Der Taschen Verlag schenkt Disneys schnabelhaftem Antiheld zum Geburtstag einen Prachtband mit vielen nie zuvor gesehen Illustrationen.
Bildband zum 90. der Disney-EnteWussten Sie schon, dass Donald Duck ein Kölner ist?
Das flüchtig dahingekritzelte Storyboard hält einen Trickfilm-Gag in vier aufeinander folgenden Bildern fest. Goofy kippt Wasser, Kleister und Farbe in drei Eimer, die Donald Duck falsch beschriftet hat. Vorne steht „paint“, hinten „paste“. Die anderen Panels zeigen die Folgen der Verwechslung: Donald, verzweifelnd, ob der nicht kleben wollenden Tapetenbahn; Mickey, der einen Schreibtisch mit Kleister streicht.
„Interior Decorators“, der Film zum Witz, wurde nie produziert. Er existiert nur als Konzeptkunst, wie es im vom Taschen Verlag veröffentlichten Bildband „Donald Duck. Die ultimative Chronik“ heißt. Das wunderschön gestaltete und sorgfältig recherchierte Buch erscheint pünktlich zum 90. Geburtstag der Disney-Figur mit den meisten Einsätzen in Comic und Cartoon.
Das Konterfei Donald Ducks ziert auch die Türknäufe des Kölner Taschen-Hauptquartiers
Wie Donald, Micky und Goofy ein Flitterwochen-Ferienhaus renovieren, blieb Idee. Der geplante Film war eines von vielen Opfern der rigiden Qualitätskontrolle im Hause Disney. Doch das Storyboard besitzt einen anderen Wert: Carl Barks, das Genie hinter dem Comic-Donald und dessen Entenhausener Verwandtschaft, arbeitete 1936 als Zwischenphasen-Animator in der Kurzfilmabteilung. Hier hat der ehemalige Holzfäller und Maultiertreiber seinen ersten Enterich gezeichnet, gut zehn Jahre später würde er ihm eine Gegenwelt schenken, in der sich bis heute Millionen junger und nicht mehr junger Donaldisten verloren haben.
Die Chronik ist ein Traumprojekt von Benedikt Taschen, dessen verlegerische Laufbahn in Köln mit dem Verkauf von Donald-Duck-Comics begann. Noch Jahrzehnte später behauptete der Unternehmer, alles, was es über Kapitalismus zu wissen gebe, von Carl Barks und dessen Figuren Donald und Dagobert Duck gelernt zu haben. Das Konterfei des vom Pech verfolgten Neffen dient, in Messing ausgeführt, der Eingangstür des Taschen-Hauptquartiers am Hohenzollernring als Türknauf, berichtet Chronik-Herausgeber Daniel Kothenschulte in seiner Einführung.
Der Disney-Experte hat sieben Millionen Bilder in den Archiven des Maus-Hauses und in anderen privaten wie öffentlichen Sammlungen gesichtet, unter der immer noch reichhaltigen Auswahl des Bildbandes finden sich 300 Donald-Dokumente, die zum ersten Mal nachgedruckt werden, viele davon Skizzen für unrealisierte Filme wie im Fall der Barks'schen Erst-Ente. In den Archiven hat Kothenschulte etwa die zuvor unbekannten Ursprünge von Franz Gans, Daisy Duck und Donalds favorisierten Trickfilm-Sparringspartnern A-Hörnchen und B-Hörnchen entdeckt.
Dem Zwischenphasen-Animator hing der zu bewegende Donald schon bald „zum Hals raus“, aber nur, weil ihm während der mühsamen Millimeterarbeit Tausende von Ideen bestürmten: Was diese Ente noch so alles anstellen könnte! Zum Glück erkannte Walt Disney Carl Barks wahres Talent und versetze ihn in die Story-Abteilung. Bald entstanden Geschichten wie „Die fabelhafte Hasenpfote“, die erste, die Barks sowohl schrieb als auch zeichnete – und in der laut Taschen-Band auch zum ersten Mal das große Thema seiner Donald-Comics verhandelt wird: „die Natur des Glücks“, die dem Bürzel-tragenden Jedermann auf ewig ein Rätsel bleiben wird.
Am Anfang war Donald Duck nur eine Stimme
Der Anfang der Ente aber liegt selbstverständlich im Kino, genauer gesagt im Tonfilm, denn erst Donalds Stimme – mit welcher der vormalige Milchwagen-Ausrufer Clarence Nash eigentlich eine Ziege imitieren wollte – ließ ihm den Schnabel wachsen. Sein Leinwanddebüt gibt Donald Duck 1934 im „Silly Symphonies“-Film „Die kluge kleine Henne“, als einer von zwei Nachbarn, die sich vor der Erntearbeit drücken, aber beim anschließenden Essen umso kräftiger zupacken: „Wer, ich? Oh, nein! Ich hab solche Bauchschmerzen!“, krümmt sich der Taugenichts im infantilisierenden Matrosenanzug. Dann vollführt er einen kleinen Glückstanz, zur Feier der Faulheit, in die er so viel Energie und Kreativität steckt.
Beides findet man im Buch in der sinnreich arrangierten Abfolge des Bildmaterials. Von den Zeichenvorgaben auf sogenannten „model sheets“ über Schwarz-Weiß-Fotografien aus den Walt-Disney-Studios bis zum leuchtend bunten Filmplakat: Der Band funktioniert beinahe als überdimensioniertes Daumenkino, das im Durchblättern eine alte Ikone zu neuem Leben erweckt, es ist das reine Vergnügen.
In „Die Kindervorstellung“, seinem zweiten Kinoeinsatz, verliert Donald Duck zum ersten Mal die Contenance. „Tatsächlich war Donalds einzigartige Fähigkeit, aus der Fassung zu geraten“, schreibt Kothenschulte, „schon für die Macher seiner ersten Cartoons offenbar derart verführerisch, dass Walt Disney seine Mitarbeiter davor warnen musste, nicht allzu sehr den Schwerpunkt darauf zu legen.“
Aber es sind nun mal gerade ihre offen zu Tage liegenden Charakterschwächen, die den Reiz der Figur ausmachen. Oder trifft Donald am Ende gar keine Schuld? Ist er die richtige Ente, nur im falschen Leben? Donald Duck, zitiert der Taschen-Band aus Adornos und Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“, erhalte in den Cartoons Prügel, „damit die Zuschauer sich an die eigenen gewöhnen“.
Da ist was dran: Die Micky Maus hat nach anarchischen Anfängen schnell die Rolle des Overachievers angenommen – Donald hingegen ist der personifizierte Minderleister. Onkel Dagobert beweist ihm immer wieder, dass sich Arbeit nicht lohnt, das Geld bleibt im Speicher. Am Ende wird Donald gar nicht vom Pech verfolgt, sondern vom Glück verfehlt (das wie zum Hohn stets Gustav Gans trifft). Andererseits hat sich in 90 Jahren noch kein Donaldist durch den Konsum von Cartoons oder Comics an die Nackenschläge und Enttäuschungen des Lebens gewöhnt, man lernt dank Donald Duck nicht das Scheitern lieben – sondern den Scheiternden. Und diese Chronik ist ein riesiger Liebesbrief an die Ente in uns allen.