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Düsseldorfer KunstpalastElias Sime macht aus Müll etwas Kostbares

Lesezeit 4 Minuten
Ein Gemälde aus Kabeln und Elektronikschrott

Detail aus Elias Simes „Tightrope: Behind the Processor: No. 6“ (2022) 

Erstmals in Deutschland zu Gast: Der äthiopischen Künstler Elias Sime zeigt Gemälde aus Elektronikschrott im Düsseldorfer Kunstpalast.

In engen Schlaufen dicht gedrängt, bilden die bunten Drähte geometrische Muster und wellenartige Ornamente, umschließen und bedecken kleine Gegenstände. Ohne Leerstellen füllen sie, sorgsam und akribisch, wie von „horror vacui“ getrieben, die gesamte Fläche. Sie zeigen offen das Material, aus dem sie bestehen.

Aussortierte Elektrogeräte, Drähte, Kabel und Stecker, Batterien, zerlegte Computer, alte Fernsehgeräte. Obwohl EU-weit die Ausfuhr von Elektroschrott in Drittstaaten verboten ist, landet nach wie vor unfassbar viel davon in Ländern Afrikas und Asiens. Seit Jahren vergiftet eine der weltweit größten Müllhalden für Elektroschrott in Ghanas Hauptstadt Accra Menschen und Umwelt. Der Name des Stadtteils Agbogbloshie ist geradezu zum Synonym geworden für Müll, Gift, Armut und Elend. Blei, Quecksilber, Cadmium und Arsen: Die Schadstoffbelastung liegt mehr als ein 50-faches über dem als gesundheitlich unbedenklich geltenden Wert.

Der äthiopische Künstler kombiniert Materialien elektronischer Geräte

In Nigeria und anderswo sieht es nicht viel anders aus. Die Probleme sind bekannt, eine wirkliche Lösung gibt es bislang nicht. Aber, die Kritik wird lauter. Immer wieder ergreifen inzwischen auch Künstlerinnen und Künstler das Wort, um auf die Auswirkungen der modernen Industrien auf Mensch und Umwelt hinzuweisen. Einer von ihnen ist Elias Sime.

Der äthiopische Künstler (geboren 1968 in Addis Abeba) versammelt und kombiniert in seinen neueren Werken (etwa der Serie „Tightrope“) seit 2009 erkennbar moderne, weltweit verwendete Materialien, Bestandteile elektronischer Geräte wie Platinen, Computertastaturen, Telekommunikations-Kabel und verwandelt sie in abstrakte Kompositionen.

Die bunt ummantelten Drähte lassen sich prima biegen und zu bewegten Mustern formen. Kreis- und wellenförmig auf einzelnen rechteckigen Brettern festgenagelt werden sie anschließend zu großen Bildobjekten zusammengesetzt, die schimmern wie kostbare Gewebe. Mitunter erinnern die Wellen und pulsierenden Wirbel an den Malduktus Vincent van Goghs, manche sehen aus wie Landkarten. Viele der Objekt-Bilder sind zusätzlich mit Fundobjekten bestückt, sind abstrakt, rein ornamental, manche sind figürlich. Das ausrangierte Zubehör unserer modernen, vernetzten, verdrahteten Welt verwandelt sich in ein irritierend schönes Bild. Aus Müll wird etwas Kostbares.

Elias Sime steht vor einem seiner Bilder.

Elias Sime im Düsseldorfer Kunstpalast

Geometrische Muster wiederholen sich in endlos fortführbaren Reihungen. Das Serielle ist dabei nicht nur künstlerisches Konzept, es ist gewissermaßen die Antwort auf das dem Massenprodukt selbst innewohnende Prinzip der Wiederholung des immer Gleichen. Die elektronischen Bestandteile der Geräte wären gar nicht austausch- und ersetzbar, wären die entsprechenden Bauteile nicht alle absolut identisch.

Spätestens seit der Biennale in Venedig 2022, wo er an der zentralen Ausstellung „The Milk of Dreams“ beteiligt war, erfährt Elias Sime international Anerkennung. Jetzt stellt der Kunstpalast ihn erstmals auch im deutschsprachigen Raum vor. Die Düsseldorfer Ausstellung „Elias Sime. Echo“ versammelt 36 großformatige Arbeiten, die seit den frühen 2000er Jahren entstanden sind. Mit dabei sind auch zwei Filme, die das große Projekt des Kunstzentrums ZUMA dokumentieren, das Sime gemeinsam mit Meskerem Assegued 2002 gegründet hat. Mit einem Team wird ZUMA bis heute ständig ergänzt und weiterentwickelt.

Das Material vermittelt ein unmittelbares Gefühl für die aktuelle Situation, in der wir leben
Elias Sime

Pflanzen- und Lebenswelt greifen hier ineinander, mit Platz für Künstler*innen, Unterkünften, Bibliothek und Gastronomie, mit Grundschule und Kindergarten, botanischem Garten und Landwirtschaft. Das Gemeinschaftsprojekt möchte äthiopische und internationale Lebensweisen verbinden und gleichzeitig die Grenzen zwischen Architektur, Skulptur und Kunsthandwerk öffnen. Inzwischen umfasst es mehrere Areale, in denen sich heutige Kunst mit jahrhundertealtem Wissen und Handwerks-Traditionen wie dem Lehmbau verbindet.

Schon das Sammeln der Materialien selber, so beschreibt es der Künstler, das gezielte Suchen und Sortieren spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Arbeiten. Es ist ebenso wie das Werken eine Gemeinschaftsaufgabe. Ohne das Team würde es nicht gehen. Neben der anschaulichen Sensation interessieren den Künstler aber unbedingt auch die den Materialien selber innewohnenden Geschichten. Was erzählt das Zeug über die Zeit, aus der es stammt? Über die Menschen, die es benutzt haben? Über seine Funktion? Über die Wege, die es zurückgelegt hat, die Entfernungen, die es überbrückte? Und was erzählt es über die Menschen und Kulturen, die es verbindet? „Das Material vermittelt ein unmittelbares Gefühl für die aktuelle Situation, in der wir leben“, so Sime.

Frühere seiner Arbeiten bestehen aus Baumwollfäden, Stoffen, Knöpfen, Stroh und ähnlichen Materialien. Zu grobmaschigen Teppichen vernäht oder zu bildhaften Reliefs verknüpft, wirken sie wie die Boten aus einer verschwindenden analogen Welt, einer Welt mit Stoffresten, Lehm und schwere Lasten tragenden Eseln. Eine ähnliche Anmutung haben auch die eng gedrängt auf dem Boden stehenden kleinen Figuren und Gefäße aus Lehm. Flora und Fauna ebenso wie die Kultur Äthiopiens sind wichtige Bezugspunkte in Simes Kunst, Tiere und Menschlein, mythische Wesen und volkstümliche Praktiken, historische Schnitz-, Web- und Bautechniken. Auf die Frage, ob er glaube, dass Kunst die Welt retten könne, gibt es für Elias Sime eine eindeutige Antwort: „Ja, unbedingt.“


„Elias Sime. Echo“, Kunstpalast, Düsseldorf, Di.-So. 11-18, bis 1. Juni 2025