Die drei Kölner Konzerte bilden den Abschluss von Martin Gores und Dave Gahans erster Tour als Duo, einer tröstlichen, triumphalen Unternehmung.
Konzert in Kölner Lanxess-ArenaIst dies das Ende von Depeche Modes 44-jähriger Geschichte?
Am Mittwoch (3. April) trotzte eine amerikanische Zehn-Zentner-Bombe auf einem Ponton der Strömung des Rheins. Am Abend gab Depeche Mode, kaum eine Brückenlänge entfernt, das erste von drei ausverkauften Konzerten in der Kölner Lanxess-Arena. Ursache und Wirkung sucht man hier vergebens. Doch das grobkörnige Schwarz-Weiß-Video, auf dem Dave Gahan auf einem Blindgänger balancierend den Rhein flussabwärts fährt, sollte Anton Corbijn auf jeden Fall noch drehen.
Und vielleicht schnoddert er dann dazu im verächtlichen Bariton „Glotz nicht in meine Seele“. So wie er es in „My Cosmos Is Mine“, dem ersten Stück des Sets, zu unheilschwangeren elektronischen Hammerschlägen tat, gefolgt von „Wagging Tongue“, das sich über den Akkorden von Kraftwerks „Trans-Europa-Express“ aus tiefer Depression aufschwingt.
Depeche Mode in Köln: Plötzlicher Tod von Andy Fletcher beeinflusst Musik
Beide Lieder stammen aus dem aktuellen Album der Band, „Memento Mori“. Dass sich die verbleibenden Mitglieder von Depeche Mode hier so explizit ihrer Sterblichkeit bewusst werden, hängt selbstredend mit dem plötzlichen Tod von Andrew Fletcher zusammen, dem ausgleichenden Drittel der Band. Auf einmal fanden sich die beiden psychologisch entgegengesetzten Pole, der genialische Tüftler und Songschreiber Martin Gore und der charismatische Bariton und unermüdliche Pirouetten-Dreher Gahan, ohne den Vermittler wieder, der Depeche Mode mehr als 40 Jahre lang zusammengehalten hat. Da mussten aus Konkurrenten wieder Freunde werden.
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Die drei Kölner Konzerte bilden nach mehr als einem Jahr den Abschluss ihrer ersten Tour als Duo, einer trotzigen, tröstlichen und letztlich triumphalen Unternehmung. Auch live stoßen einzig Christian Eigner am Schlagwerk und Peter Gordeno an Keyboard dazu, für Fletch gibt es keinen Ersatz. Aber wie gut es auch ohne den schmerzlich Vermissten funktioniert, das kann man allein am frühen Stück „Everything Counts“ abhören, Gore singt den flehenden Refrain, Gahan alles andere, und am Ende singt die ganze Arena mit und hämmernde Drehorgel-Akkorde beschleunigen sich zum groovenden Abschluss.
Haben Depeche-Mode-Songs nicht immer vom Verlassen- und Verzweifeltsein erzählt? Und diese existenzielle Einsamkeit in eine gemeinsame, tanzbare Erfahrung verwandelt? „Dinge gehen kaputt, Dinge zerbrechen“, beschwört Gahan im darauffolgenden „Precious“ - aber genau diese geteilte Zerbrechlichkeit ist das Fundament dieser Band.
Martin Gore singt zwei Solonummern
Was noch deutlicher wird, wenn Martin Gore für zwei Songs den Gesang übernimmt. In der Single-Version von „Strangelove“ aus dem Jahr 1987 fordert Gahan über einen hüpfenden Basslauf recht forsch zum sadomasochistischen Pas de deux auf: Nimmst Du den Schmerz an, den ich Dir geben werde? Und wirst Du ihn mir zurückgeben? In Gores akustischer Variante wird aus dem Insistieren ein Flehen, oder mehr noch ein beinahe kindliches Wundern darüber, wie man sich nur auf so etwas wie eine Liebesbeziehung einlassen kann, bei der man sich unweigerlich gegenseitig verletzen wird.
Seltsam, oder vielmehr bemerkenswert, ist auch die Liebe, die nun zwischen Publikum und Performer strömt. Gore steht am Ende des kurzen Bühnenstegs, inmitten der Menge, in den Großaufnahmen auf den LED-Wänden links und rechts der Bühne sieht der 62-Jährige mit seinem blonden Lockenschopf tatsächlich aus wie ein vorzeitig gealtertes Kind, wie J.F. Sebastian, der Gentechniker aus „Blade Runner“, der sich lebende Spielzeuge als Gefährten baut.
„Strangelove“ mündet in eine zweite akustische Nummer, „Home“, in der Gores „einsamster Klang auf der leersten Bühne“ schließlich in Zweisamkeit mündet: Jemand versteht dich. „Heimat ist das Entronnensein“, heißt das bei Adorno. Der Song mündet in einem wortlosen Chor. Das Publikum fühlt sich, völlig zurecht, angesprochen. Übernimmt und hält die Melodie. Gahan kehrt zurück und zum rundum schallenden „Ohoho“ umarmen sich die beiden Gegenpole.
Dave Gahan vollführt Hüftschwünge wie ein Gummi-Elvis
In Düsseldorf vergangenen Sommer fehlten diese beiden Stücke noch. War das schon der Höhepunkt des Kölner Konzerts? Ach nein, man weiß gar nicht, wo man hier anfangen soll. Nach dem eher abweisenden Beginn gab es schon bei „Walking in My Shoes“ kein Halten mehr. Ganz im Widerspruch übrigens zu Gahans Mahnung, dass wir uns wohl kaum in seine Lage versetzen können (weil die verbotenen Früchte, von denen er gekostet hat, für uns zu hoch hängen), will man sich in diesem Moment diesen Schuh anziehen, erkennt hier sein eigenes Plädoyer.
Der Sänger trägt übrigens weiße Stiefeletten und so, wie er sich zwei Stunden lang in ihnen unentwegt dreht, wie er mit seinen Fingern die Schuhspitzen berührt, Hüftschwünge wie eine nur von einem Stück Draht zusammengehaltene Gummifigur von Elvis vollführt, müssen es Zauberstiefel sein. Am Ende der Show – eben noch hat er sich zu „Just Can't Get Enough“ ausgetobt, als wäre er immer noch das 19-jährige Milchgesicht, das im Video zum Song eher von seiner Lederjacke getragen wird als andersherum – scheint Gahan die Bühne gar nicht mehr verlassen zu wollen, verbeugt sich in jeder Ecke, wischt sich mit einem weiteren Handtuch den Schweiß von der Stirn, wirft es in die ausgestreckten Arme der Fans, als wäre er der leibhaftige Elvis.
Es wünscht sich ja auch sonst niemand, dass es vorbei ist, die 130 Minuten vergingen wie im Flug, man wollte sie festhalten wie den verwehenden Keyboard-Riff in „Policy of Truth“, wollte noch einmal hören, wie Gahan in der Sexuellen-Hörigkeits-Ballade „In Your Room“ seine Stimme unterkellert, oder wie sich in „Personal Jesus“, dem letzten Stück des Abends, Delta-Blues und europäische Elektronik zur letztmöglichen Rockmusik des 20. Jahrhunderts vereinen.
Auf „World in My Eyes“, Andrew Fletchers Lieblingssong, verzichten Depeche Mode. Im Sommer hatten sie ihn noch zu einer Animation des verstorbenen Bandkollegen gespielt. Stattdessen widmet Gahan ihm „Behind the Wheel“: Die Reise geht weiter, die Toten bleiben am Wegesrand zurück. Sie könnten jetzt ewig so weitermachen, oder auf dem Höhepunkt ihrer 44-jährigen Geschichte aufhören. Gahan und Gore stehen gemeinsam an der Rampe, singen „Waiting for the Night“ als herzergreifendes Duett: Die Nacht wird uns retten, wird alles erträglich machen, und in der Arena fällt jeder aus seiner eigenen Dunkelheit heraus ein.