Die Kölner Stadtbibliothek zieht ins Interim und Direktorin Hannelore Vogt verlässt das Haus. Im Interview verrät sie, warum jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Abschied ist.
Direktorin Hannelore Vogt verlässt die Stadtbibliothek„Ein Wohnzimmer für die Stadt“

Hannelore Vogt hat die Kölner Bibliothek zu einem Aushängeschild der Stadt gemacht. Jetzt verlässt Sie die Bibliothek. Foto: Arton Krasniqi
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Frau Vogt, seit 2008 sind Sie Direktorin der Kölner Stadtbibliothek. Nun verlassen Sie die Bibliothek – was waren die größten Veränderungen in diesen 16 Jahren?
Mein Ansatz war immer, die Bibliothek zugänglicher zu machen. Als ich anfing, war sie beispielsweise montags geschlossen. Das störte mich extrem, weil ich fand, dass wir kein Buchmuseum sind. Der nächste Schritt waren die Stadtteilbibliotheken, die samstags geschlossen waren. Da war es uns wichtig, dass wir gerade samstags zugänglich sind, wenn die Familien unterwegs sind. Und inzwischen ist die Zentralbibliothek ja sogar sonntags geöffnet. Und dieser Ansatz der Zugänglichkeit hat sich auch auf die räumliche Gestaltung ausgewirkt.
Wie?
Wir haben die Bibliothek ganz anders gestaltet, sie soll ein Ort mit hoher Aufenthaltsqualität sein. Aber auch Arbeitsplätze, vom ruhigen Einzelplatz bis hin zu Gruppenarbeitsplätzen, sind ganz wichtig – ganz im Sinne eines Coworking-Space. Dem wird auch bei der Generalsanierung Rechnung getragen - die Zahl der Arbeitsplätze wird noch mal deutlich erhöht. Ich wollte schon immer von dem traditionellen Image wegkommen, dass die Bibliothek nur ein ruhiger Leseort oder eine Buchabholstelle ist. Bibliotheken sind moderne Erlebnisorte, wo man miteinander Wissens teilt und neue Formen des Lernens erprobt. Die Bibliothek ist ein Ort der Partizipation und der Teilhabe.
Warum?
Der Künstler Claes Oldenburg sagte: „You have to change to stay the same“ (Man muss sich verändern, um der-/dieselbe zu bleiben) - und das trifft auch sehr gut auch auf Bibliotheken zu. Die Bibliotheken sind schon immer Bildungsorte. Und wir passen uns einfach an – indem wir uns auch neuen Lernmethoden anpassen: Lernen durch eigenes Tun, durch Ausprobieren. Und auch der Aspekt des Teilens von Lernen bleibt, aber verändert sich – wir teilen heute eben nicht nur Bücher, sondern noch sehr viel mehr: Musikinstrumente, Computerspiele, Filme, VR-Brillen, GPS-Navigationsgeräte...
Man rennt natürlich nicht immer offene Türen ein. Aber ich habe einfach immer versucht, mit kreativen Lösungen kostengünstige Möglichkeiten zu schaffen
Sie engagieren sich auch besonders für das Thema Demokratie.
Das ist mir sehr wichtig, gerade mit Blick auf Fake News und polarisierender Berichterstattung. Demokratieförderung ist ein Schlüsselthema für uns. Denn Bibliotheken sind zutiefst demokratische Orte. Im letzten halben Jahr habe ich aus unseren vielen Kompetenzteams ein Demokratiebildungsteam zusammengeschweißt. Wir denken in allen Bereichen das Thema Demokratiebildung mit - sei es beim Gamen oder im Schulservice. Und durch die Stadtteilbibliotheken haben wir die Möglichkeit, auch direkt vor Ort aktiv werden zu können. Und so schaffen wir es, auch Menschen jenseits des klassischen Bildungsbürgertums zu erreichen.
Haben Sie eigentlich mit all diesen Veränderungen offene Türen eingerannt – oder gab es auch Widerstände?
Man rennt natürlich nicht immer offene Türen ein. Aber ich habe einfach immer versucht, mit kreativen Lösungen kostengünstige Möglichkeiten zu schaffen. Als wir montags öffnen wollten, war klar, dass wir nicht einfach für so ein großes Haus viele Mitarbeitende neu einstellen können. Wir haben dann ohne große Zusatzmittel eine Montagsöffnung ermöglicht - indem wir das Haus einfach ohne zusätzliches Personal mit einem Wachdienst zugänglich gemacht haben.
Die Kölner Stadtbibliothek ist national und international ein Vorbild
Wie haben Sie es geschafft, mit Ihren innovativen Plänen zu überzeugen? Das ist ja in kommunalen Verwaltungen nicht immer leicht.
Mein Ansatz an vielen Stellen war und ist, erstmal im Kleinen Dinge auszuprobieren und zu testen. Mit dem Modell kann man dann leichter andere überzeugen und die Finanzierung für den Ausbau sichern. So war das zum Beispiel beim MINT-Festival. Wenn man sich neue, unkonventionelle Methoden ausdenkt bekommt man auch leichter Fördergelder als wenn ich nur sage: Ich brauche Geld für mehr Bücher. Wir waren zum Beispiel der erste Makerspace in Deutschland - ein offener Raum für Do-It-Yourself-Projekte. Mit Workshops, einem 3-D-Drucker und –Scanner, Social-Media-Studio und unserer „Bibliothek der Dinge“, wo man sich beispielsweise Experimentierkästen oder Strommessgeräte ausleihen kann. Dafür hatten wir gar nicht groß Geld gefordert, sondern haben einfach Drittmittel dafür eingeworben. Inzwischen gibt es solche Makerspaces in fast allen deutschen Bibliotheken. Die Kölner Stadtbibliothek ist national und international ein Vorbild – darauf ist man stolz, man vertraut uns und so bekommen wir an anderer Stelle wieder leichter Unterstützung gewinnen.
Woher nehmen Sie die Energie für Ihr Engagement?
Ich hatte immer das Gefühl, ich tue etwas, das für die Gesellschaft relevant ist. Und ich brenne noch heute für Bibliotheken und habe Freude an meinem Beruf - ein Privileg nach über 40 Jahren. Ich bin ein zutiefst neugieriger Mensch und stets voller Tatendrang. Mein ganzes Leben lang habe ich nach dem Motto „Stay hungry, stay foolish“ (Bleib neugierig und auch immer etwas verrückt) gelebt, denn wie Steve Jobs sagte, in der Neugier liegt das Geheimnis des Erfolgs. Als Bibliothekarin bin ich natürlich sehr strukturiert – aber trotzdem auch kreativ. Und ich liebe Menschen und habe gern mit Menschen zu tun. Es berührt mich zutiefst, dass ich jetzt Briefe und E-Mails von Bürger*innen bekomme, die sich bei mir bedanken, weil sie gehört haben, dass ich aufhöre.
Aber es war für Sie keine Option noch länger zu bleiben?
Ich habe gekündigt, weil ich einfach selbst den Zeitpunkt bestimmen wollte, wann ich aufhöre. Und da war der letzte Tag im Gebäude der alten Stadtbibliothek ein guter Zeitpunkt. Das Interim ist fertig geplant, die Umzüge, die Ausstattung und Einrichtung... Das war nochmal ein Kraftakt, und es wird ein schöner Ort – aber eben ein Übergangsort. Zum Glück ist die Bibliothek kein so komplexer Bau wie eine Oper, deswegen bin ich ganz zuversichtlich, dass die Bibliothek dann auch tatsächlich in der geplanten Zeit wieder zurück in das sanierte Gebäude ziehen kann.
Wie wird die Bibliothek dann idealerweise aussehen?
Wir haben ja bis hin zu den Türgriffen alles schon geplant. Das neue Haus bekommt eine warme, gemütliche Atmosphäre, ohne den Charakter des Bestandsgebäudes zu verlieren. Die künftige Bibliothek bietet ganz viele Möglichkeiten, sich zurückzuziehen, aber auch die Option, selbst etwas zu tun, so dass man nach wie vor Dinge ungeplant entdecken kann. Sie wird unglaublich viele Aufenthaltsplätze haben, einen Kaffeebereich, eine Dachterrasse – ein Dritter Ort eben.
Bei der Planung der Sanierung war immer von diesem „Dritten Ort“ die Rede – also ein offener Aufenthaltsort in der Stadt jenseits von Wohnung und Arbeitsplatz. Warum sind solche Dritten Orte so wichtig?
Die Bibliothek geht eigentlich noch weit über diesen normalen Dritten Ort hinaus - weil sie neben dem reinen Aufenthalt Programme und Bildungsmöglichkeiten bietet. Aber sie ist auch ein Ort, wo jeder hinkommen kann und sich den ganzen Tag aufhalten kann, der konsumfrei ist und wo sich unterschiedlichste Menschen treffen: alte, junge – mit ganz verschiedenen Backgrounds. Also für mich ist die Bibliothek das Wohnzimmer in der Stadt. Man kann in Dialog treten mit Menschen - und gerade Ältere kommen beispielsweise auch am Sonntag und sagen: Zu Hause fällt mir die Decke auf den Kopf.
Man kann sich Sie schlecht im Liegestuhl am Pool vorstellen - haben Sie schon Pläne für die nächsten Monate?
Mein großes Projekt ist es, bis nächsten Sommer auf eine Weltreise zu gehen. Schon als Kind habe ich immer davon geträumt, das Silvesterfeuerwerk in Sydney einmal live zu erleben – und das steht jetzt auf dem Programm. Unterwegs werde ich online noch eine Weiterbildung zum Thema Künstliche Intelligenz machen. Ich werde aber auch für den Weltverband der Bibliotheken als Mentorin für junge Führungskräfte auf der ganzen Welt tätig sein. Außerdem möchte ich mich bei Wikimedia als Kulturbotschafterin für Bibliotheken engagieren.
Hannelore Vogt war von 2008 bis Ende Juni 2024 Direktorin der Kölner Stadtbibliothek. Davor leitete sie die Stadtbücherei Würzburg, die - genauso wie die Stadtbibliothek Köln - unter ihrer Leitung zur Bibliothek des Jahres gewählt wurde. 2018 initiierte sie das deutschlandweit erste MINT-Festival. Im gleichen Jahr eröffnete sie mit der neugestalteten Stadtteilbibliothek Köln-Kalk eine erste konsequente Umsetzung ihrer Vision einer zukunftsfähigen Bibliothek.
Am 1. Juli schließt die Zentralbibliothek am Josef Haubrich Hof für mehrere Jahre, in denen sie generalüberholt und umgestaltet wird. Im September wird das Interim der Stadtbibliothek an der Hohe Straße eröffnet.
Auch nach der Schließung der Zentrale zeigt die Stadtbibliothek am Josef-Haubrich-Hof weiterhin Präsenz. Im „Sprachraum“, der sich im Erdgeschoss des VHS-Gebäudes befindet, ist es künftig möglich, aktuelle Tages- und Wochenzeitungen zu lesen, zu arbeiten, W-LAN und weitere Angebote zu nutzen - bis hin zu moderierten Gesprächen und Lesungen.
Ihren Abschied vom Zentralgebäude feiert die Stadtbibliothek mit einem dreitägigen Programm vom 28. bis 30. Juni 2024 mit Workshops, Spiele-Events, Lesungen, einem Walking-Act, der Aufführung eines Kindertheaterstücks und Konzerten. Dabei wird auch das 20-jährige Bestehen des Fördervereins der Stadtbibliothek gefeiert.