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„Hass im Netz hat Strategie“Was jeder Einzelne gegen digitale Gewalt tun kann

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Josephine Ballon

Mehr als die Hälfte aller Internetnutzer traut sich schon nicht mehr, ihre Meinung zu äußern. Und durch Hass im Netz wird die öffentliche Debatte gezielt beeinflusst. Josephine Ballon von der Organisation HateAid erklärt, wie gefährlich digitale Gewalt ist und wie wir sie eindämmen können.

Josephine Ballon, was hat sie als Juristin motiviert, sich gegen digitale Gewalt zu engagieren?Ballon: Wir haben die Möglichkeit gesehen, auf einem neuen Gebiet wirklich etwas zu verändern. Und natürlich ist es für mich als Rechtsanwältin auch schwer zu akzeptieren, dass Betroffene, die im Netz digitale Gewalt erfahren, vollkommen schutzlos sind.

Denn das hat Auswirkungen auf die Menschen persönlich - auf ihre Psyche aber auch auf ihre körperliche Gesundheit. Und zwar für den Rest ihres Lebens, denn das Internet vergisst nicht und man kann nie wissen, wann es einen wieder einholt. Und wir sehen, dass der Gesetzgeber sich auch schwer tut, mit dem Thema: Wie gehe ich mit Hassrede auf Social-Media-Plattformen und dem Spannungsverhältnis zur Meinungsfreiheit um?

Man kommt an juristischen Sachverhalten nicht vorbei, wenn es um das Phänomen „Hass im Netz“ und die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen geht. Da habe ich die Möglichkeit gesehen, mich für ein Thema einzusetzen, das mir selbst am Herzen liegt und gleichzeitig auch meine juristische Expertise einzubringen.

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Womit wenden sich die Menschen an Ihre Organisation?

Das geht viel, viel weiter als der Hasskommentar in den sozialen Netzwerken oder auch mal die Drohung per Mail - wobei das natürlich auch drastische Fälle sein können, das möchte ich gar nicht runter spielen.

Aber es gibt eben auch Fälle, da werden persönliche Daten und Informationen über die Familie oder die Schule der Kinder veröffentlicht. Oder Bildmaterial wird missbraucht oder manipuliert, es werden Lügen damit verbreitet und Fake-Profile angelegt. Es wird auf einer pornographischen Plattform eine private Telefonnummer veröffentlicht, mit der Aufforderung, Dick-Pics dahin zu schicken.

Jenseits dieser Einzelschicksale – was macht Hass im Netz und digitale Gewalt so gefährlich?

Wir wissen schon seit längerem, dass Hass im Netz Strategie hat. Und eingesetzt wird, um Menschen mundtot zu machen. Um die Betroffenen selbst geht es meist gar nicht, an denen soll nur ein Exempel statuiert werden. Das Ziel ist, sie dazu zu bringen, sich aus dem öffentlichen Diskurs zurück zu ziehen.

Und das Gravierende ist, dass nicht nur die Angegriffenen sich aus dem Netz zurückziehen. Sondern eben auch die Mitlesenden. 54 Prozent der Menschen, die in Deutschland das Internet nutzen, trauen sich schon nicht mehr, im Netz ihre politische Meinung zu sagen - aus Angst, dass sie dann auch Hass und Hetze abbekommen.

Über HateAid

Da Betroffene von Hass im Netz oft alleine dastehen und vor allem kaum rechtliche Unterstützung erhalten, entstand im Dezember 2018 die gemeinnützige Organisation HateAid. Seitdem wurden mehr als 1000 Menschen beraten und unterstützt. HateAid bietet auch Prozesskostenfinanzierung, das heißt, Opfer können ohne eigenes Kostenrisiko gegen die Täter und Täterinnen oder auch gegen Online-Plattformen vorgehen. Rechtsanwältin Josephine Ballon ist HateAids juristische Stimme nach außen.

Außer Einschüchterung und Manipulation – welche Strategien nutzen die Täter ?

Es gibt rechtsradikale oder rechtsextreme Netzwerke, die sich natürlich auch im Internet austauschen und verabreden. Darüber, wie sie Menschen am besten fertig machen können. Und wir wissen auch aus Studien, dass eben gezielt auch die Algorithmen der sozialen Netzwerke missbraucht werden, um sich da eine besonders große Reichweite zu verschaffen.

Sichtbarkeit durch Fake-Profile

Wie funktioniert das?

Mit mehreren Fake-Profilen zum Beispiel, von denen dann die eigenen Beiträge geliked werden. Das verschafft ihnen eine besonders hohe Sichtbarkeit, weil die Algorithmen das belohnen. Viel Interaktion sorgt am Ende des Tages für viel Sichtbarkeit.

Es gibt eine Erhebung aus dem Jahr 2019, in der sichtbar wird, dass auf Facebook in hasserfüllten Kommentarspalten etwa fünf Prozent der Nutzer und Nutzerinnen für 50 Prozent der Likes unter den Hasskommentaren verantwortlich war.

Das zeigt uns, dass das eine sehr kleine Gruppe ist, die hier versucht, gezielt den öffentlichen Diskurs einseitig zu verschieben. Und so dafür zu sorgen, dass der Eindruck entsteht, dass sie die Mehrheit ist, was aber natürlich nicht der Fall ist.

Twitter wird beispielsweise aktiv von relativ wenigen Menschen benutzt. Da ist es einfach, die Plattform mit Fake-Profilen zu manipulieren. Vor der letzten Bundestagswahl führte das dazu, dass Hashtags wie „#merkelmussweg“ in den Trends waren. Und es sah so aus, als wäre das die Mehrheitsmeinung. Dabei war das gar nicht der Fall.

Wenn Medien dann auch noch diese Themen aufgreifen und weiter multiplizieren, weil sie das nicht durchschauen, ist das fatal.

Das heißt, es gelingt so tatsächlich, Debatten in den sozialen Medien zu dominieren?

Die logische Konsequenz ist, dass nur noch diejenigen, die am lautesten schreien und so den Eindruck erwecken, in der Mehrheit zu sein, irgendwann tatsächlich in der Überzahl sind - wenn sich alle anderen aus Angst vor ihnen aus dem Netz zurückziehen.

„Der meiste Hass kommt von rechts“

Was weiß man über die Täter?

Allgemein gibt es alles: Vom hartgesottenen Rechtsextremisten bis hin zum Mitläufer. Wir wissen aus den Kriminalitätsstatistiken des Bundeskriminalamts, dass 73 Prozent der Hass-Postings, die aus dem Jahr 2019 dort registriert wurden, dem rechten und rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind.

Und was weiß man über die Opfer?

Diejenigen, die sich an uns wenden, gehören vor allem marginalisierten Gruppen an. Das heißt, sie erfahren leider auch schon Diskriminierung im analogen Leben und das setzt sich im Netz fort.

Es sind aber auch viele Politikerinnen, vor allem auf kommunaler Ebene. Journalistinnen und Aktivistinnen und da ist es ganz egal, um welches Thema es geht, ob Feminismus oder Umweltschutz. Frauen sind sicherlich die größte aber auch die am schwersten betroffene Gruppe. Auch einige Influencerinnen haben sich schon an uns gewandt.

„Viel Nachholbedarf“

Was muss passieren, um digitale Gewalt besser zu bekämpfen?

Gerade bei den Bundesländern sehen wir Nachholbedarf, wenn es darum geht, Strafverfolgungsbehörden für dieses Thema zu sensibilisieren. Das wird leider noch zu wenig ernst genommen, da heißt es dann: „Ach, die wurde jetzt im Netz beleidigt, da können die sich ja selber drum kümmern. Wir haben eh schon genug zu tun.“

Diese Denkweise war in den vergangenen Jahren vorherrschend. Und diese andere Dimension, die so etwas im Netz erreichen kann, diese Öffentlichkeit und auch das Gefahrenpotenzial wurde leider gar nicht berücksichtigt. Aber da gibt es noch viel Arbeit.

Zum Beispiel?

Mehr Strafverfolgung im Netz wäre eine sinnvolle Maßnahme, um auch langfristig etwas zu ändern. Denn wenn die einzige Konsequenz ist, dass Beiträge gelöscht werden, hat das keinen Abschreckungseffekt.

Die Grundproblematik wurde auch durch das neue Netzwerkdurchsetzungsgesetz nicht gelöst: dass zu wenig Identifizierungen im Netz gelingen. Wenn Sie unter einem Pseudonym ein Profil in Facebook anlegen, dann ist es sehr sehr schwierig für die Strafverfolgungsbehördern da hinter zu kommen, mit wem man es zu tun hat.

„Zu wenig Verantwortung der Social-Media-Plattformen“

Was müssten Social-Media-Plattformen wie Facebook tun?

Wird ein Nacktbild von einer Frau veröffentlicht, muss sie den Rest ihres Lebens danach suchen und das dann melden und darauf zu hoffen, dass Facebook es löscht.

Wir sind der Meinung, dass Social-Media-Plattformen hier mit helfen müssen, strafbare Inhalte zu finden und zu entfernen. Das kann nicht Aufgabe der Betroffenen sein.

Werden die Social-Media-Plattformen ihrer Verantwortung gerecht?

Die Social Media Plattformen haben hier etwas geschaffen, womit sie wahnsinnig viel Geld verdienen, womit sie eine wahnsinnige Bedeutung erreicht haben für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs.

Aber nein, der Verantwortung, die damit einhergeht, werden sie nicht gerecht. Sowohl was ihr Geschäftsgebaren angeht als auch die Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden.

Bisher scheitert die Identifizierung der Täter oft an internationalen Zusammenhängen. Facebook hat das Hausgesetz in Irland. Und wenn deutsche Straftäter die gegen deutsche Bürger und Bürgerinnen Straftaten begehen - da heißt es dann: Fragen sie doch mal in Irland nach. Das kann man sich auch meist sparen.

Und das kann die Bundesregierung auch gar nicht im Alleingang lösen, da brauchen wir eine gesamteuropäische Lösung, um Ermittlungen im Netz effektiver zu machen.

Angst vor Manipulation der Bundestagswahl

Machen Sie sich Sorgen, dass die Bundestagswahl manipuliert wird?

Ein Beispiel ist die Kampagne, anders kann man es ja nicht nennen, die gegen Annalena Baerbock gefahren wurde. An selben Tag, an dem sie ihre Kanzlerinnenkandidatur verkündete, ging es schon massiv los - als hätte alles schon in der Schublade gelegen.

Gefälschte Nacktfotos sind in Umlauf geraten, mit dem Hashtag „#ichwarjungundbrauchtedasGeld“. Dann gab es auch Falschzitate, die ihr zum Beispiel unterstellen, sobald sie gewählt wird, will sie Haustiere verbieten. Sie wurde auch direkt schon in irgendwelche Verschwörungstheorien mit eingebaut. Das zeigt uns, dass das kein Zufall ist, sondern in irgendeiner Form geplant gewesen sein muss.