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Doku über Willy Brandts RücktrittIn der Männerrepublik

Lesezeit 4 Minuten
Willy Brandt steht am geöffneten Fenster eines Zuges, auf dem Bild rechts steht sein Referent Günter Guillaume. Beide blicken aus dem Fenster.

Am 6. Mai 1974, vor 50 Jahren, trat Willy Brandt zurück. Der Kanzler stürzte über die Guillaume-Affäre. Sein Referent Günter Guillaume war als DDR-Spion enttarnt worden.

Eine vierteilige Dokuserie der ARD beleuchtet, wie Willy Brandt vor 50 Jahren über die Guillaume-Affäre stürzte. Ein Perspektivwechsel liefert interessante Einblicke.

Man sagt, Geschichte werde von den Siegern geschrieben. Das ist sicher richtig. Vor allem aber wurde Geschichte über Jahrtausende von Männern geschrieben. Dass Frauen die genauso spannenden, oft sogar spannenderen Geschichten zu erzählen haben, wird dabei oft vergessen. Eine vierteilige ARD-Serie, in der es auf den ersten Blick fast ausschließlich um Männer geht, wagt nun den Perspektivwechsel.

„Willy - Verrat am Kanzler“ beleuchtet die Kanzlerschaft Willy Brandts. 50 Jahre ist es her, dass der SPD-Politiker von seinem Amt zurücktrat, nachdem sein enger Mitarbeiter Günter Guillaume als DDR-Spion enttarnt worden war.

In diesem Vierteiler kommen ausschließlich Frauen zu Wort

Jan Peter und Sandra Naumann haben für rbb, SWR, NDR und WDR die folgenschwerste Spionageaffäre der Bundesrepublik Deutschland rekonstruiert und lassen dabei ausschließlich Frauen zu Wort kommen. Das wirkt vielleicht zunächst ungewöhnlich, eröffnet aber neue Einsichten - die Protagonisten der damaligen Ereignisse hat man schließlich schon oft genug gehört.

Die Filmemacher haben unter anderem die Journalistin Heli Ihlefeld, die sich selbst als „Freundin“ Brandts bezeichnet, die Autorin und Podcasterin Yasmine M’Barek, die Antworten auf die Frage gibt, was junge Menschen heute an Brandt fasziniert, und DDR-Spionin Lilli Pöttrich interviewt. Zudem kommen diverse Historikerin zu Wort, darunter Daniela Münkel, Forschungsleiterin beim Stasi-Unterlagen-Archiv.

Sie alle erzählen souverän davon, wie es passieren konnte, dass das Ehepaar Christel und Günter Guillaume über einen so langen Zeitraum im Zentrum westdeutscher Politik agieren konnte, obwohl der Spionageverdacht gegen beide schon Anfang der 1960er Jahre im Raum stand. Doch das Bundesamt für Verfassungsschutz ließ sie gewähren.

Und selbst als immer deutlicher wurde, dass der Anfangsverdacht der Realität entsprach, unternahm man nichts. Noch im Sommer 1973 reiste die Familie Guillaume mit der Familie Brandt in den Urlaub nach Norwegen. Die beiden Söhne spielten miteinander, Christel Guillaume nannte die Wochen in einem späteren Interview selbst ein Familienidyll. Und die ganze Zeit hatten beide den besten Zugriff auf die Unterlagen, die Willy Brandt natürlich auch im Urlaub bearbeitete. Das alles ist bekannt, doch in dieser Dichte und diesem Detailreichtum ist es dennoch interessant und aufschlussreich.

Lügen, Intrigen, Affären und Verrat

Lügen, Intrigen, Affären, Verrat - die Doku nutzt das Potenzial, das der Stoff bietet, mit Freude aus. Wie sehr der „Willy“, wie es ja auch im Titel schlicht heißt, in jener Zeit als Lichtgestalt der Linken galt, machen auch Fans und Unterstützerinnen wie Katja Ebstein deutlich, die sich im Wahlkampf für den Kanzler einsetzte. Die Faszination, die von Brandt ausging, wird so sehr deutlich. Der Blick auf den ersten SPD-Kanzler ist wenig kritisch. Das liegt auch daran, dass neben der ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Roswitha Verhülsdonk keine weiteren politischen Gegnerinnen zu Wort kommen.

Am spannendsten ist allerdings das Beziehungsgeflecht zwischen den Eheleuten Guillaume, dem der Vierteiler viel Raum gibt. Geht es um den Rücktritt Brandts, ist in der Regel nur von Günter die Rede, die interviewten Historikerinnen machen jedoch deutlich, dass seine Ehefrau Christel „fähiger und fleißiger“ gewesen sei. Und sie war sich dessen auch sehr wohl bewusst. Bereits zu Beginn ihrer Tätigkeit in Westdeutschland beschwerte sie sich bei ihren Vorgesetzten im Osten über die Rollenverteilung in der Ehe der Spione. Günter war ihr Vorgesetzter, die besseren, weil brisanteren Informationen schaffte aber sie heran.

Am Machtgefälle zwischen beiden wollten die Herren in der DDR aber nichts ändern. So progressiv war man dann doch nicht. Christel und Günter Guillaume, die nach einer Haftstrafe im Rahmen eines Austauschs in die DDR zurückkehrten, kommen in Interviewpassagen immer wieder selbst zu Wort. Und dort wird augenfällig, dass sie den klareren Blick auf die Geschehnisse hatte. Von ihrem Mann ließ sie sich nach der Rückkehr in die DDR dann auch recht bald scheiden.

„Willy – Verrat am Kanzler“ ist als Vierteiler in der ARD-Mediathek zu sehen. Am Montag, 6. Mai, läuft um 22.50 Uhr eine 90-minütige Fassung im Ersten.