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Interview

Depeche-Mode-Fotograf in Köln
Warum Anton Corbijn für ein Foto die Hosen herunterlässt

Lesezeit 7 Minuten
Der niederländische Fotograf Anton Corbijin blickt durch eine Fensterscheibe.

Anton Corbijn signiert am Montag seinen Depeche-Mode-Bildband im Kölner Taschen-Store

Der berühmte Fotograf und Filmregisseur reist zum letzten Depeche-Mode-Konzert an und signiert am Montag, 8. April, im Kölner Taschen-Store.

Anton Corbijn, Sie haben die Bühne für jede Depeche-Mode-Tournee in den vergangenen 30 Jahren entworfen. Jetzt reisen Sie zum letzten Konzert der aktuellen Tour nach Köln. Sind Sie noch oft mit der Band unterwegs?

Anton Corbijn: Nur, wenn es etwas zu tun gibt. Ansonsten toure ich nicht gerne mit, man ist dann immer nur das fünfte Rad am Wagen. Zuletzt habe ich Depeche Mode in Paris gesehen, weil ich dort gerade gedreht habe. Meine Arbeit beginnt schon lange vor der Tournee, wenn ich ein Konzept für die Bühne entwickle, das Material auswähle oder ein paar neue Filme für die Show drehe. Wenn die Tour startet, schaue ich mir ein paar Konzerte an und dann lasse ich es gut sein und gucke nur noch ab und zu vorbei. Als neue Songs in die Setlist aufgenommen wurden, dachte ich, dass sie neue Bilder dafür brauchen. Der Film für „Before We Drown“ ist wirklich gut gelungen, finde ich.

Sie haben Depeche Mode einmal als größte Kultband der Welt bezeichnet. Dieser Kult scheint nicht nachzulassen. Er wird nur noch größer und intensiver.

Ja, sie sind ein bisschen wie The Cure. Beide sind in der gleichen Zeit groß geworden und beide machen ihr eigenes Ding, sie unternehmen nichts, um immer mehr Publikum zu gewinnen. Das ist es, was ich mit Kult meinte: Die Leute wollen in ihre Welt eintreten, anstatt dass die Band ihre Welt zugänglicher macht.

Sie arbeiten auch mit U2 zusammen, oder mit Herbert Grönemeyer. Sie scheinen ein Talent dafür zu haben, sich Künstler von enormer Langlebigkeit auszusuchen.

Das ist wohl eher pures Glück, aber diese Langlebigkeit könnte auch damit zu tun haben, dass es Künstler sind, die etwas schaffen, das Substanz und daher Bestand hat. Ursprünglich wollte ich gar nicht mit Depeche Mode arbeiten, weil ich nicht dachte, dass sie diese Substanz hätten.

Ursprünglich wollte ich gar nicht mit Depeche Mode arbeiten, weil ich nicht dachte, dass sie diese Substanz hätten.
Anton Corbijn

Als Sie die Musiker Anfang der 1980er zum ersten Mal fotografierten, sagten Sie Ihnen, dass Sie mehr auf ernsthafte, existenzielle Bands stehen. Ironischerweise beschreibt das ganz gut, was aus Depeche Mode geworden ist.

In gewisser Weise mussten sie das auch. Zuerst scheint so eine Band nur ein Hobby zu sein, aber wenn man seine ganze Zeit und Energie auf sie verwendet, werden die Dinge ernster. Wir sind in sehr unterschiedlichen Welten aufgewachsen, aber diese Welten sind auf eine sehr schöne Art und Weise miteinander kollidiert. Nachdem ich 1986, 1987 die ersten Videos mit Depeche Mode gedreht hatte, hatte ich das Gefühl, dass ihre Musik und meine visuellen Darstellungen sehr gut zusammenpassen.

Würden Sie sagen, die Band hat im Laufe der Jahre auch Ihren künstlerischen Weg beeinflusst?

Depeche Mode haben mir die Freiheit geschenkt, meine visuelle Sprache zu entwickeln. Sie waren für meine Vorschläge immer sehr offen, und das hat mich dazu angetrieben, Dinge zu wagen, die meine Position rechtfertigen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar, denn ohne sie wäre ich wohl kaum zum Bühnenbilder und zum Filmregisseur weiterentwickelt.

Ihre Fotografien verbinden den dokumentarischen Ansatz mit dem ikonografischen: richtig?

Ja, ich denke, das ist meine Arbeitsweise. Als ich jünger war, wurde ich von der Dokumentarfotografie beeinflusst, denn in den niederländischen linken Zeitungen waren sie sehr beliebt, immer wurde eine Revolution in Südamerika fotografiert. Und diese Schwarz-Weiß-Fotos mit ihren kontrastreichen Himmeln haben meinen Stil sehr beeinflusst. Außerdem war ich anfangs noch etwas unsicher, ich traute mich nicht, den Leuten, die ich fotografierte, genau zu sagen, was sie tun sollten. Da kam mir der dokumentarische Ansatz sehr gelegen.

Mit dem Ergebnis, dass man durch unwirtliche Gegenden spazieren kann, in denen man sich wie in einem Anton-Corbijn-Foto fühlen kann. Recherchieren Sie viel, um diese speziellen Orte zu finden?

Nur ein wenig. Richtiges Scouting findet leider selten statt, weil das teuer ist. Oft reise ich einen Tag vor dem Shooting an und laufe schon mal herum. Ich kann sehr schnell erkennen, was ich nutzen kann und was nicht.

Bei einer jungen Band entstehen spontane Situationen von selbst. Dann gründen die Mitglieder Familien oder ziehen in verschiedene Länder. Treffen müssen arrangiert werden. Wie bewahrt man sich da Spontaneität?

Ganz genau. Das ist eine sehr gute Frage, denn das macht mir wirklich zu schaffen. Jedes Mal, wenn man jetzt zusammenkommt, geht es um die Arbeit. Niemand kommt auf eine Tasse Tee vorbei. Ich erinnere mich an einen Dreh mit U2 in Amsterdam auf Fahrrädern, und es war einfach schrecklich. Nichts. Keine Atmosphäre, nichts. Also habe ich spontan und ohne zu überlegen meine Hosen runtergelassen. Alle haben gelacht, und die Energie kam zurück in die Dreharbeiten. Natürlich mache ich das nicht noch einmal, aber es hat geholfen. Ich habe schon alle möglichen Dinge getan, um eine Reaktion zu bekommen.

Es muss schwierig sein, die Neugierde oder die nötige Reibung aufrechtzuerhalten, wenn man Menschen fotografiert, die zu alten Freunden geworden sind.

Ja, das erste Bild, das man von jemandem macht, ist oft das Einfachste. Es macht einem nichts aus, sein Gegenüber zu verletzen. Aber wenn man denjenigen erst einmal kennt oder von ihm bezahlt wird, wie ehrlich sind dann noch die Bilder? Ich versuche immer, etwas zu machen, das zumindest interessant ist.

Wenn man sein Gegenüber erst einmal kennt oder von ihm bezahlt wird, wie ehrlich sind dann noch die Bilder?
Anton Corbijn

Als wir uns das letzte Mal unterhielten, haben Sie erzählt, dass Sie für Ihre Fotografie alles tun würden, dass sie als angehender Fotograf sogar ein Jahr lang in einem Bordell gelebt haben. Könnten Sie das mal näher erläutern?

Ich war 19, bin gerade von zu Hause weg und nach Den Haag gegangen. Ich hatte nicht viel Geld, und das war die billigste Wohnung, die ich finden konnte. Die Mädchen wohnten im Erdgeschoss, ich in der Etage darüber. Ich zahlte ihnen die Miete, das war alles. Natürlich kamen die Leute aus der Klasse, die ich besuchte, gerne vorbei, weil die Mädchen immer ihre Brüste zeigten, wenn man unten vorbeiging. Mein Vater war ein Geistlicher. Er hat das nicht besonders gutgeheißen. Nach einem Jahr bin ich umgezogen.

Sie haben auch erwähnt, dass Sie die Kamera Ihres Vaters zu Konzerten mitgenommen haben, weil Sie sich dahinter verstecken konnten. Haben Sie immer noch das Gefühl, dass Sie sich hinter der Kamera verstecken?

Nein, das nicht. Es war damals auch eher eine Ausrede für mich. Wenn man schüchtern ist, neigt man dazu zu denken, dass die Leute einen beobachten und über einen reden. Ich dachte, wenn ich eine Kamera mitnehme, wird jeder denken, dass ich so weit nach vorne gehe, weil ich einen Job zu erledigen habe. Das war meine sehr naive Logik. Aber ich bin froh, dass ich es getan habe. Ich habe Tausende von Musikern fotografiert, aber ich sehe mich nicht als Musikfotograf, sondern als Porträtfotograf.

Gibt es ein bestimmtes Porträt, auf das Sie besonders stolz sind?

Oh ja. Ich bin sehr stolz auf das Foto, das ich von Nelson Mandela gemacht habe. Auch auf eines von Ai Weiwei. Es gibt ein Bild von Christy Turlington, das ich sehr mag. Und ich habe ein Foto von Gerhard Richter gemacht, von dem ich weiß, dass er es selbst auch liebt.

Auf sein Porträt von Nelson Mandela ist Anton Corbijn besonders stolz

Abgesehen davon, dass es sich um den großen Nelson Mandela handelt, was befriedigt Sie künstlerisch an diesem Porträt?

Es strahlt eine Freude aus, eine unglaublich positive Energie. Erst als ich nach Hause kam und es druckte, bemerkte ich, dass neben seinen Füßen ein kleiner Rosenstrauch wächst, der exakt die gleiche Haltung hat wie er.

Selbst wenn Sie sich nicht als Musikfotograf sehen, so hat Ihre Arbeit doch sehr stark das Gesicht der Rockmusik am Ende des 20. Jahrhundert geprägt.

Und darauf bin ich auch stolz. Ich kann durchaus einen Schritt zurücktreten und sehen, was ich erreicht habe.

Ich habe mich gefragt, wo Sie in der aktuellen Musikszene die wahrhaft ikonischen Bilder sehen?

Ich sehe eigentlich nichts, wo ich mir wünschte, ich hätte das Bild gemacht. Ich glaube, die progressive Fotografie findet man heute eher in der Mode als in der Musik.


Am Montag, 8. April, wird Anton Corbijn von 14 bis 16 Uhr im Kölner Taschen-Store (Neumarkt 3, 50667 Köln) sein Buch „Depeche Mode by Anton Corbijn“ signieren. Anmelden können Sie sich hier

Anton Corbijn, 1955 im niederländischen Strijen geboren, hat als Fotograf fast alle Größen des Musikgeschäfts abgelichtet. Er gilt als viertes bzw. fünftes Mitglied von Depeche Mode und U2. Als Filmregisseur hat er mit George Clooney, Philip Seymour Hoffman und Robert Pattinson gedreht.

Anton Corbijn Depeche Mode Buchcover

Das Cover von Anton Corbijns im Kölner Taschen-Verlag erschienenen Depeche-Mode-Prachtband

Der Bildband ist in einer günstigen Ausgabe für 15 Euro erhältlich. Die über 500 Seiten starke Prachtausgabe von „Depeche Mode by Anton Corbijn“ für 100 Euro ist aber weiterhin bei Taschen erhältlich.