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Debüt von Kölner AutorinEin Buch wie ein Fiebertraum

Lesezeit 5 Minuten
Nora Schramm

Nora Schramm

Die Kölner Autorin Nora Schramm hat einen hochaktuellen und verstörenden Debütroman geschrieben.

Das Blödfinden der Generation der um die 60-Jährigen ist bei Jüngeren so populär, dass es sogar einen Begriff dafür gibt: Boomer-Bashing. Und auf den ersten Seiten könnte man Nora Schramms Debütroman für genau das halten: äußerst unterhaltsames Boomer-Bashing. Ich-Erzählerin Helene ist 35 und um die Weihnachtszeit zu Besuch bei den Eltern in der Stuttgarter Vorstadt. Viele kennen das: Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein im Elternhaus. Und egal wie alt man ist – plötzlich wird man wieder zum Kind. Auch Helene ist sofort wieder die „Maus“, die sie noch nie sein wollte.

Und diese „Maus“ ist alles andere als niedlich. Mit unbarmherzigen Humor blickt sie auf das gutbürgerliche Leben der Eltern: Das gepflegte Eigenheim mit Billardtisch, Kamin und restaurierten Retro-Möbeln. Die Mutter und Hausfrau, die „up to date“ und nicht so wie alle anderen sein will - auf keinen Fall spießig. Der sprachlose Vater, der schon immer durch Abwesenheit glänzte und eher wie ein Geist durch die Räume weht.

Das ist zwar witzig und ziemlich treffsicher. Aber sich wie Helene als 35-jährige noch am falschen Style seiner Eltern abzuarbeiten ist doch eigentlich ziemlich uncool - um es mal im Boomer-Jargon zu formulieren. Weswegen man sich beim Weiterlesen dann doch irgendwann nicht mehr mit dieser Erzählerin identifizieren mag, die alles besser zu wissen glaubt: „Die Mutter weiß überhaupt nicht, was ein richtiges Curry ist, bei der Mutter ist es einfach eine orangene Linsenpampe“. Irgendwie unsympathisch, oder?

Nora Schramm führt ihre Leser und Leserinnen gerne aufs Glatteis und benutzt die anfängliche Identifikation mit der Ich-Erzählerin ganz bewusst, „um das dann in etwas abgleiten zu lassen, wo man sich eigentlich nicht gerne wiedererkennen möchte“, wie sie im Gespräch sagt.

Mit Fragen zurückzubleiben und auch mit einem Unbehagen – darum geht es in meiner Literatur
Nora Schramm

Helene ist zwar eine scharfe Beobachterin und Kritikerin. Aber von sich selbst hat sie überhaupt keine Ahnung. Vielleicht hat sie sich deswegen darauf spezialisiert, lieber andere zu be- oder verurteilen: „Ich frage mich, was ich eigentlich von mir denke, und mir fällt nichts ein, als dass ich eine bin, der es egal ist, was die anderen denken, was aber noch nicht die Frage beantwortet, was ich eigentlich selbst von mir denke, und wenn ich etwas denken würde, ob mir das möglicherweise auch egal wäre.“ Puh...

Kaum vorstellbar, dass diese Person, die in ihrer lethargischen, sprachlosen Scheißegal-Haltung irgendwie an einen pubertierenden Teenager erinnert, im fernen Berlin eine erfolgreiche bildende Künstlerin sein soll. Bis sie beginnt, ihr Elternhaus in eine Rauminstallation zu verwandeln – mit jeder Menge Sprühfarbe und zehn Tonnen (!) Sand.

Auch hier zeigt sich, wie schlau und vielschichtig dieser Roman ist, wie viele doppelte Böden eingebaut sind. Denn einerseits wird klar, was Kunst vermag: Als Künstlerin drückt Helene aus, was sie mit Sprache nicht ausdrücken kann. Gleichzeitig macht sie mit ihrer Kunst-Aktion aber auch das Haus der Eltern unbewohnbar. „Ein Luxus“, sagt Nora Schramm. Kunst muss man sich eben auch leisten können.

Ein schlauer, vielschichtiger Roman mit doppelten Böden

Für Helene mag dieses Haus spießig sein und ein Sinnbild ihrer gescheiterten Familie. Für andere ist es schlicht ein Dach über dem Kopf. Zum Beispiel für Molly, die früher eine Zeit lang mit Helenes Familie zusammengewohnt hat. Ein Mädchen aus „schwierigen Verhältnissen“ wie es Helenes Mutter schön schwammig formuliert. Und Helene? Kommt die also aus „einfachen Verhältnissen“? Naja... „Bei euch drüben war`s immer eine heile Welt (...) Und du warst trotzdem das traurigste Mädchen, das ich in meinem Leben je gesehen habe“, sagt die Nachbarin einmal zu ihr.

Mit Fragen zurückzubleiben und auch mit einem Unbehagen – darum gehe es in ihrer Literatur, sagt Nora Schramm. Und tatsächlich bleibt in ihrem Debütroman „Hohle Räume“ vieles offen. Kein Showdown, keine Enthüllung, keine Erklärung - wir verlassen Helene am Ende des Buchs, wie wir sie am Anfang kennengelernt haben: sonderbar und rätselhaft. Dazu passen die surrealen Bilder, die Helene als Ich-Erzählerin wie selbstverständlich entwirft: Die zierliche Mutter mit dem riesigen Rotweinglas sieht sie plötzlich „als Fee einen Köpper in den Rotwein unternehmen und sich keck über den Glasrand lehnen“. Ein Buch wie ein Fiebertraum.

„Im Haus der Eltern sollte man nicht zu lange liegen bleiben, man verliert sonst jegliche äußere Form“
aus "Hohle Räume"

Was ist Wirklichkeit, was ist Wahn? Worauf ist Verlass? „Hohle Räume“ ist ein hochaktuelles Buch in einer Zeit, in der alte Gewissheiten erodieren. Denn bei Nora Schramm löst sich nicht nur die Grenze zwischen Traum und Realität auf. Alles scheint irgendwie zu verschwimmen, zu verschwinden. Zuallererst natürlich Helene, die bei den Eltern Zeit, Raum und offenbar auch sich selbst vergisst: „Im Haus der Eltern sollte man nicht zu lange liegen bleiben, man verliert sonst jegliche äußere Form“, heißt es im Buch. Und auch die Mutter befällt „das Gefühl, mich aufzulösen. Zu bröckeln“ - sie hat Osteoporose und außerdem verändert sich gerade ihr ganzes Leben. Denn auch die Ehe der Eltern löst sich auf und damit die gewohnte Konstruktion „Vater, Mutter, Kind“. Rollen, auf die einmal Verlass war.

Selbst das gediegene Elternhaus wirkt irgendwie schief. „Hitzeschäden“ liest Helene in einem Brief von den Scheidungsanwälten des Vaters. Mithilfe der Kanzlei „Schwarz und Schwarz“ will er offenbar den Preis der Trennung drücken. Zulasten der Mutter, versteht sich. Ein Beispiel dafür, wie dieser Roman so monumentale Themen wie Macht, Klasse oder Klimawandel scheinbar beiläufig behandelt. Und dabei mit ganz wenigen Sätzen erstaunlich viel enthüllt.

Bei Nora Schramm bekommt die schöne Kulisse, die scheinbar heile Welt Risse, die niemand sehen will. Für sie das typische Verhalten „einer bürgerlichen Mitte, die versucht, diese enormen Krisen unserer Zeit nicht in ihre Häuser zu lassen, die Fenster und Türen geschlossen zu halten.“ Und trotzdem schleicht sich das Unbehagen ganz langsam ein in diesen Roman.


Nora Schramm, 1993 in der Südpfalz geboren, studierte Fremdsprachen und Kulturwissenschaften in Gießen sowie Theorien und Praktiken professionellen Schreibens in Köln.

„Hohle Räume“, Mathes & Seitz, 237 Seiten, 22 Euro.

Am Sonntag, 28. Juli liest Nora Schramm mit Julia Zipfel beim Kulturverein Niehler Freiheit in der Vogelsanger Str. 385 in Bickendorf. Einlass ist um 17 Uhr, gelesen wird um 18.30, um 20 Uhr gibt es ein Konzert von Lucy Liebe.