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Placebo in KölnWer braucht schon Hits, wenn die Welt untergeht?

Lesezeit 4 Minuten
Brian Molko (l.) und Stefan Olsdal von Placebo in der Lanxess Arena.

Brian Molko (l.) und Stefan Olsdal von Placebo in der Lanxess Arena. 

Die langlebige britische Rockband Placebo spielte in der Lanxess-Arena. Aber Brian Molko und Stefan Olsdal verzichteten dabei auf ihre größten Hits.

Die verdammten Telefone sind schuld. Die Anwendungen und die Netzwerke. Daran, dass nichts mehr einen Unterschied macht, dass wir tausend Freunde haben, aber so allein sind, wie nie zuvor. Klagte Brian Molko so oder so ähnlich schon vor knapp zehn Jahren im Placebo-Song „Too Many Friends“. Den spielt die wieder zum Gründungs-Duo von Molko und Stefan Olsdal geschrumpfte Band auch am Montagabend in der gut gefüllten Lanxess-Arena.

Doch bevor Placebo überhaupt spielte, gab es erst einmal die dringliche, wortreiche Bitte ans Publikum – projiziert auf LED-Gitter, die den Blick zur Bühne versperren – doch bitte die Telefone in den Taschen zu lassen und stattdessen den unwiederbringlichen Moment zu genießen. Es hält sich dann wirklich fast jede und jeder daran, die Arena wirkte wie nachtverschattet. Und wer es doch mal wagte, sein Handy zu zücken, wurde recht rüde von den Security-Leuten mit Taschenlampen geblendet. Placebo duldet keinen Widerspruch.

Molko und Olsdal haben die 1990er in sich konserviert

Als Molko und Olsdal dann von verschiedenen Seiten die Bühne betreten, um sich links und rechts jeweils hinter einer Batterie von Gitarren-Effektgeräten an der Rampe zu positionieren, fühlt man sich sofort ans Ende des vergangenen Jahrtausends zurückversetzt: Die Endvierziger scheinen die späten Neunziger in ihren schmalen Körpern konserviert zu haben, einzig Molkos Oberlippenbart gehorcht dem Modediktat der 2020er Jahre, den trägt man jetzt so.

Ob es an den „Forever Chemicals“ liegt, die Molko gleich im ersten Song besingt? Ach nein, auch hier feiert er einmal mehr die schwarze Messe von digitaler Technik und analogen Drogen, von den Dingen, die den Menschen seiner Umgebung und seinen Freunden entfremden und in einen Zustande der Durkheim‘schen Anomie versetzen, der irgendwie auch tröstlich ist: „Es ist alles gut, wenn nichts wichtig ist/ Es ist alles gut, wenn es niemanden kümmert/ Es ist alles gut, wenn ich nichts fühle/ Es ist alles gut, wenn ich nicht da bin“.

Das Lied ist noch ganz neu. Placebo ist das Kunststück gelungen, 2021 mit „Never Let Me Go“ im 27. Jahr ihres Bestehens noch einmal ein richtig gutes Album zu veröffentlichen. Darauf erfindet sich die Band zwar keineswegs neu, aber sie klingt eben auch nicht alt, beziehungsweise wie von gestern. Es gibt mehr Synthies und wo früher eher das Hohe Lied der Selbstverletzung gesungen wurde, richtet sich der Blick jetzt nach außen, auf die zerstörte Erde und den gestörten Zusammenhalt der Gesellschaft.

Die Greatest-Hits-Tour haben Placebo vor der Pandemie hinter sich gebracht

Im Laufe des Abends kommen fast alle Stücke von „Never Let Me Go“ zum Einsatz, während etliche Favoriten von damals fehlen. Vor der Pandemie hatte die Band eine lange, zermürbende Greatest-Hits-Tour hinter sich gebracht. Jetzt fehlen archetypische Placebo-Songs wie „Every You Every Me“, „Without You I’m Nothing“ oder „Special K“ auf der Setlist und ihre Breakout-Single „Nancy Boy“ verweigern sie sowieso seit Jahren.

Das ist einerseits kein Problem. Die neuen Stücke tragen und Placebo ist sowieso eine dieser Bands, wie Sade oder AC/DC, die man vor allem auf Grund ihres einzigartigen Sounds liebt. Die dunkelglamourösen Einflüsse von T.Rex, The Cure und den Nine Inch Nails, die sie zu einem elektrischen Aufschrei in kompakter Popform verdichtet haben, die hohe, nasale Quengelstimme Molkos, die durch jede noch so laute und verzerrte Gitarrenwand dringt. Was ist Rockmusik denn anderes, als Quengeln auf hohem Niveau? Die Sexyness der Beschwerde?

Andererseits: Die anonyme vierköpfige Backing-Band füllt zwar das Soundspektrum arenagerecht aus, aber das Raue, Aufgekratzte von einst fehlt. Zeitweise klingt das, als spielten vorne Placebo und hinten Coldplay. Vor allem aber bleibt dank der konsequenten Hitverweigerung auch die kollektive Ekstase aus. Das gegen den Strich gebürstete Programm gipfelt in einem rätselhaften Zugabenteil, der aus einem ungelenken Cover von „Shout“ (der Tears for Fears-Single aus dem Jahr 1985) besteht, gefolgt von einem elegischen neuen Song namens „Fix Yourself“, den man gerne im Mittelteil gehört hätte, und einem weiteren Mit-80er-Song: Kate Bushs „Running Up That Hill“.

Immerhin, das ist kein Zugeständnis an die „Stranger Things“-Renaissance des Songs, Molko und Olsdal haben ihn sich schon in den Nuller Jahren einverleibt. Und der Wunsch nach einem freien Wechsel der Geschlechter, wie ihn das Stück behandelt, gehört auch zum Placebo’schen Themenfeld. Aber warum zitieren, was man bereits selbst bündig formuliert hat?