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Der Erfolg von „Maxton Hall“ und BookTokWarum die junge Generation Klischees und Vorhersehbarkeit liebt

Lesezeit 6 Minuten
James Beaufort (Damian Hardung) und Ruby Bell (Harriet Herbig-Matten) in der Kulisse der Amazon-Serie „Maxton Hall“

James Beaufort (Damian Hardung) und Ruby Bell (Harriet Herbig-Matten) in der Kulisse der Amazon-Serie „Maxton Hall“

Die Serie „Maxton Hall“ und Herzschmerzromane für eine junge Zielgruppe sind unglaublich beliebt. Warum eigentlich?

Die Geschichte ist alt wie das Geschichtenerzählen selbst. Ein Junge und ein Mädchen begegnen einander, sie sind grundverschieden, sie mögen den anderen nicht. Aber irgendwann verlieben sie sich doch. Und auch wenn sie mit vielen Hindernissen zu kämpfen haben, wird ihre wahre Liebe diese alle überwinden. Was schon seit Hunderten von Jahren funktioniert, begeistert auch heute noch die Massen. Gerade in den sozialen Netzwerken lieben Millionen diese „Enemies to Lovers“-Erzählungen. 

Das aktuell erfolgreichste Beispiel ist die Amazon-Prime-Serie „Maxton Hall“. Sie landete in mehr als 120 Ländern auf dem ersten Platz der Streaming-Charts und ist laut Amazon Prime die erfolgreichste nicht-amerikanische Serie, die dort je produziert wurde. 

Der Kölner Schauspieler Damian Hardung spielt darin den schnöseligen James Beaufort, der mit seinen nicht minder reichen und verwöhnten Freunden eine englische Elite-Schule besucht. Bei manchen Zuschauern ohne Vorwissen führte das direkt zu Irritationen, denn auch wenn die Serie eine deutsche Produktion ist, wird die Illusion aufrechterhalten, man sei in Englands Upper Class unterwegs. Gedreht wurde allerdings in Schloss Marienburg in der Nähe von Hannover.

Der Kölner Damian Hardung spielt den schnöseligen James Beaufort

Der Frauenheld und Millionenerbe einer Textildynastie muss für ein Projekt mit Ruby Bell (Harriet Herbig-Matten) zusammenarbeiten. Weil sie seine Schwester in einer kompromittierenden Situation mit ihrem Lehrer erwischte, steht das unter keinem guten Stern. Ruby kommt aus einem Elternhaus, in dem das Geld immer knapp ist. Nur dank eines Stipendiums kann sie Maxton Hall besuchen. Auf Partys hat sie keine Lust, sie will es nach Oxford schaffen und ordnet diesem Ziel alles unter. Es passiert, was passieren muss. Die anfängliche gegenseitige Abneigung verwandelt sich in Liebe.

Doch warum ist diese eigentlich so simple Geschichte, die wirklich kein Klischee über Arm und Reich auslässt - die einen sind liebevoll und gutherzig, die anderen arrogant und nur auf den eigenen Vorteil bedacht - nur so unglaublich erfolgreich? Ja, die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern stimmt, sie machen ihre Sache sehr gut, aber das kann doch nicht alles sein?

Um diese Frage zu beantworten, lohnt ein Gang in die Buchhandlung. „Wo Funken sprühen und Herzen schmelzen“ steht etwa über einem Regal der Mayerschen in Nippes. Und wer einen Blick auf die Titel wirft, die da mit Glitzerschrift, in meist rosa- und lilafarbenen Umschlägen und häufig mit aufwendigen Farbschnitten auf Käuferinnen warten, sieht sich mit so viel Herzschmerz konfrontiert, dass es wohl für mehrere Leben reicht.

Einer der Stars der Szene ist Mona Kasten. Die deutsche Autorin ist Anfang 30 und hat die Vorlage zu „Maxton Hall“ geschrieben. „Save me“ heißt der Roman, auf der die Serie beruht. Die Regeln, nach denen diese Geschichten geschrieben werden, sind erstaunlich streng. Die Fans wollen keine Überraschungen. Tropes nennt man die wiederkehrenden Muster, die diese Leserinnen erwarten. „Enemies to Lovers“ ist eines, ein anderes etwa „Slow Burn“, in diesen Romanen entwickelt sich die Lieber nur sehr, sehr langsam.

Der Erfolg der Reihen ist zum Teil gigantisch. Junge Leser retten den Buchmarkt, hieß es dann auch passend Anfang des Monats vom Börsenverein des deutschen Buchhandels. Der Branchenumsatz stieg 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 2,8 Prozent, wie der Börsenverein in Frankfurt berichtete. Die Branche erwirtschaftete einen Gesamtumsatz von 9,71 Milliarden Euro. 2022 waren es 9,44 Milliarden Euro gewesen. Im ersten Halbjahr 2024 setzte sich das Umsatzplus fort.

Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins, sagte: „Während bislang eher die ältere Zielgruppe als die sichere Bank des Buchmarkts galt, beflügeln aktuell die jungen Leserinnen und Leser das Buchgeschäft.“ Dazu passen auch die Zahlen, die der Kölner Verlag Bastei Lübbe am Dienstag verkündete. Der Umsatz wuchs um zehn Prozent auf nunmehr 110 Millionen Euro, der Gewinn um 94 Prozent auf 14 Millionen Euro. Einen wesentlichen Anteil an dieser Steigerung haben die Marken Lyx und One, die genau die Titel vertreiben, nach der sich die junge und fast ausschließlich weibliche Zielgruppe sehnt.

Die jungen Leserinnen retten die Buchbranche

Young Adult und New Adult überschreibt man die Romane, die die Verlage in Verzückung bringen, wobei sich New Adult-Romane vor allem an junge Erwachsene im Alter von etwa 18 bis Mitte 20 richten, während Young Adult vor allem Jugendliche im Alter von etwa zwölf bis 18 Jahren ansprechen sollen.

Gemeinsam haben alle Titel, dass die Autorinnen außerhalb der sehr großen Fangemeinde kaum jemand kennt. So wird die Spiegel-Bestsellerliste bei den Paperback-Ausgaben gerade angeführt von Lilly Lucas. „This could be love“ heißt ihr Auftakt zu einer neuen Reihe, die laut Werbung des Verlags wie ihre anderen Titel auch „cozy, romantisch, zum Träumen und Wohlfühlen“ sein soll. Wobei die Spiegel-Bestsellerliste, jahrzehntelang der Gradmesser für Erfolg, harte Konkurrenz von der BookTok-Bestsellerliste bekommt, die TikTok und Media Control seit April 2023 jeden Monat veröffentlichen.

Der Hashtag BookTok ist in den vergangenen Jahren das große Zauberwort geworden, das Buchkäufe befeuert wie wenig anderes. Bei TikTok stehen junge Frauen vor Bücherregalen, die bis oben hin gefüllt sind mit Romanen aus diesem Genre und sprechen über neue Lieblingsbücher. Weil die meisten Autorinnen - das Geschäft ist auf beiden Seiten von Frauen dominiert - so schlau sind, gleich ganze Reihen um ihre Hauptfiguren zu entwickeln, geht der Lesestoff so schnell nicht aus. Und weil viele Verlage aufwendige Sonderausgaben mit Farbschnitt und allerlei weiteren Spielereien herausbringen, kaufen manche ein Buch nicht nur einmal, sondern gleich zweimal.

Mona Kasten war schon vorher sehr erfolgreich, aber der Erfolg von „Maxton Hall“ hat ihr noch mehr Fans beschert, aus aller Welt finden sich bei Social Media fast schon verzweifelte Aufrufe, ihre Bücher doch auch in die jeweilige Muttersprache zu übersetzen. 

Den Buchmarkt freut's, auch wenn viele jenseits der Zielgruppe sich vermutlich ungläubig fragen, was da geschieht. Eine junge Frauen-Generation, der man nachsagt, sie sei besonders woke und verurteile toxische Männlichkeit, schmachtet Typen an, die genau dieses Verhalten an den Tag legen. 

Tatsache ist, dass die Unsicherheit in unserer von Krisen bestimmten Zeit auch vor der Generation Z nicht Halt macht. Die 14- bis 17-Jährigen sind besorgter denn je. Zu diesem Ergebnis kam die neue Sinus-Jugendstudie, die im Juni vorgestellt wurde. 

Die Vielzahl von Krisen und Problemen wie Kriege, Energieknappheit, Inflation oder Klimawandel, die sich mitunter überlagern und verstärken, sorge die Jugendlichen. Die Sorge um Umwelt und Klima, die schon in der Vorgängerstudie 2020 als virulent beschrieben wurde, wachse in der jungen Generation weiter an. Auch der Übergang ins Berufs- und Erwachsenenleben ist laut der Studie für viele junge Menschen aufgrund der unkalkulierbaren gesellschaftlichen Entwicklungen angstbesetzt.

Wer kann es ihnen da verübeln, dass sie sich zum einen nach ein bisschen Herzschmerz sehnen und zum anderen Geschichten mögen, die einen festen Rahmen haben, in denen die Rollen klar verteilt sind, die eben nicht überraschen, sondern in einer verwirrenden Welt vorhersehbar und damit beruhigend sind? Und der Stoff geht ihnen nicht aus. Von „Maxton Hall“ wird es eine zweite Staffel geben, die Dreharbeiten haben schon begonnen. Und der Erfolg ist so vorhersehbar, wie der Ausgang der Geschichte.