Christoph Sieber über Köln„Je hässlicher die Städte, desto netter die Menschen“
- Christoph Sieber moderiert an diesem Samstag zum ersten Mal die WDR-Kabarettsendung "Mitternachtsspitzen".
- Im Interview spricht er über die Rolle der Kabarettisten, Cancel Culture und die Liebe zu seiner Wahlheimat Köln.
Köln – Herr Sieber, soll man Ihnen eher gratulieren, weil Sie eine erfolgreiche Sendung übernehmen oder muss man Sie bemitleiden, weil Sie nach der Ära „Becker-Schmickler-Lyko“ nur scheitern können?Christoph Sieber: Das ist genau die Frage. Vielleicht sprechen wir uns nach drei Sendungen noch mal, wenn Jürgen Becker wieder moderiert, weil der WDR findet, dass mit ihm alles besser war. Aber im Ernst: Die Entscheidung, dass sie aufhören, war ja schon getroffen, bevor ich ins Spiel kam. Und ich habe den Segen von Jürgen Becker und Wilfried Schmickler erhalten. Es war ihnen wichtig, dass die Sendung weitergeht – und zwar mit mir. Ich weiß natürlich, welche Erwartungen daran hängen, aber ich kann nur das machen, von dem ich glaube, dass es gut ist und was mir Spaß macht und woran die Leute hoffentlich Spaß haben.Wie gehen Sie das an? Was wollen Sie anders machen, was soll bleiben?
Mir ist wichtig, dass die Volksnähe bestehen bleibt. Die Sendung war immer satirisch, spitz und angriffslustig, es war nie platter Humor, aber die Leute wurden immer abgeholt. Und das will ich auch. Die Oma in der Eifel soll was damit anfangen können, aber vielleicht auch der ein oder andere Intellektuelle. Und es war immer eine abgefilmte Live-Show, das wird es auch bleiben.
Zur Person
Christoph Sieber, geb. 1970, studierte Pantomime in Essen, wurde aber als Kabarettist bekannt; im ZDF war er mit „Mann, Sieber!“ zu sehen.
An diesem Samstag moderiert Sieber ab 21.45 Uhr erstmals die Satiresendung „Mitternachtsspitzen“ im WDR-Fernsehen. (ksta)
Fernsehen ist sehr schnelllebig. Haben Sie Angst, dass man Ihnen nicht die Zeit lässt, Ihr Profil in der Sendung zu entwickeln?
Auch die ersten Shows von Harald Schmidt, der später der Gott der Late Night war, waren nicht so doll. Man muss sich erst einfinden, es braucht seine Zeit. Das ist beim Live-Programm auch so. Die entscheidende Show ist nicht die Premiere, es sind die Shows danach. Und natürlich müssen sich auch die „Mitternachtsspitzen“ eingrooven. Ich komme ja nicht ohne Erfahrung dahin. Ich weiß, wie Moderation, Kabarett und Fernsehen funktionieren. Aber natürlich habe ich die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen, es wird auch mal was schieflaufen. Da bitte ich das Publikum, auch mal ein Auge zuzudrücken.
Wie sehen Sie Ihre Rolle als Kabarettist?
Meine wichtigste Aufgabe ist die Unterhaltung. Das wird oft unterschätzt. Die Leute sollen Spaß haben. Natürlich geht es auch um Aufklärung. Man glaubt ja in diesen Zeiten, mit dem Internet und den sozialen Medien, Aufklärung sei nicht mehr nötig. Aber sie ist wichtiger denn je. Bei diesem Wust an Informationen, bei denen auch sehr viele Lügen und Fake News dabei sind, braucht es eine Einordnung. Wir verlieren völlig aus den Augen, was relevant ist. Aber natürlich ist der erhobene Zeigefinger aus der Zeit gefallen. Kabarettisten wissen nicht mehr alles besser.
Das Internet konserviert jeden Auftritt? Ist das Segen oder Fluch?
Jede Medaille hat zwei Seiten. Es gibt einige Auftritte, unter anderem ein legendärer bei „Sieben Tage, sieben Köpfe“, da bin ich sehr froh, dass die im Internet nicht zu finden sind. Aber es ist natürlich auch ein Segen, weil ich über Facebook ein, zwei Millionen Menschen ansprechen kann, die fürs lineare Fernsehen verloren sind. Diese Blase zu erreichen, finde ich schon auch wichtig. Ansonsten empfehle ich, in Live-Shows zu gehen, wenn das mal wieder möglich sein wird. Da trauen sich die Leute noch, auch mal einen rauszuhauen. Da kann man auch mal jemanden ein Arschloch nennen, das ist im Fernsehen nicht möglich.
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Es wurde im vergangenen Jahr viel über Cancel Culture diskutiert. Wie stehen Sie zu dieser Debatte?
Ich bin ja Künstler und stehe auf der Bühne. Ich weiß, Comedy und Kabarett funktioniert auch über Klischees. Man muss da auch mal Fünfe gerade sein lassen. Da würde uns eine gewisse Gelassenheit gut tun. Wenn ich Lisa Eckhart nicht toll finde, gehe ich nicht hin, aber man sollte sie existieren lassen. Was Dieter Nuhr macht, erreicht Leute, die finden das lustig.
Aber es gibt Grenzen?
Natürlich gibt es auch Grenzen. Zum Beispiel die Geschichte mit Martin Sonneborn und seinem rassistischen Witz. Rassismus fängt für mich in dem Moment an, wenn jemand, der davon betroffen ist, es als beleidigend empfindet. Dann muss ich das ernst nehmen, dann muss ich etwas ändern. Ich weiß Veränderung ist schwer. Der Mensch will am liebsten alles so lassen, wie es ist. Und wenn sich was ändert, dann bei den anderen. Aber wenn wir sagen „Der Schokokuss hieß doch immer so, wie er hieß“, dann macht es das nicht richtiger. Manchmal muss man erkennen, dass man auf dem falschen Pferd gesessen hat.
Wundert es Sie, mit welchem Erregungspotenzial solche Debatten geführt werden?
Wir leben in einer Zeit der Überforderung. Es gibt viele Veränderungen, Corona ist da nur das i-Tüpfelchen. Und es gibt Leute in dieser Gesellschaft, die jahrelang geschwiegen haben. Jetzt fordern diese Menschen – mit einer anderen Hautfarbe als die meisten oder mit Migrationshintergrund – ihre Rechte ein. Und genau das ist ihr Recht. Da muss sich die Mehrheitsgesellschaft fragen, ob wir sie gut behandelt haben. Und das haben wir nicht. Wir haben sie als Menschen zweiter Klasse behandelt. Da müssen wir etwas verändern. Verloren gegangen ist bei vielen das Gefühl der Empathie. Man muss sich in andere hineinversetzen können.
Die Corona-Pandemie ist das beherrschende Thema. Andere Themen geraten in den Hintergrund. Wie gehen Sie damit in Ihrer ersten Sendung um?
Indem man auch über andere Dinge redet. Das Thema Corona ist im Kabarett zwar nicht auserzählt, aber wir drehen uns im Kreis. Ich habe keine Lust, den fünften Witz zu falsch getragenen Masken zu machen. Wir schauen, was das Leben sonst noch ausmacht. Armut und Reichtum ist ein Bereich, der mich sehr beschäftigt. Und natürlich bietet der Karneval, der ausfällt, uns auch ein Thema, das wir behandeln müssen, auch wenn es schwerfällt in diesen Zeiten.
Können Sie etwas mit Karneval anfangen?
Ich bin ja Wahlkölner. Ich habe vorher zwölf Jahre im Ruhrgebiet gelebt, ich habe NRW von der Pike auf gelernt. Es ist meine Wahlheimat. Kölner haben ja gar nicht die Wahl. Ich hatte sie und bin trotzdem hergezogen, das will was heißen. Aber zum Karneval: Meine Frau kommt aus dem Bergischen Land, die geht für mich zum Karneval und genießt das. Und ich gönne ihr das von Herzen. Ab und zu werde ich mitgeschleift. Ich bin dann das doofe Anhängsel, das in irgendeinem zusammengewürfelten Kostüm da steht und sich zwischen einem Einhorn und einem Cowboy im Polyester-Kostüm selbst nach dem fünften Kölsch befremdet fühlt. Ich bin da nicht richtig angekommen.
Warum hat es Sie dann trotzdem in Köln gehalten?
Ich liebe Köln tatsächlich. Die Karnevalszeit sind ja nur ein paar Tage, die kriege ich rum. Ich mag den Menschenschlag: Je hässlicher die Städte sind, desto netter sind die Menschen, weil sie das ausgleichen müssen. Diese Theorie soll mir erst mal jemand widerlegen. Bisher gab es keinen Grund wegzuziehen. So lange ich mit den „Mitternachtsspitzen“ nicht scheitere und die Titanic des deutschen Kabaretts damit versenke, bleibe ich hier.