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Doku über Festival im Nazi-Ort JamelnZwei Tage gegen den Hass

Lesezeit 4 Minuten
Horst Lohmeyer und Birgit Lohmeyer auf dem Festival im Gespräch mit Smudo von den Fantastischen Vier.

Horst Lohmeyer und Birgit Lohmeyer auf dem Festival im Gespräch mit Smudo von den Fantastischen Vier.

Der ARD-Film „Jamel - Lauter Widerstand“ begleitet den Kampf eines Ehepaars für Demokratie

Es könnte alles so schön sein. Grüne Wiesen, Bäume, viel Platz, die Ostsee ist nah. Wären da nicht die eindeutigen Zeichen, dass Jamel, ein kleines Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, eben doch keine Idylle ist. Ein Schild, das den Weg nach Braunau am Inn weist. Autos, deren Kennzeichen auf 88 enden. Eine Vitrine der „Ortsgemeinschaft“, in der ein Gedicht der verurteilten Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck zu lesen ist. Auf einer Garage das Bild einer vermeintlichen Vorzeigefamilie, daneben der Spruch „frei, sozial, national“.

Jamel, 38 Einwohner, ist ein Dorf voller Neonazis, die ihr rechtes Gedankengut hier ohne jeden Skrupel verbreiten. Ganz gezielt haben sie sich in den vergangenen Jahren in dem Ort angesiedelt. „Völkische Landnahme“ nennen sie das. Ihr Ziel ist es, sogenannte „national befreite Zonen“ zu errichten.

Ein Ehepaar widersetzt sich dem Rechtsruck

Doch ein Ehepaar hat etwas dagegen. Auf der Suche nach ländlicher Idylle zogen Horst und Birgit Lohmeyer 2004 in den ehemaligen Forsthof im Dorf. Und mussten dann feststellen, dass ihre Nachbarn rechtsextrem sind. Viele andere zogen weg, doch die Lohmeyers wollen sich nicht vertreiben lassen. Seit 2007 laden sie jährlich zum Festival „Jamel rockt den Förster“ ein. „Wir haben von Anfang begriffen, dass uns nur die Öffentlichkeit helfen kann“, sagt Birgit Lohmeyer.

Martin Groß begleitet das Paar seit 2015, in seinem Dokumentarfilm „Jamel – Lauter Widerstand“ erzählt er, wie viel Mut und Durchhaltevermögen es braucht, nicht aufzugeben, wenn Hass und Hetze zum Alltag werden. Anfangs war das Festival klein. Doch dann wurde im Jahr 2015 die Scheune der Lohmeyers angezündet und brannte vollständig nieder. Es war Brandstiftung, doch die Täter wurden nie ermittelt. Als die Toten Hosen von diesem Anschlag und dem Festival hörten, beschlossen sie, dort aufzutreten, um die Lohmeyers zu unterstützen.

Seither sind viele große Stars in den Nordosten Deutschlands gekommen: Die Ärzte waren schon da, Herbert Grönemeyer, die Antilopen Gang, Casper, Juli, Alli Neumann, Marteria, Samy Deluxe und Fettes Brot traten auf, mittlerweile kommen 3500 Menschen, die Tickets sind schnell ausverkauft. Doch in diesem Jahr stand das Festival auf der Kippe. Auch im Gemeinderat haben die Rechten das Sagen und wollten mit fadenscheinigen Argumenten verhindern, dass das Ehepaar die Wiese für ihr Festival mieten darf. Erst ein Gerichtsurteil ermöglichte die Durchführung.

Die Toten Hosen unterstützen das Ehepaar Lohmeyer

Und wieder kamen große Namen: Die Fantastischen Vier, außerdem Element of Crime, Olli Schulz, Ebow, Wallis Bird und Querbeat. Man spürt, wie viel Kraft das Ehepaar Lohmeyer aus dem Festival, aus der Unterstützung und dem Zusammenhalt zieht. An zwei Tagen im Jahr sind diejenigen in Jamel lauter, die sich für Toleranz, Vielfalt und unsere Demokratie einsetzen. Aber an den restlichen Tagen haben die Rechten das Sagen.

Jamel zeigt wie durch ein Brennglas, was passiert, wenn sich Neonazis vernetzen und gegenseitig stärken. Natürlich wollte niemand von ihnen mit dem Filmemacher reden, am erschreckendsten sind aber ohnehin die Interviews mit vermeintlich „ganz normalen“ Bewohnern aus dem Nachbardorf, die angeben, nichts davon mitzubekommen, was an rechtem Terror in ihrer Gegend geschieht. „Die Linksautonomen sind schlimmer“, sagt eine Frau.

Jamel ist kein Einzelfall, gerade in dieser Region Deutschlands wehen in vielen Regionen Reichsflaggen. Ihr Mann habe die aufgehängt, sagt eine Frau, sie wisse nicht, was es damit auf sich habe. Verleugnen und Verharmlosen ist Alltag in diesen Dörfern. Wer aufsteht gegen die Demokratiefeinde, braucht echten Mut. Das zeigt sich auch auf einer Demo für Vielfalt, die die Lohmeyers besuchen. Demos gegen Rechtsextremismus werden von der Szene sehr genau beobachtet. Wenn man danach zum Auto gehe, sei es schon besser, das in Begleitung zu tun, warnt Birgit Lohmeyer.

Schon 2018 sagte Herbert Grönemeyer am Rande des Festivals: „Die Zeiten sind nervös. Wir müssen lauter werden. Man muss für das Land aufstehen.“ Es ist erschreckend, wie weit das Land in den sechs Jahren seither nach rechts gerückt ist. Martin Groß hat dem Ehepaar Lohmeyer mit seinem Film ein Denkmal gesetzt, das sie mehr als verdient haben. Und „Jamel Lauter Widerstand“ ist gleichzeitig eine Mahnung, laut zu sein gegen die Feinde der Demokratie, denn Bela B von Die Ärzte hat recht, wenn er sagt: „Das ist zurzeit das vielleicht wichtigste Festival in Deutschland.“


„Jamel – Lauter Widerstand“ steht ab 20. November in der ARD Mediathek. Der Bayerische Rundfunk zeigt ihn am Mittwoch, 11. Dezember, um 22.45 Uhr.