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Kölner Wallraf-Richartz-MuseumWer dies liest, ist beinahe schon ein Kunstwerk

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Rembrandts Gelehrter im Studierzimmer („Faust“), um 1652

Köln – Bücher, auf denen ein Totenkopf prangt, haben offenbar schon immer die fatale Neugier unbedarfter Leser angestachelt. In jenem Buch, das der französische Grafiker Grandville im Jahr 1843 verewigte, steckt dem hohlen Schädel noch der Schlüssel im Nasenloch, mit dem das Unheil aufgeschlossen wurde. Jetzt quellen die kleinen Gefährten des „Bücherteufels“, insektenartige Mischwesen, aus den aufgeblätterten Seiten, um sich ihrer lang entbehrten Freiheit grimassierend zu erfreuen.

Hanns Zischler ist ein Forschungsreisender in entlegene Wissensgebiete

Der Inhalt sprengt die Form, bemerkt der Schauspieler, Autor und Gelegenheitskurator Hanns Zischler zu Grandvilles Karikatur, eine Form wohlgemerkt, die ein anderer Gelehrter, Umberto Eco, einmal als perfekt gepriesen hat. Ein Buch, so Eco, sei formvollendet wie ein Hammer oder eine Schere, man könne es nicht besser machen als es ist. Sowohl das Eco-Zitat wie der bücherteuflische Spuk finden sich in einer Schau über Lesen und Schreiben, die Zischler für das Kölner Wallraf-Richartz-Museum eingerichtet hat. Beides geht schon deswegen wunderbar zusammen, weil die perfekte Form des Buches darin liegt, dass es unendlich mehr enthält, als es den Anschein hat.

Für Künstler (und den Kurator Zischler) entsteht dadurch allerdings ein Problem: Wie zeigt man etwas, das nicht da ist, sondern sich allein vor dem geistigen Auge des abgebildeten Lesers vollzieht? Papier ist eben geduldig, und Buchstaben sind für gewöhnlich keine Chimären, die einem von den Seiten entgegenspringen. Auf den Bildern von Lesern und Schreibern sieht man vor allem Menschen, die sich in etwas versenken, in einer anderen Welt versinken oder abschweifend in die stürmische See der eigenen Gedanken stechen. Malen lässt sich das alles im Grunde nicht. Aber die besseren Künstler animieren dazu, uns in ihre Bilder zu versenken wie die von ihnen gezeichneten Lesenden ins Buch, in den Brief oder in die Zeitung.

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Hans Zischler konnte dafür aus dem Vollen der Graphischen Wallraf-Sammlung schöpfen. Immerhin 150 Blätter fanden sich dort zum Thema Lesen und Schreiben, knapp ein Drittel davon und dazu einige persönliche Dreingaben des Gastkurators sind in der „Bann und Befreiung“ betitelten Ausstellung zu sehen. An deren Anfang steht ausgerechnet die Zeitung, ein, verglichen mit Buch und Brief, eher flüchtiges, vergängliches und sicherlich nicht perfektes Medium. Aber Mabel Dearmers Zeitungsleserin im roten Kleid verschwindet so vollendet gebannt hinter dem weit aufgeschlagenen Papier, dass es eine wahre Freude ist. Kleiner Wermutstropfen für Journalisten: Sie liest den Anzeigenteil.

Hinter diese Begrüßung hat Zischler eine Menschenmenge gehängt, die sich auf Max Beckmanns mit kalter Nadel gezeichneter „Kriegserklärung“ von 1914 hinter die unheilvolle Schlagzeile des gleichen Inhalts drängt. Auch hier springt etwas von den Seiten über, der Nachrichtenteufel vielleicht, man sieht es den ängstlichen Gesichtern der Menschen an. Hegel, den Weltgeist auf seiner Seite wähnend, hatte die Zeitung dagegen noch einen „realistischen Morgensegen“ genannt.

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Hanns Zischler

Man merkt der mit derlei Zitaten gespickten Ausstellung an, dass Zischler ein Entdeckungsreisender in entlegene Themengebiete ist. Seine Neugier galt nicht nur dem Bildgedächtnis zum Lesen und Schreiben, sondern auch der literarischen Erinnerung an beides. Hier und da finden sich längere Zitate, als Schriftbilder gerahmt, sogar neben den Kunstwerken an der Wand. Eine solche Kafka-Notiz stimmt auf die postalische Seite der Ausstellung ein, vor allem auf Briefe lesende oder Briefe herbei sehnende Frauen und auf eine von Pierre Bonnard virtuos hin gestrichelte hockende Briefschreiberin. Das angewinkelte Knie dient ihr als Unterlage, so schreibt man wohl nur, wenn es einen hinreißt oder der Adressat die persönliche Krakelnote zu schätzen weiß.

Das postalische Wechselspiel von Nähe und Ferne, Sich-in-etwas-Verlieren und Sich-etwas-Vergegenwärtigen begegnet einem in der Bücherabteilung der Schau wieder. Man sieht in Büchern suchende Wissenschaftler (Rembrandts „Faust“ liest freilich im Buch des Lebens), verträumte Frauenzimmer nach Art des Hauses, einen Knaben, dem sich die Welt der Buchstaben wie etwas Heiliges erschließt und eine Mutter, die darin aufgeht, der eigenen Kinderschar vorzulesen. Mitunter steht die Schau auch im Bann des belesenen Geschlechterklischees, das bringt die frühmoderne Entstehungszeit der meisten Werke mit sich.

Im Finale kehrt Zischler zum Anfang, zum schreibenden Menschen zurück

Im Finale kehrt Zischler zum Anfang, zum schreibenden Menschen zurück. Hier ist das Spektrum der Bildmotive erfreulich weit und reicht vom Diktat, das Moses am Berg Sinai eilfertig entgegennimmt, bis zu einem alten Paar, dem vor dem sprichwörtlichen Liebesschwur im Baumstamm selige Erinnerungen kommen. Letztlich kann aus der Schrift eben nur herausspringen, was jemand zuvor hineingetan hatte. Die Bücherteufel wissen ein garstiges Lied davon zu singen.

„Bann und Befreiung. Über Lesen und Schreiben“, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Obenmarspforten, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 15. Januar 2023. Eröffnung: Donnerstag, 22. September, 19 Uhr.

Das Katalogheft zur Ausstellung enthält einen ausführlichen Essay von Hanns Zischler und versammelt zum Preis von 15 Euro 83 Abbildungen auf 80 Seiten.