AboAbonnieren

Bedröhnter StarphilosophAls Michel Foucault im Tal des Todes LSD schluckte

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt (2)

Simeon Wade (l.) im Jahr 1975 mit Michel Foucault   

Köln – Die Männer in der Waldhütte am Bear Canyon hören Country, Mozart und Mahler. Sie studieren Philosophie, entdecken ihre Homosexualität, sind Mitglied einer Biker Gang, oder fertigen Keramik an. Sie möchten über Psychoanalyse reden, über Israel und Antonio Gramsci. Sie suchen nach Antworten auf die großen Fragen: Die Befreiung der Arbeiterklasse, die Rolle der Intellektuellen, das Freiheitspotenzial der Sexualität.

Derjenige aber, der ihnen die Antwort geben soll, möchte lieber Holz hacken. Wovon ihn selbst die Warnung vor Klapperschlangen nicht abhalten kann. Michel Foucault greift sich ein paar Scheite und hackt drauflos. Unter dem eng anliegenden weißen Rollkragenpullover spannen sich die Muskeln an.

„Alle gafften ungeniert“, beschreibt Simeon Wade in seinem Erinnerungsband „Foucault in Kalifornien“ die bukolische Szene, „als wollten sie sagen: Wie ist es möglich, dass ein so hochkarätiger Pariser Intellektueller mit einer solchen Geschicklichkeit Holz hacken kann? Einen Voltaire oder Sartre konnte man sich bei der Ausführung so einer Tätigkeit eher nicht vorstellen.“ Später verleihen die Männer vom Bear Canyon dem Franzosen einen achtungsvollen Spitznamen: Country Joe Foucault.

Offen schwul in der konservativen Provinz

Simeon Wade arbeitet, wir schreiben das Jahr 1975, als Assistenzprofessor am Graduiertenkolleg von Claremont, einer Kleinstadt am Fuß der südkalifornischen San Gabriel Mountains. An der Uni hat Wade ein Programm für Europäische Studien mitgegründet, er schwärmt für Neue Musik und französische Theorie und lebt offen schwul mit seinem Komponisten-Freund Michael Stoneman zusammen.

Das ist nicht einfach, in so einer konservativen Schlafstadt Mitte der 70er, aber Wade lässt sich nicht von widrigen Umständen aufhalten. Das konnte man bereits am irren Plan ablesen, seinen intellektuellen Helden Michel Foucault zu einem Ausflug ins Death Valley zu überreden, um ihm dort LSD einzuflößen, „einem konsumierbaren Stein der Weisen, der das Potenzial hat, die Kraft des Gehirns in astronomischem Maße zu vergrößern“.

Karlheinz Stockhausen und LSD im Tal des Todes

Das Vorhaben gelingt: Der Pariser Starphilosoph hat gerade eine Gastdozentur an der Universität von Berkeley angetreten, ist enttäuscht, deren in den 1960ern entfachte revolutionäre Kraft längst wieder versiegt zu sehen, und begierig auf neue Abenteuer. Foucault kommt, schluckt nach einiger Überredung die volle Ladung der Droge, lauscht am Zabriskie Point Stockhausens „Gesang der Jünglinge“ und orakelt: „Der Himmel ist explodiert, und die Sterne regnen auf mich herab. Ich weiß, dass das nicht wahr ist, aber es ist die Wahrheit.“ Später wird er von „einer der wichtigsten Erfahrungen seines Lebens“ sprechen. Die Ordnung der Dinge ist tief erschüttert worden.

Doch wenige Jahre darauf gehört der Trip bereits dem Reich der Legende an, Simeon Wade verliert seine Anstellung in Claremont, schlägt sich mit befristeten Lehraufträgen durch, arbeitet auch als Pfleger in der Psychiatrie, sein Lebenspartner Michael Stoneman stirbt früh an den Folgen exzessiven Alkoholkonsums und der Ex-Professor endet als zahnloser Einsiedler.

Hass auf den akademischen Dünkel

Erst in den Zehner Jahren des neuen Jahrtausends macht sich die Autorin Heather Dundas auf die Suche nach der Wahrheit hinter der vermeintlichen Urban Legend vom lysergisch beflügeltem Diskurstheoretiker, mit durchaus unlauteren Absichten, wie sie im Vorwort bekennt: „Ich hasste »Theorie«, und ich hasste Foucault, der all den Dünkel und die Arroganz der selbst ernannten akademischen Theorieelite zu verkörpern schien.“

Dundas findet nicht nur den verschollenen Wade, sondern auch ein Manuskript, in dem er Foucaults Fahrt ins Tal des Todes in allen Einzelheiten festgehalten hatte.

Diese Einzelheiten aber sind es, die den Unterschied machen: Die Autorin befreundet sich nicht nur mit dem zahnlosen Einsiedler (der 2017 stirbt), sondern post mortem auch mit dem glatzköpfigen Dünkeldenker.

Im Schneckenhaus der Innerlichkeit

2019 ist das Erinnerungsbuch in den USA erschienen, jetzt hat der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch eine deutsche Übersetzung herausgebracht. Man muss sie gelesen haben, um zwar nicht die Foucault’schen Denkgebäude, aber doch Foucault als Person und die 1970er als Ära zu verstehen, in der sich die Revolution ins Schneckenhaus der Innerlichkeit zurückgezogen hatte.

Zudem dürfte „Foucault in Kalifornien“ die einzige Monografie zur Postmoderne sein, bei der man wiederholt laut auflachen muss. In einem Moment sehen wir Foucault noch auf einem Felsvorsprung sitzen, in einen Canyon aus psychedelisch gefärbten Gestein blickend, bedröhnt den nietzscheanischen Augenblick anrufend: „Zu keiner Zeit der Geschichte hat irgendwer die Welt so gesehen wie wir hier in dieser erzeugten Konstellation, in diesem gemeinsamen Moment.“ Im nächsten hält er ein kurzes Nickerchen in knallroten Unterhosen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Im Nachwort nennt Kai Sina das Wade-Manuskript unverblümt eine Heiligenlegende. Der Campus-Roman und die Gonzo-Reportage haben hier ebenfalls Pate gestanden. Doch der Ton der Jesus-Evangelien ist nicht zu überhören: „Aber ich bin ein ganz gewöhnlicher Mann“, erklärt der holzhackende Foucault gegenüber seinen Jüngern vom Bear Canyon. Die folgen ihm umso bereitwilliger. Ecce homo Foucault!