„Enormer Druck auf Medienunternehmen“Im Gespräch mit LfM-Direktor Tobias Schmid
- Im Gespräch mit Tobias Schmid ging es um sein neues Amt, aber auch um die Veränderung seiner Arbeit durch die Corona-Pandemie.
- Denn die Pandemie bringt auch für seinen Job besondere Herausforderungen auf die Tagesordnung.
- Er kümmert sich zum Beispiel darum, wie Konzerte und Gottesdienste trotz komplizierter Rechtslage im Netz stattfinden können.
Düsseldorf – Tobias Schmid ist Direktor der Landesanstalt für Medien NRW. Wir haben mit ihm über sein neues Amt als erster deutscher Vorsitzender der European Regulators Group für Audiovisual Media Services (ERGA) gesprochen.
Herr Schmid, wir hatten dieses Interview vereinbart, um über Ihre neue Aufgabe zu sprechen. Aber auch Ihre Arbeit hat sich durch die Corona-Pandemie stark verändert. Wie arbeitet Ihre Behörde zurzeit?
Tobias Schmid: Ja, das ist eine extreme Umstellung, natürlich auch für uns. Die meisten Bereiche waren allerdings von Tag eins an auch aus dem Homeoffice voll einsatzfähig. Das ist auch gut so, denn wenn fast alles in unserem Leben plötzlich online stattfindet, nehmen natürlich auch die Lebenssituationen zu, in denen wir als Medienaufsicht helfen können oder eingreifen müssen.
Wir kümmern uns etwa um die Frage, wie Konzerte und Gottesdienste trotz komplizierter Rechtslage im Netz stattfinden können. Wir organisieren online Elternabende zur Mediennutzung. Und natürlich ist es gerade jetzt wichtig, dass wir entschieden gegen alle Rechtsverstöße im Netz vorgehen; von der Schleichwerbung über verbotene Hasskommentare bis zu Jugendschutzverstößen. Nur wenn wir die Regeln durchsetzen, können wir das Netz als Begegnungsraum für alle offen halten.
Das Bedürfnis nach seriös recherchierten Informationen ist zurzeit hoch. Zugleich verbreiten sich Falschmeldungen im Internet rasant. Wie bewerten Sie diese Situation?
Schmid: Das ist ein Problem, das enorm zunimmt. Gerade jetzt, da die Menschen verunsichert sind und nach Antworten suchen. Wenn diese Situation missbraucht wird, vor allem wenn falsche Informationen in Umlauf gebracht werden, um Staat und Gesellschaft zu destabilisieren, müssen wir dagegen vorgehen. Aber das ist immer ein bisschen eine Operation am offenen Herzen der Demokratie. Wir müssen bei allen Maßnahmen immer darauf achten, dass wir nicht umgekehrt das Recht auf freie Meinungsäußerung gefährden.
Zur Person
Tobias Schmid (50) ist seit 2017 Direktor der Landesanstalt für Medien NRW. Seit Januar 2020 ist er zudem Vorsitzender der European Regulators Group for Audiovisual Media Services. Zuvor war der promovierte Jurist von 2005 bis 2016 Bereichsleiter Medienpolitik der Mediengruppe RTL Deutschland. Er lebt in Köln. (amb)
Viele Medienunternehmen stellt diese Krise vor große wirtschaftliche Herausforderungen. Wie groß ist der Druck nach Ihrer Einschätzung, und was kann die Landesmedienanstalt tun, um zu helfen?
Schmid: Der Druck auf die Medienunternehmen ist enorm. Und die Lage ist dabei total absurd. Die Radiostationen in NRW beispielsweise werden mehr gehört und gebraucht denn je, nehmen aber kaum noch Geld ein. Die privaten Fernseh- und Radiostationen leben fast ausschließlich von Werbeeinnahmen aus der Wirtschaft, die legt aber gerade eine Vollbremsung hin und storniert in einer solchen Situation die Werbebuchungen. Das trifft natürlich als Erstes die kleineren Medienunternehmen, wie die Radiostationen, die oft keine großen finanziellen Reserven haben. Wir werden in enger Abstimmung mit unseren Kollegen in den anderen Ländern und der Landesregierung daher alles unternehmen, was in unserer Macht steht, um hier stabilisierend einzuwirken.
Nun aber zu Ihrer neuen Aufgabe. Welche Themen werden Sie in das Zentrum Ihrer Amtszeit stellen?
Schmid: Als Allererstes die grenzüberschreitende Rechtsverfolgung vor allem von illegalen Handlungen im Internet. Wir müssen Verstöße gegen den Jugendschutz und die Menschenwürde auch dann in den Griff bekommen, wenn sie aus einem anderen europäischen Land kommen. Denn eins wird langsam klar, die Freiheit im Netz können wir nur aufrechterhalten, wenn wir uns an ein paar Regeln halten, und die auch durchsetzen – ist halt wie im echten Leben. Das zweite brennende Thema ist das Thema der Desinformation, das wir auch nur gemeinschaftlich in Europa in den Griff bekommen. Und das dritte Feld, das wir angehen müssen, ist die Frage, wie wir es neben der Rechtsdurchsetzung schaffen, die Bevölkerung besser über die Gefahren und Möglichkeiten in den Medien aufzuklären.
Wie wollen Sie das angehen?
Schmid: Dieses ganze Feld der Medienkompetenz ist enorm wichtig, hat aber immer das Risiko sehr verkopft zu sein. Wir müssen einräumen, dass wir bisher noch nicht den besten Weg gefunden haben, unser Wissen denen, die Hilfe brauchen, zur Verfügung zu stellen. Da müssen wir nach neuen Lösungsansätzen suchen. Eine Broschüre mit allgemeinen Verhaltensregeln auf Umweltpapier ausgedruckt in Schulen auszulegen wird jedenfalls nicht reichen.
Sie sprachen das Thema Desinformation im Internet an. Die Medienanstalten haben für die EU-Kommission ein Gutachten darüber erstellt, ob der „Code of Practice“ gegen Desinformation von Plattformen wie Facebook und Google eingehalten wird. Mit wenig erfreulichen Ergebnissen.
Schmid: Die Erkenntnisse sind wenig erfreulich, aber eindeutig. Erstens war das Datenmaterial, das wir bekommen haben, um diese Fragen zu beantworten, vollkommen unzureichend, weil uns die Plattformen nur Daten zur Verfügung gestellt haben, die sich nicht auf die Mitgliedstaaten runterbrechen ließen. Zweitens konnten wir die Daten nicht überprüfen, weil wir keinen Anspruch haben, selbst Daten zu beschaffen.
Ist es nicht unsinnig, auf Basis solcher Daten überhaupt ein Gutachten zu erstellen?
Schmid: Das kann man so sagen. Aber der eigentliche Denkfehler ist ein anderer. Im Moment sind wir damit beschäftigt, mit den Plattformen darüber zu streiten, welche Daten wir bekommen. Diese Diskussion können wir uns aber sparen. Die Grundidee der Ordnungspolitik ist doch eigentlich umgekehrt. Wir sehen als Gesellschaft eine Gefahr oder ein Risiko. Dann legen wir gesetzlich fest, dass es das nicht geben darf. Aus dieser gesetzlichen Verpflichtung erfolgt eine Pflicht für jedes Unternehmen, das dort tätig ist, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht passiert. Und im letzten Schritt ist es erforderlich zu überprüfen, ob sich Unternehmen an diese Spielregeln halten. Im Moment gehen wir den genau umgekehrten Weg. Wir streiten über die Methodik.
Was muss geschehen?
Schmid: Die Politik muss die Prärogative des Gesetzgebers zurückerobern. Wir müssen sagen: So stellen wir uns ein demokratisches Internet vor, das sind die Regeln. Du, liebes Unternehmen Facebook oder Google, bist herzlich eingeladen, bei uns Geld zu verdienen, aber an diese Regeln hältst du dich. Und die Medienaufsicht ist dafür da, zu überprüfen, ob sie das tun. Und wenn sie es nicht tun, vollziehen wir den Katalog an Sanktionen, der uns zur Verfügung steht. Und dann bin ich ganz sicher, dass die Unternehmen sich, wie in allen anderen Bereichen auch, innerhalb kürzester Zeit an die gesetzlichen Spielregeln halten werden.
Wo sehen Sie die größten Defizite in der Gesetzgebung?
Schmid: Es gibt zum einen keine klare Definition, was im Bereich politische Werbung eigentlich verlangt wird. Im Moment definieren das die Plattformen selbst und kommen dabei immer zu dem Ergebnis, alles richtig gemacht zu haben. Dasselbe Problem haben wir beim Thema Fake-Accounts. Die Frage, ob diese eigentlich ein relevantes Problem sind oder nicht, kann man erst beantworten, wenn man ein Gefühl für die Quantität hat. Und – wenig überraschend – auch da kommen die Plattformen zu entspannten Ergebnissen. Wir kommen aber bei beiden Themen zu einer ganz anderen Einschätzung.
Deshalb sagen wir als deutsche Medienregulierer der Europäischen Kommission: Selbstregulierung allein funktioniert nicht. Wir brauchen einen Anspruch, auf Daten zugreifen zu können, um überhaupt kontrollieren zu können, und klare gesetzliche Vorgaben, um reagieren zu können. Noch mal: Das ist eine Sache des Gesetzgebers und nicht der Industrie.
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Und Sie glauben, das wird etwas bewirken?
Schmid: Ich schlage vor, wir fangen einfach mal an. Und dann werden wir sehen, wie weit wir kommen. Die amerikanischen Behörden sind ja auch nicht davon beeindruckt, dass Audi und Volkswagen deutsche Unternehmen sind, und setzen im Abgasskandal ihr amerikanisches Recht durch. Diesen Anspruch sollten wir als Europäer auch haben.