Deutsch-ukrainischer Schauspieler„Die Russen unterschätzen unsere Freiheitsliebe“
Köln – Eigentlich sollte Sebastian Anton gerade in der Ukraine drehen, einen Actionfilm nach US-Vorbild in Tschernobyl. Stattdessen ist er auf Einladung des Regisseurs Andriy May von Berlin an den Rhein gefahren, um im Schauspiel Köln an der szenischen Lesung „Vom Krieg“ teilzunehmen, in der ukrainische und deutsche Schauspieler Texte, Berichte, Protokolle und Tagebucheintragungen aus den ersten Tagen des russischen Angriffskrieges vortragen.
Anton wird dabei sowohl als Darsteller wie als Dolmetscher fungieren, denn das ist sein zweites berufliches Standbein. Der 38-Jährige ist mit gleich drei Muttersprachen groß geworden, Ukrainisch, Deutsch und Russisch. Sein Vater ist Ukrainer, seine Mutter Wolgadeutsche, geboren wurde er in Kiew, aber kurz nach dem Mauerfall hatten sich seine Eltern entschlossen, nach Deutschland überzusiedeln, in die niederbayerische Provinz. „Da waren wir die ersten Ausländer. Und so bin ich eben Deutscher geworden, innerhalb von drei Monaten habe ich bayerisch gesprochen.“
Rückkehr nach Kiew
Das sei keine schlechte Erfahrung gewesen, betont Anton. „Das macht den Sprachapparat flexibel. Ein guter Grundstein für alles, was ich danach gemacht habe.“ Dennoch hatte er in der Schule das Gefühl, das ihm Wurzeln fehlen, die seine Klassenkameraden für selbstverständlich nahmen. Und kehrte 2008 auch deshalb zurück nach Kiew, um dort eine Schauspielausbildung zu machen.
„Da habe ich dann festgestellt, dass ich doch Deutscher bin: Die Ukraine ist so ein konfliktgeladenes Land, weil es nach dem Ende der Sowjetunion von einem auf den anderen Tag unabhängig geworden ist, die Menschen sich aber nicht verändert haben. Man fragt sich, wie dieses Chaos überhaupt funktionieren kann.“ Aber irgendwie geht es eben doch und vielleicht, glaubt Anton, hatten die Russen nun denselben Fehler gemacht, das Land zu unterschätzen, vor allem dessen unbändige Freiheitsliebe.
Die große Erfahrung des Maidan
Als die Euromaidan-Proteste ausbrachen, probte Anton gerade am Kiewer Theater. Bis er es nicht mehr aushielt, seinen Pass einpackte und auch zum Platz der Unabhängigkeit eilte: „Das war eine ganz, ganz große Erfahrung.“ Sicher waren damals auch ein paar Faschisten unter den Protestierenden, räumt Anton ein, bemächtigten sich politische Marktschreier der Ideale. Aber auf dem Maidan, so Anton, sei ein kollektive Bewusstsein entstanden.
Seit 2014 lebt Sebastian Anton wieder in Deutschland, hat aber immer wieder in Kiew als Film- und Fernsehschauspieler gedreht. Bei Kriegsausbruch war er in Berlin, eine Bekannte aus Kiew war noch kurz zuvor wieder in die Heimat zurückgekehrt, seine Freundin gerade erst aus der Ukraine angereist, die Rückfahrkarte bereits gebucht.
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Eine Kollegin mit Geheimdienstkontakten hatte zwar vor dem unmittelbaren bevorstehenden Angriff gewarnt, „und ich habe sie noch beruhigt, das wäre doch viel zu offensichtlich, wo bleibe denn da der Überraschungseffekt“ und dann läutete nachts das Telefon mit den ersten Schreckensnachrichten aus Kiew – „Sie sind da!“ – und das Nervengewitter begann, die Ungewissheit.
Ein Onkel, zum Beispiel, der sich aus einem von den Russen belagerten Kiewer Vorort meldete und aus der Offenbarung des Johannes zitierte, in der festen Überzeugung, dass es das letzte Mal sein werde, dass er seinen Neffen spreche. „Und dann – gewöhnt man sich daran.“ Was nicht ganz falsch sei: „Wenn man sich nicht eine gewisse Normalität und Lebensfreude bewahrt, dann haben die Russen ja ihr Ziel erreicht, alle in Angst und Schrecken zu versetzen.“
Ob man sich jetzt nicht ohnmächtig fühle als Künstler? „In der Ukraine sagt man: Tu was du kannst, mit den Mitteln, die du hast. Wir können jetzt eben diese Aufführung machen, Menschen bewegen, und sei es auch nur, um etwas Geld zu spenden.“ Global betrachtet, sagt Sebastian Anton, fühle man sich immer klein und ohnmächtig. „Aber so war das auch auf dem Maidan und trotzdem ist jeder ein kleiner Teil eines großen Ganzen.“
„Vom Krieg“, ukrainische Dramatiker und Dramatikerinnen erzählen vom Leben während der Invasion durch Russland, wird am 29. April und am 20. Mai im Depot 2 des Schauspiel Köln aufgeführt.
Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.