Seit Anbruch des Jahres 2024 ist das Urheberrecht der ersten Micky-Maus-Version abgelaufen. Prompt kündigen sich blutige Filme und Computerspiele mit dem Disney-Symbol an.
Disney verliert UrheberrechtDiese Horror-Adaptionen hat die Micky Maus nicht verdient
Mit Anbruch des Jahres 2024 ist das Copyright für die berühmteste Zeichentrickfigur der Welt abgelaufen: Mickey Mouse (auf deutsch „Micky Maus“) eine Ikone des 20. Jahrhunderts, ist jetzt gemeinfrei. Oder zumindest die früheste Version der vorwitzigen Maus, die man aus „Steamboat Willie“ kennt, dem dritten Schwarz-Weiß-Kurzfilm, den Walt Disney 1928 mit der neuen Figur und ihrer keuschen Liebsten Minnie Mouse produziert hatte, allerdings dem ersten, den die staunende Öffentlichkeit im November desselben Jahres zu sehen bekam.
Staunend, weil „Steamboat Willie“ der erste Zeichentrickfilm mit einer vollständig nachproduzierten Tonspur und mit punktgenau synchronisiertem Ton ist: Es waren nicht allein die rundlichen Formen, die Disneys genialer Zeichner Ub Iwerks der knopfäugigen Maus verliehen hatte, die das Publikum derart begeisterten, dass in den frühen 1930er Jahren eine wahre Mickey-Manie den Globus erfasste, sondern vor allem ihr lippensynchrones Pfeifen des Liedes „Steamboat Bill“ in der Eröffnungsszene.
Die Illusion, heute selbstverständlich, war perfekt: Die gezeichnete Maus schien selbst zu pfeifen. Mickeys Ohren mögen, wie es der Autor John Updike formulierte, ins ideale Reich der Zeichen gehören, doch sein Zaubertrick, nach eigenem Willen Töne zu erzeugen, verwandelte die Figur in etwas Hyperreales. „Steamboat Willie“ ist eine Parodie von Buster Keatons ein halbes Jahr zuvor erschienenen Komödie „Steamboat Bill, Jr.“.
Die markierte das Ende von Keatons Erfolgssträhne, der Stummfilmstar, der sich für seine Gags regelmäßig in Lebensgefahr begab, wirkte weniger wirklich, als die Maus, die fröhlich pfeifen und sogar unter Zuhilfenahme von Katzenschwänzen, Kuhzähnen und Gänsehälsen glaubhaft Musik erzeugen konnte.
In dieser Urversion war Mickey Mouse noch kein „eleganter Herr Jedermann“, wie der Disney-Experte Daniel Kothenschulte in dem von ihm herausgegebenen Taschen-Band „Walt Disneys Mickey Mouse. Die ultimative Chronik“ schreibt, sondern „ein rebellischer Landjunge“, ein sympathischer Underdog und Spitzbube. Aber sicherlich kein Killer, der Teenager Messer wetzend durch einen Vergnügungspark jagt. Als solchen zeigt der Slasherfilm „Mickey's Mouse Trap“ die Figur. Der Trailer zum Film wurde veröffentlicht, kaum, dass Mickeys Urheberrechtsschutz am 1. Januar 2024 ausgelaufen war.
John Oliver hat angekündigt, Mickey Mouse als Maskottchen für seine Sendung zu verwenden
Neben „Steamboat Willie“ ging noch ein weiterer Kurzfilm, „Plane Crazy“, in die Public Domain über. Und neben „Mickys Mausfalle“ stehen noch weitere Projekte mit dem gemeinfreien Nagetier in der Pipeline. Der Comedian John Oliver hatte bereits vergangenen April angekündigt, die Ur-Maus zum Maskottchen seiner HBO-Show „Last Week Tonight with John Oliver“ zu befördern. Aber das Gros der Adaptionen fällt ins Horrorgenre, darunter laut AFP eine noch titellose schwarze Komödie, in der eine sadistische Maus ahnungslose Passagiere einer Fähre quält, so wie der Original-Mickey auf dem Dampfschiff Tiere als Musikinstrumente missbraucht. Und ein Computerspiel namens „Infestation: Origins“, in dem das Disney-Emblem als eine Art Monsterratte von Schädlingsbekämpfern erledigt werden muss.
Mit solchen billigst produzierten Mouseploitation-Inhalten konnte man rechnen, nachdem vor zwei Jahren ein Bär von geringem Verstand, der gerade sein Copyright verloren hatte, im mit 100.000 Dollar extrem knapp budgetierten Horrorfilm „Winnie-the-Pooh: Blood and Honey“ als Vorschlaghammer-schwingender Serienkiller sein Unwesen trieb. Damals waren immerhin noch fünf Monate zwischen Gemeinfreiheit und dem ersten Trailer vergangen, der auf allgemeine Empörung stieß. Der Regisseur gibt sogar an, Morddrohung von Winnie-Puuh-Fans erhalten zu haben, die sich um ihre Kindheit betrogen sahen. Nichtsdestotrotz ist ein Sequel bereits in der Produktion, denn wenigen Tagen hüpft auch Puuhs hyperaktiver Freund Tigger in der Public Domain herum.
Die Urheberrechtsverlängung wurde als Micky-Maus-Schutzgesetz verspottet
Abseits solcher kalkulierter Geschmacklosigkeiten besitzt die Gemeinfreiheit der Mickey Mouse eine Symbolkraft, die diejenige von anderem geistigen Eigentum weit übersteigt. Auch weil man so lange darauf musste: „Steamboat Willie“ hätte bereits 1955 der Allgemeinheit gehören können, der US-Kongress verlängerte das Urheberrecht in mehreren Schritten bis 1986, 2003 und zuletzt 2023. Der 1998 verabschiedete Copyright Term Extension Act wurde damals deshalb als Micky-Maus-Schutzgesetz verspottet. Zwar profitierten auch anderen Rechteinhaber von der Verlängerung, aber die langjährige Lobbyarbeit des Disney-Konzerns war wohl entscheidend.
Was die Frage aufwirft, warum der Disney-Konzern nun nicht aggressiver gegen den Rechtsverlust an seinem Symboltier vorgegangen ist. Fürchtete man die Negativschlagzeilen. Oder liegt es daran, dass die Figur markenrechtlich auf unbestimmte Zeit geschützt bleibt? Ein kurzer Ausschnitt aus „Steamboat Willie“ Walt dient den Walt Disney Animation Studios seit 2007 als Logo.
Andere wiederum spekulieren, dass Mickeys Bedeutung für Disney auf Nagergröße geschrumpft ist, schließlich hat das Haus der Maus seit seinem letzten Copyright-Kampf unter anderem die ABC und ESPN, die Studios Pixar, Marvel, Lucasfilm und 20th Century Fox, sowie die Streamingplattform Hulu erworben, da kommen Investitionen im dreistelligen Milliardenbereich zusammen, ein 95 Jahre alter Cartoon ist dagegen eine Marginalie.
Nicht zuletzt hat Disney selbst mit Filmen wie „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ oder „Cinderella“ vorgemacht, wie man gemeinfreie Inhalte gewinnbringend adaptieren kann. Und als Weltkulturerbe gehört Mickey Mouse sowieso längst der Allgemeinheit. Ein paar blutige Billigfilmchen können kaum an ihrem Image kratzen.
Nebenbei: Wer sich mit Mickey gruseln will, kann das am besten mit dem 1929er-Cartoon „The Haunted House“, dessen Urheberrecht läuft im nächsten Jahr aus.