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Regisseur Timm Kröger im Interview„Das haben die Deutschen irgendwie vermasselt“

Lesezeit 6 Minuten
Kröger trägt ein schwarzes Hemd. Im Hintergrund die Aufschrift: Film Festival Cologne.

Regisseur Timm Kröger beim Screening des Films „Die Theorie von Allem“ im 33. Film Festival Cologne

Timm Kröger spricht im Interview über seinen neuen Film „Die Theorie von Allem“ und das Filmemachen an sich. Über die Filmlandschaft hat er ein paar deutliche Worte.

Was interessiert Sie am Filmegucken?

Timm Kröger: Naja, das gleiche wie bei Literatur, Kunst, Musik – das Gefühl, eine Verbindung zu bekommen; etwas Wahres über die Welt ausgedrückt zu sehen; und dann nennt man das später Kunst.

Wie nennen Sie das?

Hm, stimmt schon… Kunst hat so diesen Beigeschmack von etwas Fadem, Langweiligem, Elitärem. Ich finde, so darf man das Wort nicht benutzen. Das haben die Deutschen irgendwie vermasselt. Ich glaube, Goebbels hat das zu verantworten, als er die E- und U-Unterscheidung einführte. Manche Leute betreiben damit ja einen Distinktionsquatsch in der Art „Wir sind ja was Besseres, wir beschäftigen uns mit echter Kunst.“ Und fast noch idiotischer ist es, wenn man sich auf seinen Unterhaltungswert versteift. Ich wüsste jedenfalls nicht, wieso ein Unterhaltungsfilm nicht auch Kunst sein soll.

Aber das Resultat sollte auch Leute erreichen.

Natürlich wollen die allermeisten Menschen, wenn sie sich einen Film anschauen, nicht etwas Neues erfahren, sondern ihr Gehirn abschalten und sich wohlfühlen. Sagt man, aber das ist ja nicht wahr. Selbst wenn sie unterhalten sind, schalten sie ihr Gehirn nicht ab, sondern es wird engagiert, und zwar im besten Sinne.

Timm Kröger über seinen Film „Die Theorie von Allem“

Sie studierten Regie und Dokumentarfilm. Wieso das?

Ich habe ein großes Herz für Dokumentarfilm. Ich denke, dass normale Menschen gar nicht mehr wissen, was das ist. Dokumentarfilme gibt es ja kaum noch im Fernsehen, sondern vor allem Dokumentationen. Das ist schade, denn einen Film wie „Don’t Look back“ über Bob Dylans Konzerte in London 1966, den kann man heute noch gut im Fernsehen zeigen.

Die Theorie von Allem von Timm Kröger

„Die Theorie von Allem“ von Timm Kröger

Für die allermeisten Dokumentarfilme gilt das indessen nicht.

Es kommt immer darauf an, was man vorhat als Filmemacher. Wenn es darum geht, eine möglichst große Masse zu erreichen, dann muss man sich mit zuschauerpsychologischen Effekten auseinandersetzen. Das ist eine Disziplin, die jeder Filmemacher beherrschen sollte.

Wie schätzen Sie Ihren neuen Film „Die Theorie von allem“ im Blick darauf ein?

Der Film ist eigentlich ein klassischer Dreiakter, zudem eine klassische Heldenreise. Aber er ist dann am Ende etwas Anderes, bringt einen an einen emotionalen Ort, den man nicht erwartet hat. Das hat mit dem Epilog zu tun, der plötzlich einsetzt. Ich sage nicht, dass man das mögen muss, aber ich sage: Das ist das Beste an dem Film, dass er uns quasi enttäuscht, aber dann an einen anderen Ort bringt. Und das macht er auf eine mir unterhaltsame Weise.

Timm Kröger kann keinen Genrefilm mehr machen

Wieso muss man denn enttäuschen? Sie hätten doch auch gemäß des Anfangs einen Hitchcock-Film mit den Mitteln von heute drehen können.

Slavoj Žižek sagte mal: Ein postmoderner Film ist immer auch ein Film über die Unmöglichkeit des Filmemachens.

Ja, und?

Wir haben doch alles schon dreitausend Mal gesehen. Nichts im Kino ist mehr neu oder gar „real“. Wir sind doch an einem komplizierteren Ort, als in der Zeit, als Hitchcock gearbeitet hat. Es wäre mir nicht möglich, einen reinen Genrefilm zu machen, ohne dabei gleichzeitig das Genre zu unterminieren. Das ist die Art, ein Genre ernst zu nehmen heutzutage.

Das sehe ich nicht so.

Ich sage nicht, dass das die Antwort ist. Denn das große Problem der Postmoderne strahlt aus in unsere gesamte Kultur. Es ist die Tendenz, alles auseinanderzunehmen und in der Dekonstruktion wenig Neues zu bieten oder eine solide Basis für eine Utopie nach vorne zu schaffen, die ein bildendes neues Ganzes ergeben könnte. Da kann ich meinen Film schlecht in Schutz nehmen, denn er treibt das gleiche Spiel, das wir jahrzehntelang hatten.

Wie meinen Sie das?

Sagen wir mal so: Ich mache einen Film über eine Insel, da will ein Millionär einen Park mit Dinosauriern eröffnen – das will ich sofort sehen. Völlig klar. Und es wird auch immer einen Platz für diese Art Genrefilm geben. Aber mir persönlich ist das zu einfach. Ich kann keinen Film machen, der sich nicht mit seiner Art des Filmemachens selber auseinandersetzt.

Der Regisseur hat den Film erstmal für sich gemacht

Beschreiben Sie den Film mal mit ihren Worten.

Er hat etwas Traumartiges. Er handelt von Multiversen, das sagen alle. Wir leben auch in einer Zeit, wo wir uns unsicher sein dürfen, eigentlich sein müssen, ob wir überhaupt in einer ontischen Realität leben.

Was heißt das nun wieder?

Die gängige Theorie im Silicon Valley ist es, dass wir wahrscheinlicher in einer komplexen Simulation leben, als dass dem nicht so ist. Wir können nicht wissen, was real ist und was nicht. Das tritt also an die Stelle einer transzendentalen Sicherheit, wie man sie im 19. Jahrhundert mit religiöser Trost- und Heilsverkündung hatte – das wissen wir heute alles nicht mehr. Das stürzt Leute in einen Abgrund und die meisten davon hangeln sich mit privatreligiösen Theorien irgendwie durch. Weil man ja an irgendeinen Sinn im Leben glauben muss. Aber wir müssen anerkennen, dass wir in einer Welt leben, die wir nicht verstehen können.

Ich komme mittlerweile oft aus Filmen und fühle mich innerlich tot
Timm Kröger

Heißt im Blick auf Ihren Film?

Es gibt keine klaren Antworten. Und deshalb kann ich keinen Genrefilm machen, der unironisch das Böse, das Unheimliche zeigt, und dann eine klärende Antwort darauf hat. Ich kann auch keinen Film machen, der unironisch einen genialen jungen Physiker zeigt - denn vielleicht ist der auch nur ein Idiot oder ein Verschwörungstheoretiker, auch wenn die Geschichte, die wir mit ihm erleben, scheinbar real ist und durchsättigt von ernstem Pathos. Nur so kann ich diese spezifische Geschichte erzählen. Es ist einfach tragisch und komisch zugleich.

Na gut, zum Glück ist es ja nicht als Kinderfilm gedacht. Aber für wen ist es?

Das weiß ich nicht. Trotzdem wünsche ich den Leuten gute Unterhaltung. Das ist doch völlig klar. Dafür gehe ich doch ins Kino. Ich will ja in eine fremde Welt entführt werden. Aber ich habe den Film erst mal für mich gemacht. Er ist so, wie ich gern mal einen Film sehen würde. Ich komme mittlerweile oft aus Filmen und fühle mich innerlich tot – es ist einfach zu viel zynischer Schwachsinn da draußen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mit diesem Gefühl alleine bin, das geht ganz vielen so. Und diesen Leuten verspreche ich, dass sie sich nicht innerlich tot fühlen werden.

Zur Person

Timm Kröger, 1985 in Itzehoe geboren, besuchte das European Film College in Dänemark und studierte Regie und Dokumentarfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Sein Abschlussfilm, der Spielfilm „Zerrumpelt Herz“, spielt 1929 in Berlin. Seinen zweiten Spielfilm „Die Theorie von Allem“ drehte Kröger in Schwarzweiß und Cinemascope. Der Film wurde in den Wettbewerb in Venedig eingeladen.