40 Jahre CDWie die Zukunft der Musik als Mobile im Kindergarten endete
Köln – Die Geschichte der CD endet, wie eigentlich jede Geschichte, mit einem langsamen Dahinsiechen im gesellschaftlichen Abseits. Einst balancierte Herbert von Karajan die funkelnde Frisbee triumphierend vor staunenden Journalisten auf seinem Zeigefinger, als hätte er den Schatz der Nibelungen geborgen. Silberglanz und Lasertechnik! Kein Knistern mehr, nur reinster Klang, codiert in Nullen und Einsen. „Ein Wunder“, schwärmte der Maestro.
40 Jahre ist das nun her, im August 1982 begann in Langenhagen bei Hannover, in den Fertigungsstätten der Polygram die industrielle Produktion der CD, keine von Karajan dirigierte Sinfonie übrigens, sondern „The Visitors“, das für lange Zeit letzte Album von ABBA. Der erste CD-Spieler kam allerdings erst im Oktober ’82 auf den Markt.
Sechs Jahre später wurden weltweit bereits 100 Millionen CDs produziert. Die anfängliche Begeisterung des Dirigenten hatte sich schnell aufs Publikum übertragen: Binnen weniger Jahre löste die CD die Vinylschallplatte als wichtigstes physikalisches Format der Musikindustrie ab.
20 Jahre Traumumsätze für die Musikindustrie
Endlich konnte man auch Beethovens Neunte ohne Unterbrechung hören. ABBA zum Trotz: Die Länge der Beethoven-Sinfonie, beziehungsweise ihrer längsten Einspielung bestimmte das Format: Karajan hatte nur 66 Minuten benötigt, Furtwängler jedoch 74: Daraus ergaben sich die zwölf Zentimeter Durchmesser der Plastikscheibe.
Zwei Jahrzehnte lang bescherte ihr die CD Traumumsätze, doch schließlich wurde sie zum Opfer ihrer einst revolutionären Technik: Nicht genug, dass Musik als digitaler Datensatz verlustfreies Kopieren erlaubte, plötzlich wurden diese Daten auch noch kreuz und quer durchs Internet geschickt, ob illegal (Napster), legal (iTunes) oder als Teil eines Abos (Spotify): Die Musik hatte sich von ihren Tonträgern emanzipiert.
Dass sie damit auch einen großen Anteil ihrer Wertigkeit verlor, ist keine Frage von Interpretation. Das verraten die Vergütungsmodelle der Streamingdienste. Wer weiterhin stur am Fetischcharakter des Tonträgers festhalten wollte, der kaufte Vinyl.
Was die CD mit der Atomkraft zu tun hat
Zuletzt hatten die Umsätze von Schallplatten - von der Musikwirtschaft Anfang der 1990er als tot erklärt - sogar die der CD überholt. Damit wurde dem Silberling endgültig der zweifelhafte Status einer Brückentechnologie zugewiesen, ähnlich der Atomkraft, die den Übergang zu nachhaltigeren Lösungen ermöglicht. Das Gros alter CD-Sammlungen hat sein Endlager auf Flohmärkten und in Verschenkekisten vor Mietshäusern gefunden, so die Scheiben nicht in Schulen zu Mobiles umfunktioniert wurden.
Wie gesagt, ein Ende im Abseits. Aber halt! Da vermeldet das "Billboard"-Magazin doch tatsächlich, dass 2021 zum ersten Mal seit 17 Jahren die CD-Verkäufe wieder angestiegen sind, um 6,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch auf Discogs, dem wichtigsten Online-Handelsplatz für gebrauchte Tonträger, hat das Musikmagazin „Pitchfork“ ermittelt, sind die CD-Wiederverkäufe wieder sprunghaft angestiegen.
Das Revival der Juwelenschachtel
Schon rufen erste Trendscouts das große CD-Revival aus: „Jewel-Box Heroes“ hat der renommierte Popkritiker Rob Sheffield seine Lobeshymne auf das ungeliebte Medium im amerikanischen „Rolling Stone“ übertitelt.
Auch er behauptet nicht, die CD wäre auf ihre alten Tage plötzlich sexy oder cool, oder auch nur auf irgendeine Art glamourös geworden. CDs erzeugen keine romantischen Gefühle. Aber, so Sheffield, sie funktionieren einfach. Erlauben ein gut einstündiges Eintauchen in die Musik, ohne weitere Ablenkungen. Sei es durch Push-Nachrichten oder das Wechseln der Plattenseite. Sie zerkratzen nicht (zumindest nicht so leicht) und sie sind auch weniger obsolet als ihre Nachfolger.
Wo sind die MP3s, die sie in den Nuller Jahren heruntergeladen haben? Wo ist der Click-Wheel-iPod, auf den sie damals so stolz waren? Die CD, das Arbeitspferd der Musikindustrie, bleibt das verlässlichste und stabilste aller Formate. Nun ist Rob Sheffield Jahrgang 1966 und es gibt Hinweise darauf, dass der plötzliche CD-Boom ganz allein auf ältere Konsumenten zurückzuführen ist, die sich das neue "Adele"-Album in den Schrank stellen wollten.
Junge CD-Fans feiern sich auf TikTok
Aber es sind nicht nur nostalgisch veranlagte Menschen, oder solche, die CD-Regale noch für gangbare Einrichtungsgegenstände halten, welche die seltsame Renaissance antreiben. Unter dem Hashtag #cdcollection finden sich auf TikTok etliche Kurzvideos, in denen Generation-Z-ler ihre Compact Discs von Billie Eilish, Olivia Rodrigo und Harry Styles mit ähnlichem Enthusiasmus präsentieren wie Karajan seine Wunderscheibe anno 1981.
Dazu kommen noch die Legionen von K-Pop-Fans, deren Idole ihre Alben grundsätzlich als CDs in aufwändig gestalteten Pappschachteln mit allerlei bunten Extras herausbringen.
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Und während die Preise für gebrauchte (und neue) Vinylschallplatten durch die Decke gegangen sind (die Produktionskapazitäten sind ebenso begrenzt wie die begehrten Artefakte der Pop-Geschichte), kann man gebrauchte CDs weiterhin zu Spottpreisen erwerben, wenn man sie nicht gleich aus den Grabbelkisten der Boomer gefischt hat: So lässt sich eine eigene, das Heranwachsen der Persönlichkeit dokumentierende, Musiksammlung anlegen.
Am Ende, das ist das Vorrecht der Jugend, wird die glänzende CD doch noch sexyer wirken als die knisternde Schallplatte. Wenn das Karajan wüsste.