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„Delirious Toys“ in der BundeskunsthalleMark Dion lässt die Spielzeuge unserer Kindheit tanzen

Lesezeit 5 Minuten
Viele Spielzeugautos stehen im Stau.

Ausstellungsansicht von „Mark Dion. Delirious Toys“ in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle

Der US-Künstler Mark Dion hat in Bonn eine Spielzeug-Wunderkammer eingerichtet. Die ist das Gegenteil von sentimental.

Als der US-amerikanische Künstler Mark Dion zu den Skulptur Projekten Münster eingeladen wurde, setzte er einen ausgestopften Braunbären in eine künstliche Grotte und ließ ihn dort inmitten der Stadt nach dem Vorbild der Heiligen Magdalena für unbestimmte Sünden büßen. Auf dem Boden der Grotte verteilte Dion Fundstücke aus örtlichen Museen: Prähistorisches wie Knochen, Speer- und Lanzenspitzen, aber auch Modernes wie Patronen, Glasscherben und ein verwehter Hut.

Die Frage, was der Münsteraner Problembär ausgefressen hatte, war schon 1997 müßig. Mark Dion interessierte sich mehr dafür, wie wir unser Weltwissen (etwa über die Natur) gewinnen, sammeln, ausstellen und weitergeben. Aber der Nutzwert von Tieren als Schau-, Lehr- oder auch Spielobjekte beschäftigte ihn weiter. Er sammelte Jagdtrophäen, Tierzeichnungen und Skelette, um mit ihnen moderne Wunderkammern zu bevölkern, er bestückte Schaukästen mit animalischen Kuriositäten und verwandelte Ausstellungssäle in improvisierte Tiergehege. Natürlich macht Dions Forschereifer bei Bären und Dinosauriern nicht Halt. Aber ohne die Tierwelt wäre sein Werk kaum denkbar.

Wenn Wissensvermittlung einen Überschuss künstlerischer Fantasie erzeugt, ist Mark Dion in seinem Element

Wer mit Mark Dions Vorlieben vertraut ist, wird am Anfang seiner Spielzeug-Wunderkammer in der Bundeskunsthalle vielleicht etwas sparsam schauen. Die beginnt mit historischen Puppenhäusern, in denen Tiere noch seltener als Menschen sind. Man blickt in mehrstöckige Heime, die Bühnenbildern bürgerlicher Träume gleichen und ängstlich darauf warten, dass jemand sie mit Leben füllt.

Aber schon bald begegnet uns ein Miniaturbauernhof und danach auf Schulwandbildern ganze animalische Lebenswelten: die Tiere des Jurameeres etwa, nur echt mit qualmender Vulkaninsel am Horizont. Wenn Wissensvermittlung einen Überschuss künstlerischer Fantasie erzeugt, ist Dion in seinem Element. Und das führt beinahe zwangsläufig ins Reich des Spielzeugs und zur Frage, was die spielerische Aneignung der Welt über unser Selbstverständnis verrät.

Für die „Delirious Toys“-Ausstellung in Bonn hat Dion über mehrere Monate hinweg in der riesigen Sammlung des Berliner Stadtmuseums recherchiert. Er erkundete die weite Welt des modernen Spielzeugs (altägyptische Holzkrokodile sucht man so vergeblich wie mittelalterliche Steckenpferde) und verteilte Hunderte Objekte über einen leider etwas sterilen Parcours. Die Auswahl reicht von Miniaturautos über Brettspiele bis zur lebensgroßen Babypuppe, und Dion balanciert das Sentimentale durchgehend gegen das Unheimliche aus. Unschuldig sind in dieser Wunderkammer weder Erinnerungen noch große Kinderaugen. Im Finale geht es um rassistische Stereotypen, bevor die bunte Spielzeugwelt auf einem Schlachtfeld jeder gegen jeden untergeht.

Ein Holzauto steht vor Porträts von Stofftieren und einem Harlekin.

Trauriger Teddy und Verwandte in der Bonner Bundeskunsthalle

Auf dem Weg dorthin gibt es viele schöne Sammlerstücke in ebenso liebevollen wie hinterhältigen Arrangements zu sehen. Unter der Überschrift „Das große Rennen“ bilden Spielzeugautos aller Zeiten einen Stau, der sich schon deshalb niemals auflöst, weil er sich über einen Rundkurs wälzt. Hübsch ist die vielfältige Blech-, Plastik- und Holzlawine trotzdem: Es gibt penibel konstruierte Sportwagen und Pferdedroschken, Flugzeuge, Miniaturroller und sogar Ufos. Es ist ein ungleiches Rennen, das Männer in Jungs verwandelt und den Homo ludens in einen Bleifuß.

Das Stofftiergehege bietet eine Teddybärenkiste und eine zoologische Pyramide, die allerdings nicht die Evolution abbildet (oder die Nahrungskette), sondern eher lose nach Größe sortiert ist. Der Karussell-Elefant aus den 1880er Jahren ist dafür zu üppig dimensioniert und steht allein auf einem Podest. Einsamer ist hier nur der Teddybär im Kindersarg: ein Sinnbild für die Treue, mit der wir an den tierischen Spielgefährten unserer Kindheit hängen. In diesem Raum entfaltet die Ausstellung am ehesten eine Magie, die aus industriellen Massenprodukten belebte Totemtiere macht.

Seltsamerweise geht es in der Bonner Ausstellung kaum um Geschlechterfragen

In der Abteilung mit historischen Brett- und Kartenspielen findet mutmaßlich jeder eine Kindheitserinnerung. Mikado gibt es hier ebenso wie Steckhalma oder ein Aquarium, aus dem man arglose Bewohner mit Magneten fischen kann (das hatte ich zu Hause stehen). Bauklötze staunt man hier aber ebenso wenig wie im „unheimlichen Tal der Puppen“, das Dion vor allem mit Exemplaren des im 19. Jahrhundert entworfenen „Kind fürs Kind“ bestückt. Es ist eine alte Erkenntnis, dass diese kindliche Selbstbespiegelung etwas Gruseliges hat, und sei es nur die frühe Einübung der Mutterrolle. Seltsamerweise geht es in der Ausstellung kaum um Geschlechterfragen. Dabei dürfte der sentimentale Wert vieler Exponate zwischen Männer und Frauen deutlich variieren.

Welcher Junge brachte sein Stofftier schon mit bangem Herzen in die Puppenklinik, die in Bonn immerhin seit 100 Jahren ansässig sein soll? Mark Dion ließ deren Operationssaal anscheinend exakt nachbauen, und auch wenn dieser seinen Werkstattcharakter nicht verleugnen kann, versteht man die Gefühle, mit der die Besitzerinnen an den Patienten hingen. Es ist schon merkwürdig: Die Liebe zum Spielzeug erscheint zeit- und geschlechtslos - und doch ist das Spielzeug stets ein Spiegel seiner Zeit. Besonders deutlich wird dies an rassistischen Darstellungen oder in spielerisch maskierter Kriegspropaganda.

Eine Schatzkiste mit Plastikwaffen setzt schließlich den Ton für das drei mal 15 Meter große Miniaturschlachtfeld, auf dem sich unter die menschlichen Truppengattungen auch Außerirdische und Dinosaurier mischen. Den Schlachtplan hat Mark Dion entworfen, er erinnert an die martialischen und deutlich fieseren Plastikmodelle von Jake und Dinos Chapman. Aber eben nur fast. Bei Dion dürfen wir letztlich die Kinder bleiben, die wir im Angesicht unseres Spielzeugs waren.


„Mark Dion. Delirious Toys – Die Spielzeug-Wunderkammer“, Bundeskunsthalle, Museumsmeile, Bonn, Di.-So. 10-19 Uhr, Mi. 10-21 Uhr, bis 9. Februar 2025