit an ganz kleinen Theatern, dann größeren, dann Staatstheatern, war es ein langer Weg, im Film Fuß zu fassen. Aber es muss mehr geben als das, irgendwann muss man sich am Klischee brechen, es nicht mehr erfüllen, sondern es brechen. Das war die Herausforderung. Viele haben gesagt: Die haben wir doch jetzt in der Schublade, warum streckt die den Kopf da raus? Das ist ja unbequem, machen wir die Schublade gleich mal wieder zu. Und dann hängt der Kopf dazwischen.
Nur acht Prozent der Frauenrollen im deutschen Fernsehen sind über 50. Es gibt die Kampagne Ihrer Kolleginnen „Let's Change The Picture“, die sich für mehr Repräsentanz älterer Frauen einsetzen. Verändert sich da etwas?
Es tut sich viel, aber die Amerikaner sind uns da voraus. Dort dürfen sie bei Castings gar nicht mehr nach dem Alter fragen. So habe ich die weibliche Hauptrolle in dem amerikanischen Western "The Unholy Trinity” bekommen. Im Drehbuch steht Sarah, 41 Jahr alt und sie hat eine 8-jährige Tochter. Aber der Regisseur, das Studio und die Agenten waren begeistert von meiner Leistung und haben gesagt, ich passe am besten. Sie haben nie nach dem Alter gefragt. Das würde ich mir in Deutschland auch wünschen. Ich hätte auch kein Problem damit, eine Sechzigjährige oder mit Hilfe durch Make-up eine Siebzigjährige zu spielen.
Sie sind in Solingen aufgewachsen. Hat Ihre Herkunft heute noch einen Einfluss auf Ihr Leben?
Absolut. Pina Bausch ist in Solingen geboren. Was hat sie für ein unfassbares Lebenswerk hingelegt? Ich habe meine erste Erfahrung bei ihr am Wuppertaler Tanztheater gemacht, war da Hospitantin mit 13 oder 14. Das hat mich so sehr geprägt, diese unfassbare Bildsprache, wie sie das Ballettheater revolutioniert hat. Meine Stiefmutter lebt in Solingen, mein Bruder auch. Meine Eltern waren großartig, ich vermisse sie jeden Tag. Sie waren die gebildetsten und feinsten Kohle- und Kartoffelhändler der Welt. Das sind meine Wurzeln. Das ist meine Heimat.
Sie sind erfolgreich, aber viele Schauspielerinnen und Schauspieler können nicht von ihrer Arbeit leben. Haben Sie Ihrer Tochter abgeraten, als die sagte, sie möchte diesen Beruf ergreifen?
Bei mir hat man das auch gesagt. Die Eltern sind Kohle- und Kartoffelhändler, sie hat keine Chance. An staatlichen Schauspielschulen haben sie mir gesagt, du wirst ein Sozialfall, eine Frau von 1,80 Meter kriegt keine Rollen. Die Begabung ist da, die Fantasie, aber das können wir nicht machen. Wir müssen andere bevorzugen. Da habe ich so viel Wut gekriegt, weil ich mir wegen ein paar Zentimetern Beinlänge nicht die Berufung nehmen lassen wollte. Dann habe ich es allein gemacht - und genau deshalb habe ich ihr nicht abgeraten.
Veronica Ferres (59) ist eine der bekanntesten Schauspielerinnen Deutschlands. Mit der Hauptrolle in Kinofilm „Das Superweib“ wurde sie 1996 einem größeren Publikum bekannt. Sie war in der Oscar nominierten Satire „Schtonk!“ zu sehen. Für ihre Darstellung der Nelly Mann in Heinrich Breloers „Die Manns - Ein Jahrhundertroman“ wurde sie 2002 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.
Am 30. Dezember stehen ab 10 Uhr alle Folgen von Hameln in der ZDF-Mediathek. ZDFneo zeigt alle Folgen am 30. Dezember ab 21.45 Uhr.