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„Grüne Moderne“ in KölnWie das Museum Ludwig ökologisch vorbildlich scheitert

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Marlene Dietrich mit Frack und Blume der Ironie

Köln – Das „Blumenwunder“ beginnt mit einem Massaker. Eine adrette Mädchenbande kühlt sein Übermütchen an einem Blumenbeet und hinterlässt viele geknickte Stängel und hängende Köpfe. Sogleich erscheint die Schutzgöttin Flora, dargestellt von einer Schauspielerin mit rankender Gestik und blühendem Haar, um die zeittypisch auf übernächtigter Vamp geschminkten Mädchen nachsichtig zu schelten. Blumen sind wie wir, lautet ihre Mahnung, sie bluten und haben einen Puls, lediglich ihr Zeitmaß ist ein anderes. Zum Beweis (und zur Strafe) folgt eine Stunde mit Zeitrafferaufnahmen, in denen sich Blumen zum Himmel strecken.

Das Kölner Museum Ludwig soll grün werden

Max Reichmanns „Blumenwunder“-Film war 1926 ein Sensationserfolg in den deutschen Kinos und brachte offenbar die heute durchaus geläufige Vorstellung, dass auch Pflanzen lebendige Wesen sind, erstmals breitenwirksam unters Volk. Das theatralische Vorspiel wirkt einigermaßen kurios, zumal für einen Film, der seine Botschaft auf wissenschaftliche Aufnahmen eines Chemiefabrikanten stützt. Aber die Mischung aus technischer Zeitraffer-Poesie und Pflanzenliebhaberei traf den Zeitgeist der neusachlichen Weimarer Republik. Es war die Zeit von Zimmergärten und modernistischen Blumenarrangements, sei es auf Kleidern, Tapeten oder in Bauhaus-Wohnzimmern, in denen exotische Kakteen vereinsamten und sich von Fensterbänken auf Passanten stürzten.

Diese im Untertitel beglaubigte „Neue Sicht auf Pflanzen“ erforscht jetzt das Kölner Museum Ludwig in einer Ausstellung, die nicht nur eine schon wieder historisch gewordene „Grüne Moderne“ zum Thema hat, sondern selbst eine Pioniertat in grüner Museumsarbeit ist. Die Fotokuratorin Miriam Szwast arbeitete dafür mit der US-Ökologin Suzanne Pierre zusammen, einer Mitbegründerin des kalifornischen Critical Ecology Lab. Gemeinsam suchten sie nach Wegen, den Ausstoß von Kohlendioxid in der energieintensiven Kunstwelt zu minimieren. Das Ergebnis lässt sich auf der Ausstellungs-Website nachlesen, man kann es teilweise aber auch buchstäblich an der Wand hängen sehen.

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Am offensichtlichsten grün ist die Kölner Ausstellung in der Ausleihpolitik. Szwast hat darauf verzichtet, Originale aufwendig durchs Land zu transportieren, und sich stattdessen mit Bilddateien begnügt, die im eigenen Haus mineralölfrei ausgedruckt wurden. Die rund 30 „Leihgaben“ (von etwa 130 Exponaten) sind als Poster an die Wand gebracht und an ihren schwarzen Klebestreifen zu erkennen. Die Architektur wurde weitgehend von der Vorgängerausstellung übernommen, einen klassischen Katalog in Buchform sucht man vergebens; dieser lässt sich stattdessen kostenlos auf gruene-moderne.de herunterladen. Auf derselben Seite wird die Ausstellung so großzügig dokumentiert, dass es einer Einladung gleicht, dieser fern zu bleiben – was wohl für Interessenten mit ökologisch fragwürdigem Anreiseweg auch so gemeint ist.

Gemeinsam mit Ludwig-Direktor Yilmaz Dziewior betonte Szwast den experimentellen Charakter dieses Ausstellungskonzepts; „Weniger ist mehr“ muss also nicht zwangsläufig zur Kölner Norm werden. Das wäre auch nicht gut, denn so interessant das Thema ist, so ausgedörrt fühlt man sich bereits nach den ersten Schritten. Vielleicht liegt es an den vielen schwarz-weißen Kaktusbildern oder daran, dass die hohen Ausstellungswände nicht für schmale Fotografieformate geschaffen wurden – jedenfalls ähnelt die grüne Moderne dem Gang durch eine Wüstenei.

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Otto Dix mit Nelke

Die Ausstellung beginnt im Foyer schon etwas trocken mit einem „Rankhilfe für grüne Visionen“ getauften Holzgitter an der Wand; hier können Besucher ihre Ökoideen hinterlassen. Es folgt ein Zimmergarten mit Topf- und Einweckpflanzen, bevor es ins Reich der überwiegend fotografischen Künste geht. Hier wird es dann schnell stachelig mit „technoiden“ Kakteen als Sahnehäubchen auf modernistischen Wohnungseinrichtungen. Man sieht Aufnahmen von Werner Mantz und Anne Biermann und einen gemalten Hinterhof von Franz Wilhelm Seiwert – aber vor allem sieht man historische Illustrationen zu den im Katalog ausgebreiteten Thesen und Erzählungen. Die sind spannend nachzulesen (insbesondere Rainer Stamms „Anmerkungen zum Pflanzenkult der 1920er Jahre“), aber sie werden im Museum nicht lebendig.

Im Pflanzenkult der Weimarer Republik verbanden sich spätkoloniales Fernweh mit Geschlechterfragen

Im Pflanzenkult der Weimarer Republik verbanden sich spätkoloniales Fernweh mit Geschlechterfragen und die Faszination für das geheime Leben im heimischen Blumenbeet. Miriam Szwast verhaftet dabei etwas pflichtschuldig die üblichen Verdächtigen. Sie zeigt die Nahaufnahmen verschnörkelter, wie versteinert wirkender Pflanzen, mit denen Karl Blossfeldt die „Urformen der Kunst“ und insbesondere der mittelalterlichen Architektur rekonstruierte; Alfred Eisenstaedts ikonische Aufnahme von Marlene Dietrich im Frack mit weiblich wuchernder Blume im Knopfloch; und Hugo Erfurths Porträt des Malers Otto Dix mit maskulinem Stängel im Wasserglas.

Origineller sind die Seitenblicke in die Alltagskultur, etwa auf die Blumenarrangements auf Hochzeitsbildern oder die Schelte, die kleinen Pflanzenmördern von der heiligen Flora droht. Geradezu ärgerlich verlässt man dagegen die kärglich bestückten Kabinette zum „Pflanzenhorror“ und zur Geschlechtlichkeit der Blüte. Wenn man Leihgaben schon ausdrucken kann, sollte man dann nicht aus dem Vollen schöpfen?

„Grüne Moderne. Die neue Sicht auf Pflanzen“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 22. Januar 2023. Eröffnung: Freitag, 19 Uhr.