Dreharbeiten für Schauspiel Köln„Excelsior Hotel Ernst ist unser Buckingham Palace“
- Der erste Teil von „Edward II. Die Liebe bin ich“ , verfilmt von Pinar Karabulut, feiert am 12. Februar ab 19.30 Uhr seine Online-Premiere.
Köln – Frau Karabulut, Sie sollten am Schauspiel Köln „Die Jungfrau von Orleans“ inszenieren. Wann war klar, dass daraus nichts werden würde?
Pınar Karabulut: Relativ kurzfristig. Es hat sich wegen des Corona-Rückstaus alles nach hinten verschoben, es standen auch einige Schauspieler nicht mehr zur Verfügung. Das wäre ein großes Projekt geworden, daraus wollte ich nichts Halbgares machen. Das wollte ich auch Kristin Steffen, die die Jungfrau spielen sollte, nicht antun. Also lieber eine neue Produktion. Bei der Recherche nach Stücken kamen wir auf „Edward II.“. Die „Jungfrau“ steht ja am Ende des Hundertjährigen Krieges, nach Edward II. bricht der Krieg zwischen England und Frankreich aus. Im Endeffekt bin ich im selben Themenbereich geblieben.
Edward II. löst durch seine Liebe zu einem Mann, noch dazu einem nicht standesgemäßen, einen Aufstand gegen seine Herrschaft aus. Warum haben Sie diesen Stoff gewählt?
Weil ich Lust hatte auf ein queeres Thema. Es geht im Stück viel um Berührungen, es geht viel um Empfinden. Ich habe das Gefühl, dass wir Menschen im Lockdown weicher und sensibler geworden sind, was körperliche Nähe betrifft, so geht es mir zumindest. Meine Angst ist, dass wenn in zwei Jahren wieder alles okay sein sollte, wir verlernt haben, uns die Hand zu geben oder zu umarmen. Dass diese ganze Begrüßungs- und Berührungskultur, die ja hier im Vergleich zur Türkei oder anderen südlichen Ländern eh schon sehr zurückhaltend ist, noch weniger wird.
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Und warum nicht das alte Christopher-Marlowe-Stück, sondern die Neudichtung von Ewald Palmetshofer?
Den Text von Palmetshofer zu lesen war für mich wie eine Art Insel, weil es hier wirklich um Liebe in ihrem puren Zustand geht. Die Geschlechterzuschreibungen sind eigentlich total egal. Aber wir am Theater bedienen uns so viel bei der PoC-Kultur und der queeren Kultur, dass man denen auch mal den ganzen Kuchen geben sollte, und nicht nur ein paar Brösel, das war mir wichtig. Und dann finde ich Palmetshofers Umgang mit der Sprache faszinierend: Sie ist so explizit und modern, hat aber eine Form von Versmaß. Und wie Palmetshofer über die Liebe schreibt, das ist so detailreich, so gefühlt. Eigentlich braucht diese Sprache viel Raum, um zu fliegen, aber jetzt pressen wir sie doch in ein 16:9-Format.
Statt eine Theateraufführung abzufilmen, haben Sie sich entschieden, das Stück als Mini-Serie zu drehen. Warum?
Wir haben uns sehr kurzfristig zu diesem leicht größenwahnsinnigen Projekt entschieden, innerhalb von vier Wochen eine sechsteilige Serie zu proben, zu drehen und zu produzieren. Jede Wochen eine Folge von 20 bis 30 Minuten, so wie das im Fernsehen früher war. Am Theater wird ja alles über Text erzählt, im Film kann ich eine Berührung, über die im Theater nur gesprochen wird, zeigen. Ein Wunsch war, an verschiedenen Schauplätzen zu drehen. Wir werden auch im Bühnenbild von „Der Jungfrau von Orleans“ spielen. Wir hatten ursprünglich noch viel mehr Kooperationen geplant, die sind aber aufgrund der Verschärfung der Regeln weggefallen.
Dreharbeiten im Kölner Excelsior Hotel Ernst
Jetzt drehen Sie im Excelsior Hotel Ernst ...
Das geht sehr gut, weil das Hotel im Moment komplett leer ist, die Räume sehr groß sind und die sehr gut mit dem Hygienekonzept des Theaters kooperieren und wir hier autark agieren können. Das ist jetzt unser Buckingham Palace. Hier drehen wir die ganz privaten, intimen Szenen, aber hier findet auch die große Politik statt. Das ist quasi unsere Version von „The Crown“.
Setzen Sie auch formal ganz auf Realismus?
Das ist unterschiedlich, die einzelnen Folgen werden verschiedene Genres haben. Die erste wird schon so eine Form von Sozialrealismus haben, die zweite geht in Richtung Mafia-Film, und die dritte, die verrate ich noch nicht, das wird eine Überraschung. Eine Folge fällt sehr tänzerisch aus, die drehe ich aller Voraussicht nach im Kolumba-Museum. Insgesamt wird es also eher ein Kunstfilm. Wir haben ja nicht den Etat oder die Expertise, um mit Netflix zu konkurrieren. Dafür ist es eine Pionierarbeit, dass ein Theater eine Serie produziert.
Für Ihre „Elektra“-Inszenierung an der Berliner Volksbühne haben Sie einen 50-minütigen Film gedreht ...
Da hatten wir allerdings einen fünfmonatigen Vorlauf, um den Film vorzubereiten. Jetzt proben wir wirklich sehr knapp – zum Glück kenne ich die Kölner Schauspieler seit sieben Jahren. Da weiß ich, wie es läuft, und die vertrauen mir. Es ist aufregend, aber ich will natürlich bald wieder für die Bühne inszenieren!
Zur Person
Pınar Karabulut, geboren 1987 in Mönchengladbach, ist gleich mit ihrer ersten Inszenierung („Invasion“) als Regieassistentin am Schauspiel Köln groß rausgekommen. Unter anderem arbeitete sie an der Volksbühne Berlin, dem Theater Bremen und den Münchner Kammerspielen, wo sie seit 2020 zum Leitungsteam gehört. Am Schauspiel Köln inszenierte sie „Romeo und Julia“ und „Drei Schwestern“.
Der erste Teil von „Edward II. Die Liebe bin ich“ feiert am 12. Februar ab 19.30 Uhr seine Online-Premiere. Zum Start veranstaltet das Schauspiel Köln ein digitales Public Viewing über das Online-Tool „Gather.Town“. Tickets dafür gibt es zu einem frei wählbaren Preis von 1 bis 100 Euro. Infos unter
www.schauspiel.koeln
Vermissen Sie den Trubel des Theaterbetriebs?
Ich kenne momentan nur die beiden Extreme: Nach beruflichen Terminen gehe ich sicherheitshalber in Selbst-Quarantäne. Jetzt sehe ich wieder jeden Tag so viele Menschen. Wir halten uns natürlich an alle Auflagen. Die Schauspieler werden jeden Tag getestet. Auf der Theaterbühne muss man ja sechs Meter Anstand halten, wegen der Sprache. Der Vorteil beim Film ist, dass hier anderthalb Meter reichen. Die Schauspieler sprechen viel leiser, es wird nicht so viel gespuckt. Man kann auch viel mehr lüften. Trotzdem ist es komisch, wenn plötzlich so viele Menschen um einen rum sind.
Was hat Sie beim Dreh am Stoff überrascht?
Durch den Dreh muss alles viel genauer vorbereitet sein, insofern gab es weniger ein Entdecken, wie es passiert, wenn man sechs Wochen probt, sondern eher so etwas wie ein Entdecken am neuen Medium. Man kann viel feiner und subtiler erzählen. Ich liebe es sowieso, Figuren möglichst komplex zu erzählen, so kann ich noch vielschichtiger werden.
Und die Idee, verschiedene Genres auszuprobieren, die war von vorneherein da?
Ja, ich hatte Lust, mich da auszuprobieren. Wenn ich Filme gucke, dann lieber alte. Aber ich bin auch eine ganz schlimme Serien-Binge-Watcherin. Vom Haus gab es die Idee, einen geschlossenen Film umzusetzen, aber ich hatte Lust, das in Episoden zu erzählen, weil ich dadurch pro Folge viel mehr Fokus auf einen einzelnen Charakter setzen kann. Mich durch verschiedene Ästhetiken zu switchen, das ist eh etwas, was ich gerne mache. Damit ich mich nicht langweile.
Im Moment fällt das Pläneschmieden schwer. Wissen Sie, was als Nächstes kommt?
Anfang März werde ich an den Münchner Kammerspielen einen Abend in Texten von Gisela Elsner inszenieren, „Der Sprung vom Elfenbeinturm“. Elsner ist eine etwas vergessene Münchner Autorin. Elfriede Jelinek hat sie die letzte Kommunistin genannt. Für mich ist sie die erste deutschlandkritische Autorin gewesen. Günter Grass wird als der erste Schriftsteller gefeiert, der Deutschland in der Nachkriegszeit kritisiert hat, aber Elsner war nicht nur früher dran, sie war auch radikaler. Nicht im Sinne von brutalem Handeln wie bei der RAF, sondern im Sinne einer geistigen Revolution. Auf unbewusste Weise war sie auch eine Feministin. Ende April soll Premiere sein, hoffe ich mal.
Haben Sie jetzt Blut geleckt und sich gedacht, ich könnte doch auch mal für das Fernsehen arbeiten?
Nein, aber ich könnte mir vorstellen, mal einen Film zu machen. Ich will die theatrale Komponente nicht verlieren. Ich schaue auch jetzt bei„Edward II.“ genau darauf, dass der Faktor Theater drinbleibt.