Große Erwartungen an Stefan CharlesMan kennt ihn noch nicht, findet ihn aber gut
Köln – „Bum“ heißt die Debütsingle von Yvonne Catterfeld aus dem Jahr 2001. Und wenn man dem Internet Glauben schenken darf, hat sie niemand anderes als der designierte Kölner Kulturdezernent Stefan Charles komponiert – unter seinem Geburtsnamen Stefan Wittwer. In einem Interview mit dem Schweizer „Tagblatt“ im Jahr 2019 wollte das der frühere Creative Direktor bei EMI Music in Berlin zwar nicht bestätigen („Ich werde diese Frage dann einmal in meiner Autobiografie beantworten, versprochen“), aber diese Anekdote beweist, dass sich der Schweizer, der zuletzt Abteilungsleiter Kultur beim Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) war, offensichtlich in vielen kulturellen Feldern ausprobiert hat.
Breit aufgestellt muss der 54-Jährige auch für die neue Aufgabe in Köln sein, wenn er denn vom Stadtrat am Montag gewählt werden sollte. Die Reaktionen auf den möglichen Nachfolger der meist unglücklich agierenden Susanne Laugwitz-Aulbach fallen in der Stadt verhalten erfreut aus – vielen war Charles vorher nicht bekannt, die Erwartungen sind dennoch groß.
Innovation und Transparenz
„Mit Freude habe ich gelesen, dass Stefan Charles die Literatur und ihre Förderung offenbar ein Anliegen ist. Die Unterstützung der in Köln im Aufwind befindlichen Literaturszene – aktuell durch Corona gedämpft – lohnt ein besonderes Engagement, denn Köln hat das Potenzial einer Literaturstadt“, sagte etwa Bettina Fischer, Leiterin des Literaturhauses und stellvertretende Vorsitzende des Vereins Literaturszene Köln, dieser Zeitung. „Als Akteurin der freien Szene sehe ich auch darüber hinaus weitere drängende Themen: Bei der Entwicklung der künftigen Kulturpolitik und ihrer Schwerpunkte muss die freie Szene wirkungsvoll einbezogen werden, Verwaltungsvorgängen sollen weiter entbürokratisiert werden und auf dem Weg zu einer nachhaltigen Kulturvermittlung bedarf es zupackender Unterstützung“, so Fischer. „Auch kulturgerechte Digitalisierungsstrategien stehen oben auf der Prioritätenliste; wie auch Neugier und Gesprächsbereitschaft über Sparten und institutionelle Grenzen hinweg, insbesondere mit Blick auf die Vielfalt der Kölner Kulturszene.“
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Norbert Oberhaus, CEO des c/o pop Festivals, beurteilt die Personalie ebenfalls positiv. „Mit Stefan Charles bekommt die Stadt Köln einen international renommierten und vernetzen Kulturmanager, der zudem über eine langjährige Expertise im Bereich der Musikwirtschaft verfügt – das wird der Musikstadt Köln und hier vor allem auch ihren popkulturellen Stärken sicher guttun“, ist Oberhaus überzeugt. Zudem habe er bei früheren Projekten stets die Themen Nachhaltigkeit, Transformation und Digitalisierung im Blick gehabt: „Auch davon wird Kölner Kultur- und Musiklandschaft profitieren.“
Rainer Osnowski, Geschäftsführer der lit.cologne, sagte, er sei gespannt auf Stefan Charles. Er wünsche sich für die Stadt und die Kölnerinnen und Kölner „endlich einen engagierten, interessierten, neugierigen und offenen Kulturdezernenten.“ Stadtgarten-Programmchef Reiner Michalke sagte, er freue sich auf die Zusammenarbeit mit Charles: „Und solange sich die Kölner CDU an der Kulturpolitik ihrer Partei auf Landes- und Bundesebene orientiert, muss einem um die Kultur in Köln nicht bange sein. Die Wahl für Stefan Charles ist zumindest ein klarer Hinweis, dass sie in diese Richtung will.“
Dietmar Kobboldt, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand vom KulturNetzKöln und Leiter der studiobühneköln, bekundete seine Freude darüber, dass es nun vermutlich nicht zu einer langen Vakanz im Kulturdezernat kommen wird. Er kenne Stefan Charles noch nicht persönlich, sein Lebenslauf lasse aber eine offene und gleichsam gestaltende und partizipative Amtsführung erwarten. „Ich glaube, ein Blick von ganz außerhalb auf unsere Stadt, wie ich ihn bei Herrn Charles erwarte, muss mitnichten schädlich sein“, sagte Kobboldt.
Weithin positive Resonanz
Er erhoffe sich ein kompromissloses Engagement für die Belange der Kultur in der Stadt und „hier insbesondere auch die freie Szene, die ja meist das eigentliche kulturelle Herzstück in Köln ist und jetzt, nach 18 Monaten Pandemie, nicht nur weiterhin finanzielle Unterstützung braucht, sondern auch ideelle Zuwendung und Verständnis für unsere Situation“.
Auch in der Kölner Kulturpolitik – genauer: bei den Kultursprechern der Ratsparteien – stößt Charles’ sich abzeichnende Ernennung auf weithin positive Resonanz. Wobei selten der Hinweis fehlt, dass es eigentlich auch nur besser werden könne. „Hoffnungsfroh“ ist Grünen-Bürgermeisterin Brigitta von Bülow, die den Schweizer anlässlich seiner Vorstellung in der CDU-Fraktion persönlich kennen lernen konnte: „Er stellt seine Positionen eloquent dar und verfügt über einen weit angelegten Kulturbegriff – das tut Köln gut.“ Von Bülow erwartet jetzt „neuen Schwung im Dezernat“, was nottue, „muss jetzt endlich umgesetzt werden“.
Ralph Elster vom Bündnispartner CDU, der in der Findungskommission saß, preist Charles’ „große Bandbreite“ und „innovative Orientierung“, auch seine „internationale Vernetzung“. So habe er zum Beispiel an der Columbia University in New York ein Sommercamp zur Digitalisierung im Kulturbereich veranstaltet und in diesem Sinne auch erfolgreich beim Schweizer Rundfunk gewirkt: „Das sind Dinge, die er in Köln fortsetzen kann.“ Charles habe sich im Bewerberfeld gegen harte Konkurrenz durchgesetzt: „Wir wollten den Besten haben.“ Kurzum: „Er ist der, den wir brauchen.“
„Jetzt in Ruhe ansehen“
Zurückhaltender reagierte erwartbar SPD-Kultursprecherin Maria Helmis in ihrem Statement für den „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Wir werden uns den Vorschlag Herrn Charles jetzt in Ruhe ansehen. Wir werden die Personalie als Kulturpolitiker mit dem Willen prüfen, dass die bestmögliche Lösung für die Kultur in Köln gefunden wird. Sollte das so sein, werden wir dieser Lösung keine Steine in den Weg legen. Selbstverständlich werden wir als Fraktion nach den jüngsten Ereignissen aber auch das Besetzungsverfahren genau und kritisch unter die Lupe nehmen.“
FDP-Kulturpolitiker Ulrich Wackerhagen äußerte sich gegenüber dieser Zeitung aus dem Urlaub, sprach von einer „interessanten Biografie mit vielfältigen Leitungsfunktionen“, gab allerdings auch seiner Verwunderung darüber Ausdruck, dass man offensichtlich nicht unter jüngeren Kulturmanagern in Deutschland fündig geworden sei: „Sind die alle so schlecht?“