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Documenta fifteenSchormann widerspricht Mendel im Antisemitismus-Streit

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Sabine Schormann

Köln – In den letzten Wochen wurde viel über Sabine Schormann gesprochen und geschrieben, meistens nicht zu Gunsten der Generaldirektorin der Documenta. Schormann selbst schwieg dazu, die Gelegenheit, sich vor dem Kulturausschuss des Bundestages zu rechtfertigen, musste sie wegen einer Erkrankung verstreichen lassen. Jetzt hat sich Schormann mit einer Erklärung auf der Documenta-Webseite zu Wort gemeldet, in der sie auch Vorwürfen Meron Mendels widerspricht, sie wolle den Antisemitismus-Skandal auf der Documenta aussitzen.

In ihrer Erklärung betont Schormann erneut, wie „ungeheuer schmerzlich“ es für sie gewesen sei, „dass das Banner People‘s Justice von Taring Padi mit antisemitischen Bildmotiven überhaupt installiert wurde“. Dies habe auch sie „zutiefst erschüttert“. Sie verweist anschließend darauf, dass sich sämtliche Verantwortlichen, die künstlerische Documenta-Leitung Ruangrupa, das Kollektiv Taring Padi und auch sie selbst, „aufrichtig“ entschuldigt und mehrfach erläutert hätten, wie es zur Aufstellung des Banners kommen konnte.

Sofort nach Bekanntwerden der judenfeindlichen Karikaturen habe sie das Werk zunächst verhängen und nach Rücksprache mit Ruangrupa, Taring Padi sowie dem Documenta-Aufsichtsrat abbauen lassen. Insbesondere die Rückendeckung durch den Aufsichtsrat sei nötig gewesen, so Schormann, „auch für den Fall, dass Teile der Künstlerschaft wegen Zensurvorwürfen die Ausstellung verlassen hätten“. Genau diese Möglichkeit habe damals schon im Raum gestanden.

Meron Mendel hatte wohl eine andere Vorstellung von Beratung

Seitdem arbeite das Documenta-Archiv daran, so Schormann, ein Netzwerk aus externen Fachleuten aufzubauen, das die Documenta bei der Suche nach weiteren antisemitischen Inhalten berät – die Ergebnisse sollen öffentlich diskutiert werden. Allerdings will die Documenta die Entscheidung, wie mit einzelnen Kunstwerken umgegangen wird, nicht, wie wohl auch von Meron Mendel, Leiter der Bildungsstelle Anne Frank, erwartet, an ein externes Beratergremium abtreten.

Dies wäre eine Form der Zensur, die, so Schormann, sowohl Ruangrupa wie auch die Documenta-Künstler seit Januar befürchtet hätten; damals waren erste, bis heute unbelegte Antisemitismus-Vorwürfe gegen das indonesische Kuratorenkollektiv erhoben worden. „Sie sahen sich unter Generalverdacht gestellt und aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder auch ihrer sexuellen Orientierung diffamiert und zum Teil auch bedroht.“ Schormann kritisiert in diesem Zusammenhang auch, dass die in einem Blog erhobenen Vorwürfe „in der folgenden medialen Debatte zum Teil unhinterfragt aufgegriffen“ wurden.

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Explizit widerspricht Schormann einigen Äußerungen Meron Mendels, der in der Mediendebatte lange als Leiter einer externen Beratergruppe gehandelt wurde. Mendel hatte sein Angebot zur Kooperation am Wochenende öffentlich zurückgezogen und dies im „Spiegel“ unter anderem damit begründet, Schormann habe sich nach dem ersten Kontakt nie mehr zurückgemeldet.

Schormann schreibt dazu, die inhaltlich zuständige Leiterin des Documenta-Archivs habe regen Kontakt zu Mendel gehalten und ihm seine „geplanten Aufgaben“ auch kommuniziert. Nach dieser Darstellung haben unterschiedliche Auffassungen über die Befugnisse des Beratergremiums zum Zerwürfnis zwischen Mendel und der Documenta-Leitung geführt.

Ob diese Erklärung die Wogen der Debatte glätten wird, muss wohl bezweifelt werden. Zwar ist aus Sicht der Documenta tatsächlich nicht einzusehen, warum externe Berater das letzte Wort über die Präsentation einzelner Werke haben sollten. Allerdings hat sich die Auseinandersetzung längst von solchen scheinbar nebensächlichen Details gelöst – verhandelt wird das große Ganze, also die Frage, ob man die Documenta überhaupt einem Kuratorenkollektiv aus politisch „unsicheren“ Breitengraden überlassen durfte.

84 Documenta-Teilnehmer sollen Boykott-Aufrufe gegen Israel unterschrieben haben

Die neuste Volte dazu legte am Mittwoch die „Welt“ vor. Dort heißt es, mindestens 84 Teilnehmer der diesjährigen Documenta hätten Aufrufe zum Israel-Boykott unterschrieben, darunter 17 Mitarbeiter des Kunstfestivals; dies habe ein Abgleich von 2276 Beteiligten der Documenta mit Unterzeichnern „israelfeindlicher Briefe“ ergeben.

Die angebliche Nähe der Documenta-Leitung zur BDS-Kampagne, die mit Hilfe von Boykotten eine Änderung der israelischen Palästina-Politik erwirken will, stand schon am Anfang der Debatte.

Beinahe hilflos wirkt daneben das Plädoyer der Documenta-Leitung, die Kunstschau nicht auf den Antisemitismus-Skandal zu reduzieren. Das Publikum, auch das ist Schormanns Erklärung zu entnehmen, macht sich derweil in großer Zahl ein eigenes Bild.

Die bis Ende Juni verbuchten Ticketeinnahmen lägen höher als bei den beiden vorherigen Ausgaben, heißt es aus Kassel. Viele Besucher werden dort mit Erstaunen sehen, dass Israel und der Nahostkonflikt in der Kunstschau selbst eine allenfalls marginale Rolle spielen.