Der neue Kulturdezernent Stefan Charles„Ich hatte noch nie einfache Jobs“
Herr Charles, wie gut kannten Sie Köln, bevor Sie sich um die Stelle als Kulturdezernent beworben haben? Und welches Bild hatten Sie als Außenstehender?
Stefan Charles: Ich kannte die Stadt vor allem durch meine Frau, weil sie hier Architektur studiert und gearbeitet hat. Aber ich war auch ein paar Mal auf der Popkomm und kannte dieses Lebensgefühl, das man hier pflegt. Das strahlt bis weit in die Schweiz. Für mich war es von außen eine Kunst- und Kulturstadt. In den 90er Jahren war es ja eine bedeutende Musikstadt. Kompakt als Label war sehr wichtig für die elektronische Szene in Europa. Auch durch die Kunstszene habe ich es wahrgenommen. Für mich war Köln immer ein Ort der Kreativität und Innovationen.
Was hat Sie gereizt an Ihrer neuen Aufgabe? Das ist ja kein einfacher Job hier in Köln.
Ich hatte noch nie einfache Jobs. Sie waren immer mit einer gewissen Komplexität behaftet. Das macht mir aber keine Angst. Es war ein Prozess. Ich habe mich gefragt, wie ich mich einbringen könnte. Passe ich hier rein? Die Kultur und die Bevölkerung hier in Köln müssen ja von mir profitieren und nicht umgekehrt. Bin ich da der Richtige?
Und warum sind Sie der Richtige?
Ich habe doch schon einiges an Berufserfahrung, die es hier braucht. Die Konstellation ist ideal. Ich komme aus der Musikbranche, dann aus der Kunsthochschule, hinzu kommt die Museumserfahrung, auch international. Und beim SRF ging es nochmal inhaltlich über die gesamte Kultur. Ich weiß, wie Medien und Kultur zueinanderstehen. Ich hatte mit sehr großen Budgets zu tun, mit großen Teams. Für mich hat sich das wie ein Puzzle zusammengesetzt. Außerdem bin ich ein Mensch, der nicht nur Kopfentscheidungen trifft, sondern auch auf den Bauch und sein Herz hört. Ich bin sehr idealistisch, und wenn ich für etwas brenne, kann ich den Schalter nicht mehr umlegen, wenn er einmal umgelegt ist. Das ist mir im Fall von Köln passiert.
Wie sehr haben Sie die Auseinandersetzungen über das Wahlverfahren getroffen?
Ich habe mir die Sache natürlich angeschaut. Aber ich konnte da ja nichts beeinflussen. Ich wusste, das geht nicht gegen meine Person. Für mich hat sich dann vor allem die Frage gestellt, wann mein Stellenantritt sein wird. Aber ich habe meine Karte auf 1. Oktober gesetzt, habe meine Wohnung gekündigt und mein Flugticket gebucht.
Aber es war ja schon im Vorfeld der Beweis, dass es in Köln sehr oft sehr schwierig ist. Warum tut man sich das an?
Glauben Sie wirklich, dass Köln da eine Ausnahme ist? Ich bin beruflich schon oft in Ausnahmesituationen geraten. Aber das beinhaltet immer auch riesige Chancen. Mir macht das keine Angst. Ziele zu erreichen ist nicht so einfach, die Dinge sind viel komplexer geworden. Genau da bringe ich einfach viel mit. Ich habe gelernt, dass heute nichts so ist, wie es morgen sein wird. Wir müssen innovativ und kreativ mit Problemen umgehen.
Ist es denn eher ein Vorteil, dass Sie keine Verwaltungserfahrung haben, weil Sie anders denken, oder doch ein Nachteil?
Weder noch. Ich mache die Arbeit ja nicht allein. Das ist eine Teamleistung. Am Anfang brauche ich natürlich, was verwaltungstechnische Prozesse angeht, ein wenig Support, habe aber auch die Möglichkeit, gewisse Dinge zu hinterfragen. Das ist auch ein Anliegen von mir.
Wie definieren Sie denn die Rolle des Kulturdezernenten für sich?
Ich will den bestmöglichen Rahmen schaffen, dass sich die Kultur in Köln entwickeln und weiter gedeihen kann. Es gilt nicht nur, die städtischen Institutionen zu fördern, sondern auch die freie Szene als gleichberechtigtes Standbein. Man muss verstehen, dass Institutionen andere Planungsabläufe haben, Museen arbeiten zwei, drei vier Jahre im Voraus, die Oper auch. In der freien Szene können schon drei Monate eine lange Zeit sein für einen Künstler, der kein Atelier hat oder keine Auftrittsmöglichkeit findet. Das kann existenziell sein. Man darf niemanden bevorzugen.
Wie muss gute Förderung denn aussehen?
Kunst und Kultur verändern sich stark. Sparten lösen sich auf, mediale Kunst ist in jeder Sparte das Maß der Dinge. Digitalisierung ist der Alltag jüngerer Künstlerinnen und Künstler. Die Kulturverwaltung muss die Fördermittel so einrichten, dass wir Innovationen fördern, sie nicht einengen in bestehende Strukturen. In der Förderung braucht es eine große Agilität. Es ist toll, dass das mit dem Kulturentwicklungsplan partizipativ abläuft. Und die Ziele dürfen nicht zu weit in der Zukunft liegen, nicht erst in fünf oder zehn Jahren erreicht werden. Man muss auch Ziele in einem halben Jahr erreichen.
Was sind denn erste, kurzfristige Ziele, von denen klar ist, die wollen Sie angehen?
Heute ist mein zweiter Arbeitstag. Ich habe ihn mir reserviert, um mit Ihnen zu sprechen, damit Sie und Ihre Leserschaft mich kennenlernen können. Diese Offenheit will ich zeigen. Aber damit geht auch eine gewisse Verletzlichkeit einher. Ich kann Ihnen jetzt noch keine Agenda auf den Tisch legen. Ich werde aber nicht allzu viel Zeit brauchen. Ich werde viele Gespräche führen, mir viel anschauen. Ich werde durch die Kulturinstitutionen gehen. Ich will verstehen, was sie besonders macht, was ihre Herausforderungen sind, was nicht funktioniert. Das gilt auch für die freie Szene. Ich will zuhören und möglichst schnell verstehen, wo die Prioritäten liegen.
Sie sehen Ihre Rolle als Moderator, als Kulturmanager, der Prozesse und Kommunikation anschiebt?
Meine Aufgabe wird es sein, meine Begeisterung für das, was kreative Menschen in Köln tun, in die Politik, in die Verwaltung und zu Stiftungen zu transportieren. Wir brauchen viele Verbündete. Der Funke muss überspringen. Mir macht das Spaß, mit Menschen zu reden. So einen Job kann man nicht vom Schreibtisch aus erledigen.
Als es um Gründe für Ihre Wahl ging, wurde häufig darauf verwiesen, dass Sie ein Digitalisierungsexperte sind. Was können Sie da einbringen?
Das Verhalten vor allem jüngerer Menschen verändert sich sehr stark. Wie sie Medien nutzen und Kunst und Kultur konsumieren, muss man kennen und darauf reagieren. Man muss vor allem verstehen, wo das Publikum ist, wie man es erreicht. So verstehe ich Digitalisierung. Mir ist das sonst zu breit. Haben wir die richtigen Leute? Erfassen wir neue Formen der Kunstproduktion mit unseren Förderstrukturen schon? Was brauchen Künstler, um ihr Werk zu zeigen? Um solche Fragen geht es mir.
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Die Herausforderungen, vor denen Köln steht, sind vielfältig. Wie ist es etwa, in eine Stadt zu kommen, die kein funktionstüchtiges Opernhaus hat?
Es ist ja nicht so, dass nichts produziert wird. Für Künstlerinnen und Künstler ist es wichtig, dass produziert wird und die Möglichkeit besteht, hier zu arbeiten. Das ist gegeben. Das andere ist das Angebot für das Publikum. Und man hat in Köln interimistische Lösungen gefunden, die Chancen bieten, auch in Mülheim. Es ist künstlerisch nicht weniger wertvoll. Aber dieser große Brillant, der mitten in der Stadt leuchtet und das Kulturevent auch zum gesellschaftlich großen Anlass macht, gibt es im Moment nicht. Ich bin froh, dass es nicht mehr ewig lange dauern wird.
Sie gehen davon aus, dass es zur Eröffnung 2024 kommen wird?
Wir gehen doch alle davon aus, oder? Ich merke, da trifft man einen Nerv. Als Außenstehender ist es ja manchmal unfassbar, dass Jahr um Jahr vergeht für solche Sanierungsarbeiten. Aber solche Bauten sind eben sehr komplex. Wenn ich mit meiner Expertise etwas dazu beitragen kann bei diesen Projekten, werde ich versuchen, mitzuhelfen.
Aber bereitet Ihnen die Vielzahl der Baustellen in der Stadt keine Bauchschmerzen? Die Kulturszene braucht ein Signal, dass auch mal etwas funktioniert. Das Zutrauen ist verloren gegangen. Oder wie nehmen Sie das wahr?
Ich verstehe, was Sie meinen. Es ist frustrierend, wenn man denkt, das dauert immer noch länger. Aber es wird nie der Tag kommen, wo alles perfekt ist. Wir sind in der Kultur und der Kunst in Prozessen des Wandels, und wir müssen lernen, damit umzugehen. Wir dürfen nicht den Blick nur auf das richten, was schiefläuft, sondern auch darauf, wo Neues entsteht. Aber eine Verlässlichkeit für solche großen Projekte ist sehr wichtig. Da muss man sehr transparent arbeiten. Es fehlt oft an sehr offener Kommunikation.
Was halten Sie denn vom Projekt der Via Culturalis?
Ich finde das spannend. Das ist etwas sehr Einzigartiges in Köln. Bei den unglaublichen Veränderungen, vor denen eine Stadtgesellschaft steht, ist es wertvoll, eine Geschichte zu haben. Das gibt den Menschen Substanz und Erdung. Das muss Teil des Alltags werden. Internationale Gäste sind davon auch sehr fasziniert.
Köln hatte als Kunst- und Kulturstadt mal einen großen Ruf. Hat sie diesen Glanz noch? Oder verkauft sie sich unter Wert nach draußen?
Ich habe an den Zürcher Hochschule der Künste gearbeitet. Alle Künstler, die wir ausgebildet haben, egal in welcher Sparte, waren am Tag nach ihrem Abschluss in Berlin. Da war alles günstig und alle waren da. Das ist heute nicht mehr so. Künstlerseitig ist es heute spannender, in einer Stadt wie Köln zu leben. Man kann hier viel mehr erreichen, die Förderung ist viel besser. Künstler haben hier Top-Bedingungen. Köln hat einen guten Ruf mit einem wahnsinnigen Potential für die Zukunft.
Es braucht eine stärkere Vernetzung der Angebote der Kulturstadt Köln?
Ich gehe in einen Film oder ein Theaterstück, weil ich jemanden kenne, der es mir erzählt hat. Ich baue eine Beziehung zum Programm und zum Haus auf. Das kann gelingen. Die Menschen in Köln sind sehr kulturaffin. Ich will sie abholen und mitnehmen. Dann hat man eine authentische Publikumsbindung. Dann wirkt das viel stärker, tiefer und nachhaltiger.