Die Chronistin der DDRAlltagsszenen der Nachkriegszeit
Düsseldorf – Mehr als fünfzig Jahre hat die Fotografin Evelyn Richter Leben und Arbeiten in der DDR dokumentiert, hat ohne viel Aufhebens Alltags- und Feiertagswelten der ostdeutschen Nachkriegsgesellschaft festgehalten, hat stille Momente in der Eisenbahn eingefangen, ebenso wie in den Straßen und auf den Plätzen Berlins oder Moskaus.
Sie hat Musiker mit ihren Instrumenten abgelichtet, Jugendliche am Bahnhof und in anderen Transiträumen. Sie hat Menschen in der Metro fotografiert und Besucher in Museen, Menschen, besonders Frauen, in ihrem Arbeitsumfeld, in der Universitätsklinik oder an den veralteten Maschinen in den Manufakturen. Für diese wenig heroischen Bilder wurde sie nicht immer geliebt, doch sie hat an ihrem zugleich kritischen wie empathischen Blick auf die Welt festgehalten. Im vergangenen Jahr ist Evelyn Richter 91-jährig gestorben.
Ausstellung in Düsseldorf zeigt viele Alltagsszenen der DDR
Der Kunstpalast Düsseldorf hat in Kooperation mit dem Museum der bildenden Künste Leipzig nun eine umfassende Ausstellung zu Evelyn Richter (1930 - 2021) erarbeitet, die einen Überblick über das Schaffen der ostdeutschen Fotografin und ihre Bilder bietet. 1930 in Bautzen geboren, wuchs Richter in Kriegszeiten auf, hat anschließend bei dem Dresdener Porträtfotografen Pan Walther das Fotografieren gelernt, und dann auf ihre Art begonnen, die Welt zu erkunden.
Im Zentrum ihrer Arbeit steht immer der Mensch, ihre Fotos handeln von seinem Leben und seiner Welt. Richter, die zumeist in Leipzig tätig war, wird in Fotografenkreisen sehr geschätzt, ist einem breiteren Publikum, zumal im Westen, aber eher unbekannt geblieben. Eventuell hat man im Westen schon einmal ein Plattencover in der Hand gehalten, ohne zu wissen, dass das Musikerporträt vorne drauf von Evelyn Richter ist. In der Ausstellung sieht man einen ganzen Raum dieser vorzüglichen sensiblen Porträts.
Da sie in der damaligen DDR lange nur sehr eingeschränkt publizieren durfte, hat Evelyn Richter etliche Jahre als Werbefotografin und Bildredakteurin für Messen oder Firmen gearbeitet, und hat viele ihrer freien Aufnahmen, wie sie selber sagte, „für die Kiste“ gemacht. In diesen Kisten, genauer: in ihrem selbst organisierten und eigenhändig beschrifteten Archiv, ist man nun fündig geworden, hat Hunderte von Negativen, Kontakt- und Arbeitsabzügen gefunden. Einige sind Teil der Ausstellung geworden, liegen neben anderen Dokumenten und Publikationen in Vitrinen oder hängen als Abzüge an der Wand.
Ein Bild der Zeit in vielen Facetten
Das fast dadaistisch anmutende Selbstporträt als Maschinenfrau von 1952, die Arbeiterinnen in der Weberei (1958/59), an der Linotype (um 1960) oder in der Kammgarnspinnerei (um 1971) und auch die spielenden Bauernkinder (1954) oder die selbstbewusste Kranführerin in Leipzig (vor 1963) sind nicht nur wunderbar eindringliche Bilder, sie sind ebenso Zeitdokumente einer untergegangenen Welt. So wie der junge Pionier in der Straßenbahn in Dresden (1972) und die beiden Jugendlichen am Bahnsteig mit ihrem stolz präsentierten Stern-Rekorder R160.
Es sind einfache Alltagsszenen, aufgenommen ohne Pathos und fast wie nebenher, die ihre Überzeugung und Kraft in den Bildern finden; Street Photography, wie sie die us-amerikanischen Kollegen um Robert Frank, Lee Friedlaender, Vivian Maier u.a. länger schon erprobten. Auch sie waren, wie Richter, mit Kleinbildkamera unterwegs und haben mit ihren Aufnahmen Alltags- und Straßenszenen zu bildwürdigen Motiven gemacht.
Evelyn Richters Fotografien sind keine spontanen Schnappschüsse
Als Menschen-Fotografin arbeitet Richter ähnlich dokumentarisch-sachlich, aber nicht so streng konzeptuell wie August Sander (1876-1964). Dieser hat seine Menschenporträts zumeist nach einem ähnlichen Schema in großer Serie gefertigt, oft vor neutralem Hintergrund im Fotostudio, mal am Arbeitsplatz, mitunter in ihrem Lebensumfeld, seine Modelle oft frontal uns anblickend. Ein vergleichendes Sehen, wie es dem Fotografen vorschwebte, ist schon in dieser Vorgabe angelegt.
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Bei Evelyn Richter scheint das Fotografieren spontaner, beiläufiger, auch wenn sie selbstverständlich ihre Besuche in den Konzertsälen oder Manufakturen planen musste und es daher keine „Schnappschüsse“ in strengem Sinne sind, sehen die Bilder doch zumeist aus wie gefunden, nicht wie inszeniert. Es sind vor allem die stillen Momente konzentrierten Schauens und Werkens, die sie einfängt, ungeschönt und unspektakulär.Sie war nicht nur eine behutsame Beobachterin, sondern auch eine schonungslose Chronistin.
Zur Ausstellung
Evelyn RichterDüsseldorf KunstpalastBis 8. Januar 2023www.kunstpalast.de