- Lisa Maria Herzog hat das Buch „Die Rettung der Arbeit" geschrieben.
- Darin plädiert die Philosophin dafür, die bereichernden Aspekte der Arbeit nicht den Maschinen zu überlassen.
- Ein Grundeinkommen wird nicht ausreichen, wenn es darum geht, nach eigenen Vorstellungen zu arbeiten.
Frau Herzog, Sie schreiben in Ihrem Buch „Die Rettung der Arbeit“, dass gewisse Grundfragen berührt werden, die typisch philosophisch sind, wie etwa: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Welche Antwort hat eine Philosophin darauf?
Lisa Maria Herzog: Eine zentrale Frage ist: Woher kommt die Art und Weise, wie wir heute über diese Dinge nachdenken? Diese Denkarten sind ja nicht vom Himmel gefallen, sondern haben eine Geschichte. Bei manchen Begrifflichkeiten oder Denkmustern ist es so, dass wir sie aus früheren Epochen mitschleppen und sie heute nicht mehr gut passen. Eine zweite Dimension, die Philosophie angeht, sind normative Fragen: Wie soll mit bestimmten Entwicklungen umgegangen werden. Was bedeutet zum Beispiel Autonomie in der digitalen Welt? Ist der Begriff noch sinnvoll oder muss man ihn vielleicht anpassen? Was bedeutet Solidarität, wenn Arbeit über Plattformen organisiert wird? Bei diesen Fragen kann die Philosophie in Zusammenarbeit mit anderen Fächern ihren Beitrag leisten.
Sie plädieren für die Rettung der Arbeit, was meinen Sie damit?
Damit meine ich nicht, dass wir alle Aspekte unserer heutigen Arbeitswelt um jeden Preis erhalten sollten – es gibt sicher vieles, das wir gut und gerne den Maschinen überlassen können. Aber wir übersehen zu schnell die positiven Seiten von Arbeit: die Aspekte, die das Leben bereichern können, die wir bewahren und uns nicht von irgendwelchen technologischen Entwicklungen wegnehmen lassen sollten. Arbeit kann uns die Gelegenheit geben, gemeinsam mit anderen Widerstände zu überwinden und Dinge zu schaffen.
Die Arbeitsteilung einmal als Segen?
In einer modernen Gesellschaft ist die Arbeit sehr stark geteilt. Die einzelnen Tätigkeiten greifen ineinander und bedingen einander. Wir arbeiten also immer mit der Hilfe anderer und für andere. Dieser soziale Aspekt der Arbeit ist in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig beleuchtet worden.
Zerstört die Digitalisierung die Autonomie der Menschen?
Autonomie bedeutet ja, dass wir als Bürgerinnen und Bürger über unser Leben selbst entscheiden, individuell, aber auch gemeinsam, indem wir uns demokratisch die Gesetze geben, nach denen wir leben wollen. In Bezug auf die digitale Transformation ist eine ganz dringende Frage, wie es in der Arbeitswelt aussieht, wie viel Autonomie man hat oder wie stark man anderen Menschen oder systemischen Zwängen unterworfen ist. Allerdings besteht in der Arbeitswelt auch das Risiko, dass unter dem Slogan von Autonomie von den Individuen Selbstausbeutung verlangt wird, und die äußere Disziplin ins Innere verlagert wird.
Sie sagen, dass der Begriff der Arbeit viel mehr positiven Inhalt hat, als viele das annehmen. Wenn man Arbeit und Lohnarbeit nur positiv sieht, verfällt man dann nicht gerade dem Optimierungswahn, den Unternehmen ihren Angestellten aufhalsen?
Davon grenze ich mich sehr bewusst ab. Es besteht hier durchaus die Gefahr, dass man in eine Ideologisierung hineinläuft und sich ausbeuten lässt, Überstunden ohne Bezahlung leistet. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass es nicht auch positive Aspekte in der Arbeit gibt. Anhand von empirischen Studien lässt sich erkennen, dass Menschen, die arbeitslos sind, psychisch stark darunter leiden.
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Die Frage ist natürlich auch, ob dies daran liegt, dass Anerkennung in unserer Gesellschaft vielleicht zu stark über Arbeit vermittelt wird. Aber das ist nicht der einzige Faktor, und es gibt auch davon unabhängige positive Aspekte der Arbeit. Die Frage ist, wie sie im guten Sinne zum Tragen kommen können und nicht nur als ideologischer Vorwand für Selbstausbeutung herhalten müssen.
Teilen Sie das Horrorszenario, dass eine Massenarbeitslosigkeit droht und man deshalb ein Grundeinkommen einführen sollte?
Die Szenarien teile ich nicht. Dennoch kann es sein, dass bestimmte negative Entwicklungen eintreten könnten: In bestimmten Bereichen könnte Arbeit sehr schlecht bezahlt, die Verhältnisse also prekär werden, und möglicherweise auch so gestaltet sein, dass es keinerlei zwischenmenschlichen Kontakte in der Arbeit mehr gibt, weil die Vermittlung zum Beispiel vollständig über Online-Plattformen erfolgt. Da stellt sich die Frage, was man gesetzlich überhaupt zulässt und wie man die Rechte von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sichert. Die Idee eines Grundeinkommens setzt mit dem Argument an, dass Menschen damit ausbeuterische oder anderweitig problematische Arbeitsverhältnisse verlassen können. Aber man erhält dadurch noch keine Sicherheit, eine gute Arbeit nach den eigenen Vorstellungen finden zu können. Deswegen wird die Idee eines Grundeinkommens nicht ausreichen, wenn es darum geht, wie wir die Arbeit zukünftig institutionell gestalten wollen.
Wie ungleich darf eine Gesellschaft sein?
John Rawls hatte das Argument vorgebracht, dass Ungleichheit in einer Gesellschaft nur dann zu rechtfertigen sei, wenn sie der schlechtestgestellten Gruppe diene. Das wurde von einigen seiner Leserinnen und Leser so verstanden, dass wir, statt eine Planwirtschaft einzuführen, in einer Marktwirtschaft nur ein bisschen umverteilen sollten. Aber wenn man Rawls ernst nimmt, dann ist ja die Aussage, dass die Ungleichheit dann und nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie den Schlechtestgestellten dient. Wir können heute nicht mehr davon ausgehen, dass dies automatisch durch einen Trickle-down-Effekt erfolgt, wie das von der Ökonomie lange behauptet wurde. Die empirischen Daten sagen ganz klar, dass das nicht funktioniert. Daher stellt sich die Frage, ob man soziale Ungleichheit heute nicht viel stärker eindämmen müsste. Man könnte zum Beispiel, von Rawls ausgehend, fordern, dass diejenigen, die ein hohes Einkommen haben, positiv nachweisen müssen, dass damit den Schlechtestgestellten in der Gesellschaft gedient wird.
Zur Person
Die Philosophin Lisa Maria Herzog (35) ist eine der jüngsten deutschen Professorinnen. Sie lehrt am Centre for Philosophy, Politics and Economics der Universität Groningen in den Niederlanden.
Soeben hat sie die zwei höchstdotierten Preise erhalten, die im deutschsprachigen Raum auf dem Gebiet der Philosophie vergeben werden: den Tractatus des Philosophicum Lech und den Deutschen Preis für Philosophie und Sozialethik.
„Die Rettung der Arbeit“ heißt Lisa Herzogs jüngstes und jetzt preisgekröntes Buch, das im Hanser-Verlag erschienen ist.
Sie trat vor kurzem in der Reihe „Philosophie kontrovers“ an der Universität Köln auf.