Patricia Quinn war die Ur-„Magenta“ der „Rocky Horror Show“, Sky du Mont und Oliver Savile spielen beim Kölner Gastspiel mit.
„Rocky Horror Show“ in KölnSo bescheiden fing das Kult-Musical vor 50 Jahren an
Der „Time Warp“? Patricia Quinn winkt ab. Der war doch nur eine Last-Minute-Zugabe. Quinn, Jahrgang 1944, war Magenta, das außerirdische Dienstmädchen mit der Frankensteins-Braut-Frisur, in der Originalproduktion der „Rocky Horror Show“ – und zwei Jahre später in der berühmten Verfilmung des Musicals. Wir sind mit ihr an den Ort des Geschehens zurückgekehrt, ins Theatre Upstairs, der Studiobühne unter dem Dach des Londoner Royal Court Theatres.
Hier feierte „Rocky Horror“ im Glamrock-Sommer des Jahres 1973 seine bescheidenen Anfänge, der Off-Spielort fasste nur 63 Zuschauer, gespielt werden konnte, wegen der lauten Musik, erst um 22.10 Uhr, nach der Hauptvorstellung. Unten, erinnert sich Patricia Quinn, spielte Coral Browne in Edward Bonds Komödie „The Sea“. „Oben gab es nur einen kleinen Büroraum. Wer schüchtern war wie ich, zog sich auf dem Damenklo um. Eines Nachts flog nach unserer Show die Toilettentür auf und Vincent Price spazierte herein.“ Der Horrorfilmstar war mit Browne verheiratet. Er hatte sich „Rock Horror“ angeschaut und war begeistert: „Fantastisch! Wunderbar!“, rief Price mit seiner einschmeichelnd-bedrohlichen Stimme in den Ladies' Room.
Was der „Time Warp“ aus der „Rocky Horror Show“ mit einem Godard-Klassiker zu tun hat
Das Theater am Sloane Square selbst habe dem seltsamen Geschehen auf seinem Dachboden nur widerwillig zugestimmt, so Quinn. Regisseur Jim Sharman hatte „Rocky Horror“-Erfinder Richard O'Brien hier in einem Sam-Shepard-Stück besetzt. Als O'Brien dem Australier das Libretto zeigte, an dem er lange, arbeitslose Winterabende gesessen hatte, erkannte Sharman dessen Potenzial. Er hatte bereits „Hair“ und „Jesus Christ Superstar“ inszeniert, jetzt erpresste Sharman den Theatre-Upstairs-Gründer Nicholas Wright: Dürfe er die „Rocky Horror Show“ nicht machen, könne der seinen Shepard-Abend vergessen.
Und der „Time Warp“, der heute von Menschen in aller Welt mitgetanzt wird? Quinn: „Jim hatte einen französischen Film gesehen, in dem zwei Gangster und ein Mädchen in einem Café den Madison tanzen, das war ein populärer Tanz. Also wollte er, dass auch wir so einen Reihentanz aufführen. Am nächsten Tag präsentierte Richard ihm den ‚Time Warp‘.“ Eine kleine Recherche fördert das Vorbild zutage: Die Szene findet sich in Jean-Luc Godards Nouvelle-Vague-Klassiker „Bande à part“.
Ein anderer Song, den O'Brien für Sharman über Nacht komponierte, sei Janet Weiss' resolute Aufforderung „Touch-a, Touch-a, Touch-a, Touch Me“ gewesen. „Sie wissen ja, wie der Text weitergeht: 'I wanna be dirty.' Unsere damalige Janet, Julie Covington, weigerte sich zuerst das zu singen. Sie fand es widerlich. Aber dann tat sie es doch.“
Träum' es nicht, sei es: Die Geschichte der „Rocky Horror Show“ scheint aus einem Geflecht überwundener Hindernisse und glücklicher Zufälle gewebt. Jetzt hat Oliver Savile im Upstairs auf einem Barhocker Platz genommen. „Whatever Happened to Fay Wray?“, fragt er ganz sachte zur Gitarrenbegleitung. Für die Jubiläumstour zum 50. Geburtstag des Musicals hat er erneut die Rolle des Frank'n'Furter übernommen. Heute trägt er bis auf rote High Heels zivil. Trotzdem, als er zum „Don't dream it, be it“-Glaubensbekenntnis des „sweet transvestite from Transexual, Transylvania“ anhebt, kribbelt es trotzdem im Nacken.
Auch Patricia Quinn ist begeistert von Saviles Performance. Und erinnert sich an die „Rocky Horror“-Live-Band, für die 1973 auf der Upstairs-Bühne kaum Platz war. Bühnenbildner Brian Thomson versteckte sie schließlich hinter einer Leinwand. Und um die Kinoanmutung zu komplettieren, verwandelte sich Quinn in eine Platzanweiserin, die das Publikum zur „Science Fiction/Double Feature“ begrüßte. „Dazu warf ich Glitzer aus einer Umhängekiste, was großartig wirkte. Aber weil Glitzer damals aus Glasstückchen hergestellt wurde, bekam man ihn kaum ab. Mein Mann spielte zur gleichen Zeit ‚Othello‘, in schwarzer Bemalung. Wir waren eine seltsame Kombination. Unser Bett sah fürchterlich aus.“
Für den berühmten Vorspann der Verfilmung musste sich dann Quinn schwarz überschminken lassen, nur ihre rot gefärbten Lippen sollten zu sehen sein. Der Film war, im Gegensatz zur Bühnenshow, ein Flop, entwickelte sich erst nach und nach zur Mitmach-Sensation in Mitternachtsvorstellungen. Bald erschienen auch Theaterzuschauer in Straps und Korsett. Den steifen Erzähler ärgerten sie mit frechen Einwürfen, von denen „langweilig!“ noch der harmloseste ist.
Wie Sky du Mont einmal Mick Jagger ein Haus verkauft hat
In Deutschland füllt Sky du Mont, Deutschlands elegantester Schurkendarsteller, seit vielen Jahren diese scheinbar undankbare Rolle aus. „Ich spiele seit Jahrzehnten Theater – plötzlich ist die vierte Wand weg und ich darf als Einziger auf das Publikum reagieren“, schwärmt du Mont. Jede einzelne Aufführung sei anders, was manchmal nervenaufreibend sei, aber oft auch sehr lustig. Als junger Mann, erinnert sich der Schauspieler, habe er ganz in der Nähe des Royal Court gearbeitet, als Immobilienmakler. „Das hätte meine Karriere sein können. Immerhin habe ich Mick Jagger ein Haus verkauft. Auch wenn der kein Wort mit mir geredet hat.“
Doch als er nach einem Skiurlaub wieder in seine Wahlheimat einreisen wollte, wurde er von einem Zollbeamten aufgehalten: Ob er zu seiner bisherigen Arbeit zurückkehren werde? Das wisse er noch nicht, flachste du Mont – und wurde prompt des Landes verwiesen. „Ich kam ohne einen Pfennig Geld in München an, mein rostiger MG stand noch im Londoner Carpark. Ich hielt mich über Wasser, indem ich in Restaurants gearbeitet und Komparserie gemacht habe – und plötzlich war ich Schauspieler.“
Oliver Savile dagegen musste sich während der Pandemie dringend eine Alternative zur Bühnenkarriere suchen. Er machte eine Ausbildung zum Baumpfleger. „Als ich den Anruf bekam, dass ich für Frank'n'Furter vorsprechen sollte“, befand ich mich gerade mit einer Kettensäge in einer Baumkrone.“
Das Casting musste Savile während seiner Mittagspause absolvieren: „Ich habe seit vier Stunden einen Helm auf. Ich bin mit Baumresten und Kettensägenöl bedeckt, ich schwitze. Aber ich springe auf mein Motorrad und düse zum Studio. Ich habe mich nicht eingesungen oder aufgewärmt, aber ich singe „Sweet Transvestite“ in Kettensägenhosen und Kettensägenstiefeln.“ Natürlich bekam er den Job.