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Kunstfest Documenta fifteenEine Einladung, für eine bessere Welt zu kämpfen

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Malarbeiten am Fridericianum der Documenta 

Kassel – „Das Nutzlose ist nützlich“ hat einer der rund 1500 Teilnehmer der Documenta fifteen im altehrwürdigen Fridericianum an eine Wand geschrieben. Eigentlich ist das eine gute, etwas trotzige und vor allem altbewährte Definition von Kunst, doch um Kunst scheint es hier, im Hauptquartier der wichtigsten Kunstausstellung der Welt, gar nicht zu gehen. Gemeint ist eher das Recycling alten Krams, alter Ideen und des Wohlstandsmülls, den die ehemaligen Kolonialmächte Europas heute nach Afrika und Asien verschiffen.

Im Fridericianum weht ein anderer Documenta-Geist

Man merkt bereits auf den ersten Schritten, dass im Fridericianum ein anderer Geist weht als in den letzten 14 Ausgaben der Kasseler Weltkunstausstellung. Die Wände sind weder mit Gemälden noch mit Bildschirmen behängt, sondern mit Politkunst bemalt oder mit Plakaten tapeziert. Alles erscheint improvisiert: die Stellwände und Auslegetische, die sich vor gedrucktem Enthusiasmus biegen, die heiteren Do-it-yourself-Sammelsurien im Inneren der Kabinette, die anderswo ausgemusterten Sofas und Stühle und selbstredend der Springbrunnen aus Plastikschüsseln und Getränkekisten im Sperrholzauditorium. Offenbar hat das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa die globale Hausbesetzerszene nach Kassel geholt, um mit uns das Prinzip kollektiven Arbeitens zu feiern.

Auf dieser Documenta ist die Organisation der künstlerischen Produktionsweise (solidarisch, politisch, kämpferisch) wichtiger als die Kunst, die dabei herausspringt. Man könnte also sagen: So wenig gute Kunst (im klassischen Sinn) war in Kassel selten, dafür sieht man vor gut Gemeintem die Säulen des Fridericianums nicht mehr. Andererseits platzen die Museen der (westlichen) Welt vor grandiosen Meisterwerken aus allen Nähten, und was hat es uns gebracht? Der Zweifel am Nutzwert der Kunst bei der Weltrettung wächst ja nicht nur im globalen Süden, sondern auch im Herzen der ehemaligen Kolonialherren und Weltherrscher.

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Insofern führt die Documenta fifteen die vorangegangene, kapitalismuskritische Mitmach-Ausgabe konsequent fort. Sie ist hingegen keine Variante der Documenta von Okwui Enwezor, mit deren Hilfe der afrikanische Kontinent erst auf die eurozentrische Landkarte der Weltkunst gesetzt wurde – auch damals ging es letztlich um individuelles Genie, um ewige Werte für die Museen. Es dürfte den professionellen Talentspähern dieses Jahr schwerfallen, einzelne Namen aus den kollektiven Anstrengungen herauszulösen.

Auch diese Documenta hat selbstredend ihre Stars, aber die waren vorher schon welche. Hito Steyerl etwa, die im Kasseler Naturkundemuseum ein sehr unterhaltsames, offenbar halbwegs ernst gemeintes Video über Raubtierkapitalismus, Ökobewusstsein, Waldgeister, Höhlenmalerei und Cheesecoins, eine auf Käse basierende Tauschökonomie zeigt. Oder Richard Bell, der seinen virtuosen Kampf gegen die Unterdrückung der Aboriginal nun auch auf dem Friedrichsplatz austrägt; seine beste Arbeit, eine Marcel Duchamp-Persiflage mit Urinal und Kirmesluftballons, findet sich freilich im Untergeschoss des Fridericianums, gleich bei den Toiletten.

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Street Art aus Thailand in der Documenta-Halle 

Es geht also keinesfalls verbiestert oder verbissen zu auf der Documenta des globalen Südens. Dabei gäben die Themen Anlass für beides. Die kreisen um Armut, Ausbeutung und Flucht (ein schöner Wandteppich der Roma Malgorzata Mirga-Tas zeigt einen Auszug aus Ägypten), aber weniger im Modus eines Tribunals als im Sinne überfälliger Aufklärung. Was wissen wir denn schon über die individuellen und kollektiven Geschichten aus den Ländern und Regionen des Südens? Selbst eine monumentale, als Foto-Gelegenheit eingerichtete „Geburtsszene“ des ungarischen Rom Tamás Peli ist im westlichen Kontext eine Seltenheit – Kitsch-Appeal inklusive.

Ganz nebenbei sieht man auch etwas von der Welt. Das geht von indigener Queerness in Neuseeland bis zu den Wellblechhütten Nigerias. Doch hat man selten den Eindruck, eine politisch-landeskundliche Botschaft zu empfangen; die Künstlerkollektive bringen einfach ihre Geschichten mit. In der Documenta-Halle kann das etwa eine Galerie von der Regierung zensierter kubanischer Künstler sein (ihre Gesichter stecken, auf Gummimasken gedruckt, auf Pfählen) oder ein Keramikladen, in dem es Fische mit Torpedoantrieb, Maiskolben mit Handgranatengriff oder Gemüse mit eingraviertem Coca-Cola-Logo gibt. Alles lässt sich in eine Waffe oder eine Ware verwandeln – sofern es zwischen beidem in hungernden Ländern überhaupt einen Unterschied gibt.

Wir sollen vom Konsumenten zum Aktivisten werden

Nicht nur hier sollen wir vom Konsumenten zum Aktivisten werden. Viele Künstler sind nach Kassel gekommen, um über ihre Projekte zu diskutieren – die Documenta fifteen ist ganz nebenbei auch eine Beuys-Hommage. Selten wird die Verwandlung des Publikums dabei so offensiv betrieben wie im Ruruhaus. Hier lässt ZK/U ein Bienenvolk durch eine Klanginstallation schwärmen und bewirbt damit eine Initiative menschlicher und nicht-menschlicher Bienenretter. Menschliche Unterstützer können sich per Datenspende beteiligen oder durch den Kauf von NFTs.

„Kuratoren, geht heim“ steht an einer Pressholzwand im von Sandra Ceballos errichteten Modell eines Parlaments. So deutlich findet sich die Absage an die elitäre Kunstwelt sonst nicht auf dieser Documenta. Im Namen der Demokratisierung herrscht im Allgemeinen ein freundlicher Ton, eine angenehme Atmosphäre. Allein für die Kinderkrippe ist ein ganzer Seitenflügel des Fridericianums reserviert, mit Babyfotos an allen Krabbelwänden. Dieses Kasseler Kunstfest ist eine große Willkommensgeste. Eine Einladung, sich zu beteiligen am friedlichen Kampf für eine bessere Welt.

Documenta fifteen, Kassel, bis 25. September 2022